Schauspiel Köln, Halle Kalk - Premiere 4. April 2008
Kölner Affäre
Multiple Autorenschaft
Uraufführung
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Schauspieler suchen in Köln nach einem normalen Menschen, den sie eine Weile begleiten und dessen Leben sie dann auf die Bühne bringen. Kann das gut gehen? Es kann, wie die umjubelte Premiere des Projektes „Kölner Affäre“ unter der Regie von Alvis Hermanis in der Kölner Halle Kalk gezeigt hat.
Der Beginn mutet arg didaktisch an. Da kommt die Schauspielerin Julia Wieninger auf die Bühne und erzählt davon, wie schwierig ihre Suche nach einem Menschen war, an dessen Leben sie eine Zeitlang teilhaben könnte. Ähnliches berichtet ihre Kollegin Ilknur Bahadir. Ganz anders Markus John, der mit der Mitteilung „Ich bin Foxy“ und schwerstem kölschen Dialekt auf die Bühne tritt und dem sofort die Sympathien des Publikums zufliegen. Und der Vierte im Bunde, Juris Baratinskis, ist kein Schauspieler, sondern er erzählt seine eigene Geschichte.
Was dem Abend gelingt, ist, Banalität in den Fokus zu rücken, ganz alltägliche Geschichten, die dennoch alle eine gewisse Tragik mit sich bringen. Jeder Mensch hat sein Päckchen zu tragen, manche Sorgen sind größer, andere kleiner. So ist das nun mal, das Leben geht weiter.
Es liegt in der Natur der Sache, dass längst nicht alles spannend oder aufregend ist, was der Alltag der Figuren mit sich bringt. Der Abend von Alvis Hermanis lässt sich, seinen Protagonisten und den Zuschauern Zeit, zu erzählen und Vertrauen zueinander zu fassen.
Die Bühne ist ein Guckkasten, der in die Halle Kalk hineingebaut wurde. Er ist in vier gleich große Segmente eingeteilt und jede Figur erhält somit ein Zuhause. Bei Julia Wieningers Hanna ist es die Küche mit viel Stauraum für Nippes, den sie zwischendurch liebevoll und äußerst akkurat anordnet; bei Juris Baratinskis ein karges Wohnzimmer mit Poster an der Wand, bei Foxy ein Büroraum mit schwerem Ledersofa, alles etwas versifft, und bei Ilknur Bahadirs Nastassja eine türkische Bäckerei inklusive eines funktionierenden Backofens.
Das Schöne an dem Abend ist, dass alle drei Darsteller ihre Figuren ernst nehmen. Selbst Markus John gerät nie in die Gefahr, nur noch ein Abziehbild zu präsentieren, obwohl er mit Foxy immer haarscharf am Klischee eines echt kölschen Jung vorbeischrammt – stets gutgelaunt, vorneweg, große Klappe, mit Knastvergangenheit, protzend, aber auch verletzlich. Ilknur Bahadirs junge Einwanderin Nastassja ist freundlich, höflich, will es zu etwas bringen. Julia Wieningers Hanna ist dagegen verschlossener, spröder, auf dem Weg zur ältlichen Jungfer mit Ökotouch. Aber wie Wieninger als Hanna erzählt, wie sie entdeckt, dass ihr Freund sie betrügt, ist wunderbar gespielt und ein Highlight des Abends. Juris Baratinskis nimmt hier eine Sonderstellung ein, denn es ist ja tatsächlich sein Leben, um das es geht, nicht eine angenommene oder behauptete Identität.
Aber allzu viel soll hier über die Figuren und ihre Geschichten nicht verraten werden, sind sie doch die Essenz des Abends. Nur so viel: Manches ist brüllend komisch, manches ist langweilig und manchmal bleibt einem das Lachen im Halse stecken bei den Abgründen, die sich in den Biografien auftun. Aber niemand jammert, alle tragen ihr Leben mit Würde und mit dem Bewusstsein, dass alles, was kommt, bewältigt werden muss. Etwas nervig gerät bisweilen der Musikeinsatz. Schwülstig und klebrig legt sich mehrmals „Moon River“ über die Szenerie. Das mag man am Ende des Abends wirklich nicht mehr hören.
Im Teil nach der Pause wird die formale Strenge aufgebrochen. Die vier Figuren sind nicht mehr an ihren Lebensraum gebunden, die immer gleiche Abfolge des ersten Teils wird aufgelöst. Was im wahren Leben wahrscheinlich nicht der Fall ist, dass sich die vier Lebenswege kreuzen, ist auf der Bühne möglich – allerdings nicht im Dialog miteinander, sondern nur in der Gleichzeitigkeit in einem Bühnenbild, in einer Szenerie. Die Elemente der Guckkastenbühne werden nach hinten verschoben, stattdessen gibt es Schiebekulissen mit Fotos vom Kölner Dom oder dem Innern eines Brauhauses. Vor diesem virtuellen Dom läuft Hanna umher und sucht ihre Reisegruppe, dabei den Elementen und Richard Wagners Ouvertüre zu „Tannhäuser“ trotzend. Währenddessen verwandelt sich Juri in einen buddhistischen Mönch, schwadroniert Foxy über die Kölner Fußballlandschaft und trainiert Nastassja in der Muckibude. Und am Ende testen Figuren und Darsteller Kissen.
Dieser Abend hat das Zeug zum Dauerbrenner. Wunderbar, traurig, lustig und hervorragend gespielt. Lediglich der Titel ist nicht gut gewählt, impliziert er doch eher eine politische Dimension der Aufführung. Aber das ist nun wahrlich ein marginaler Kritikpunkt.
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Kölner Affäre
Multiple Autorenschaft
Uraufführung
Regie: Alvis Hermanis
Bühne und Kostüme: Monika Pormale
Dramaturgie: Götz Leineweber
Mit: Ilknur Bahadir, Juris Baratinskis, Markus John, Julia Wieninger
Premiere am Freitag, 04. April 2008
Weitere Vorstellungen am 01., 02., 17., 18. und 22.06.
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Karoline Bendig - red. / 28. Mai 2008 ID 3852
Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielkoeln.de/stueck_besetzung.php?ID=62
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