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Uraufführung

Ohne Titel Nr. 1 - Herbert Fritsch lädt zu seiner ersten Oper in die Berliner Volksbühne



(C) Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz



Komm doch mit zu ‘nem Ritt auf dem Sofa

„Komm doch mit, zu ‘nem Ritt auf dem Sofa“ sang in den 1980er Jahren die Leipziger Spaßpopband Amor & Die Kids. Aus dem einstigen KidTobias Künzel wurde später ein Prinz und berühmter Komponist eines Musicals über das Comeback von Karl Marx. Über diese Phase ist der große Spaßproduzent Herbert Fritsch mit Frau Luna bereits hinaus. Es konnte eigentlich nur noch eine Oper kommen. Mangels Thema und passendem Namen hat er seinen Erstling einfach Ohne Titel Nr. 1 genannt. Und da Fritschs Komödienmotor keine Spaßbremse kennt, wird daraus vermutlich eine Serie werden. Dass als Bühnenrequisit nur ein Sofa in Frage kommen konnte, weiß jeder, der einige seiner grellbunten Inszenierungen gesehen hat.

Nun bezieht sich Ohne Titel natürlich auch auf die Bezeichnung so manch abstrakter Gemälde, denen ihre Produzenten nicht mehr vermochten, einen sinnvollen erklärenden Namen zu geben. Die Volksbühne hatte mit Hinweisen auf das Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch und den großen Farbdripper Jackson Pollock eine Fährte ausgelegt, und der kunstbeflissene Bildungsbürger tappt wie immer bei Herbert Fritsch prompt in die verflixte Erklärungsnotfalle. Erklären muss sich ein Kunstwerk aus sich selbst heraus. Kognitive Fähigkeiten zur Imagination und Assoziation helfen einem bei Fritsch aber auch nicht immer weiter. Komposition und Abstraktion gehören spätestens seit den Suprematisten zum kunstwissenschaftlichen Kanon. Der Spaß am sinnfreien Herumblödeln kennt aber keine Theorie. Mit Murmel Murmel, der Inszenierung eines Theaterstücks von Dieter Roth, hatte Fritsch bereits erfolgreich die Sprache auf ein einziges Wort reduziert. Wie abstrakt könnte also die Reduktion einer Oper und ihrer Sänger allein auf die Musik und Körper wirken?

Zunächst einmal sieht in der Volksbühne aber alles so aus, als würde sich hier wirklich gleich der schwere Vorhang zu einer ernstzunehmenden Oper heben. An den farbenfrohen Glitzerkostümen der Orchestermusiker sieht man aber schon, hier folgt gleich die ganz große Show. Es erscheint nun der Dirigent, begrüßt den Konzertmeister und hebt den Taktstock. Da knarrt der Stuhl des Pianisten und muss ausgetauscht werden. Die Ouvertüre auf teilweise etwas merkwürdigen Instrumenten wie Pfeifen, Klatschen und Knisterpapier gerät dann auch etwas schräg. Und als sich endlich der Vorhang hebt und den Blick auf die Bühne freigibt, steht es da, das riesige holzfarbene Sofa auf angedeutetem Dielenboden. Ein Mann (Matthias Buss) sitzt darauf und grinst ins Publikum. Anfänglicher Verblüffung im Orchestergraben folgt die Flucht der Musiker auf die Bühne, die prompt das neue Spielgerät erobern.

Es knarzt und knackt im Gebälk. Dirigent Ingo Günther dreht am großen Hebel seines Konzert-Knarzianos. Und plötzlich kommt Bewegung in die wie die Couch-Potatos aufgereiht sitzende 12-köpfige Bande von Operndarstellern. Sie beginnen sogleich wie aufgezogen herumzurennen, zu kriechen und zu hüpfen. Die drei verbliebenen Musiker wechseln bald von harten Gitarrenriffs zu einem flotten Cha-Cha-Cha und landen schließlich beim shakendem Swing eines Salonorchesters. Oper geht eigentlich anders. Nur scheint das unsere leicht schreckhaften, sich tapfer selbstvergewissernd auf die Pappköpfe hauenden Aufziehmännchen und -weibchen auf der Bühne nicht zu interessieren. Hier wird nicht nur ohne große Worte abstrahiert, hier wird gemeinsam grimassiert, karikiert, persifliert und in kleinen Soloauftritten brilliert.

Die da wären: Ein rhythmisches Pups-Konzert, das sich im Duett mit dem Geräusche gebenden Musiker zum großen akustischen Durchfall hochschaukelt, bis die Hosen voll sind. Eine Zungen-Arie der Soubrette (Frau Luna-Darstellerin Ruth Rosenfeld) zu schlangenbeschwörender Musik. Oder einer imaginierter Bumerang-Slapstick. Und endlich fällt auch jemand in den Orchestergraben. Es ist Fritsch-Mime Wolfram Koch, der sogleich ein ganzes Slapstickfeuerwerk an der Rampe mit Schuh und Papier entzündet. Das Unaussprechbare, hier nimmt es groteske Gestalt an. Irgendwann schauen sie dann alle auch mal in die Ferne des imaginierten, flimmernden Bühnenhintergrunds, als wäre dort irgendwo der Sinn ihres Tuns versteckt.

In gekonntem Nonsensprech versucht man sich immer wieder mal auch verbal zu artikulieren. Zwei Americans sind rauchend ganz in ihren Bar-Small-Talk vertieft. Und eine lustige Gruppentherapiesitzung auf dem Sofa gibt sich gute Ratschläge im Dialekt. Nachdem genug getollt ist, wenden die Darsteller ihre Kostüme und verschmelzen nun Ton in Ton mit dem Riesen-Möbel und den Dielen auf der Bühne. Ein letzter Choral beendet schließlich den Spuk. Die Geister, die Herbert Fritsch für kurze 77 Minuten rief, verschwinden einfach wieder in seiner Kiste, oder dem Kopf aus dem sie entsprangen.

Dass er im besten Sinne nicht alle Latten am Zaun hat, demonstriert Fritsch ganz selbstbewusst und -ironisch mit Brett vorm Kopf zum abschließenden Applausballett. Für ihn ist Theater die Freiheit zu machen, was er will. Das trifft sicher zu, solange man die Lacher noch auf seiner Seite weiß. Das sich Fritsch auch ungeniert aus dem bewährten eigenen Repertoire bedient, wer will es ihm verdenken. Solange dabei solch kurzweilige, kleine Kunstperlen, oder besser Murmeln, über die Bühne rollen. Doch was sangen die Prinzen doch noch gleich? In der Kunst ist eh alles nur geklaut? Sicher, und erlaubt ist was gefällt. Da kann man dann ruhig auch mal ein bisschen recyceln.




Herbert Fritsch im Jahre 2012 - Foto (C) Stefan Bock



Bewertung:    

Stefan Bock - 24. Januar 2014
ID 7543
OHNE TITEL NR. 1 (Volksbühne Berlin, 22.01.2014)
Regie und Bühne: Herbert Fritsch
Kostüme: Victoria Behr
Licht: Torsten König
Musik: Ingo Günther, Herbert Fritsch
Ton: Klaus Dobbrick
Video: Konstantin Hapke
Dramaturgie: Sabrina Zwach
Mit: Florian Anderer, Matthias Buss, Nora Buzalka, Werner Eng, Patrick Güldenberg, Jonas Hien, Wolfram Koch, Inka Löwendorf, Annika Meier, Ruth Rosenfeld, Axel Wandtke, Hubert Wild, Ingo Günther, Fabrizio Tentoni und Michael Rowalska
Premiere war am 22. Januar 2014
Weitere Termine: 31. 1. / 4. + 23. 2. 2014


Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne-berlin.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



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