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Rezension

21. November 2010, Gastspiel im Bayer Erholungshaus Leverkusen





ATROPA - DIE RACHE DES FRIEDENS / Von Tom Lanoye

Eines gleich vorweggenommen: Die Rache des Friedens ist genauso blutig wie der Krieg. In der deutschsprachigen Erstaufführung von „Atropa“, die das Nürnberger Staatsschauspiel 2009 erarbeitet und nun in Leverkusen als Gastspiel gezeigt hat, sieht man die Toten des Krieges nicht, wohl aber die Toten des Friedens. Oder handelt es auch noch um Tote des Krieges? Die Trennung ist in diesem Fall gewollt unscharf. Lässt sich die Spirale von Opfern, die die Logik des Krieges fordert, nicht beenden? Schwierig, wenn man einen so charismatischen Heerführer hat wie Agamemnon, der selbst die Opferung der eigenen Tochter begründen kann und schon früh an diesem Abend von einem Kulturkrieg spricht, in dem die Griechen sich gegen die Barbaren aus Troja verteidigen müssen. Davon, den anderen in Frieden leben zu lassen, ist herzlich wenig die Rede, und die Gefahr, die von den Trojanern für die griechische Kultur ausgeht, bleibt diffus.

Der belgische Dramatiker Tom Lanoye, hierzulande vor allem durch seine „Schlachten“-Zusammenarbeit mit Luc Perceval bekannt, hat sich u.a. bereits in „Mama Medea“ eines antiken Stoffes angenommen. In „Atropa“ erzählt er in drei Teilen vom trojanischen Krieg, beginnend mit der Opferung Iphigenies durch ihren Vater Agamemnon, dann das Leiden der Frauen in Troja, nachdem die Stadt gefallen ist, und schließlich die Rückkehr Agamemnons in die Heimat, die bei Lanoye überraschend anders verläuft, als dies überliefert ist.

Lanoye hat mit „Atropa“ der Theaterwelt eines der wenigen Stücke beschert, in denen es viele schöne Frauenrollen gibt. Hekabe zum Beispiel, Andromache oder Helena und vor allem Klytaimnestra, die im ersten und letzten Teil des Abends das Zentrum der Geschehnisse ist. Und die Damen des Nürnberger Staatstheaters spielen überzeugend auf. Jutta Richter-Haaser (Hekabe) und Julia Bartolome (Andromache) sind von Beginn an Besiegte, die in Furcht leben und dennoch stolz sind auf das, was sie waren. Wie viel Leid und Trauer sie ertragen müssen, wird deutlich, wenn Andromache entsetzt erkennen muss, dass die siegreichen Griechen ihren Sohn, den rechtmäßigen Erben von Troja, als letztes Opfer verlangen. Etwas weniger überzeugend als ihre Kolleginnen agieren Nicola Lehmbach als Helena und Isabella Szendzielorz als Klytaimnestra. Lehmbachs Helena bleibt blass und Isabella Szendzielorz hat zu Beginn mit dem Text zu kämpfen und mit den Dimensionen ihrer Rolle – eine Mutter, die ihre Tochter nicht retten kann. Erst im letzten Teil, wenn sie selbst nicht mehr kopflos herumirrt und von ihren Gefühlen zerrissen wird, sondern Maßnahmen ergreifen kann, gewinnt ihre Darstellung an Stärke.

Iphigenie und Kassandra, Tochter und Geliebte von Agamemnon, werden von ein und derselben Darstellerin gespielt: Das führt zu einigem zusätzlichen Interpretationsspielraum, wenn Agamemnon Kassandra als seine Geliebte aus dem Krieg zurückbringt. Henriette Schmidt gibt eine kindliche Iphigenie, die sich voller Eifer ihrer Opferrolle hingibt, während sie als Kassandra deutlich resignierter, kaputter ist. Ein schöner Facettenreichtum tut sich hier auf. Agamemnon selbst – Michael Hochstrasser als einziger Mann unter Frauen – ist ein aalglatter Typ, der alles begründet kann, im Anzug mordet und äußert eloquent ist.

Manches an dieser Inszenierung von Georg Schmiedleitner wirkt ein wenig steif. So stehen alle Beteiligten häufig in Abendkleidung wie auf einem Cocktailempfang herum. Erst in der letzten Szene sehen die Frauen aus Troja tatsächlich eher aus wie Flüchtlinge, hält die Realität des Krieges ein wenig Einzug. Auch befremdet zunächst die Tatsache, dass alle Darsteller über Ports sprechen. Da fast immer alle auf der Bühne sind, ist es gelegentlich schwierig, zuzuordnen, wer spricht, da durch die Ports alles gleich laut und gleich weit weg klingt. Auf der anderen Seite ist so auch in der Szene nach Trojas Fall, die hinter dem Bühnenbild spielt, Verständlichkeit und die richtige Lautstärke gewährleistet.

Trotz dieser Kritikpunkte lässt die Aufführung kaum einmal Langeweile aufkommen. Zum Schluss, nach knapp zwei Stunden ohne Pause, einhellige Begeisterung des Leverkusener Publikums.


Karoline Bendig - red. 19. Dezember 2010
ID 00000004985
ATROPA - DIE RACHE DES FRIEDENS (Bayer Erholungshaus Leverkusen, 21.11.2010)
Inszenierung: Georg Schmiedleitner
Bühne: Stefan Brandtmayr
Kostüme: Cornelia Kraske
Musik: Sebastian Weber
Video: Boris Brinkmann
Dramaturgie: Frank Behnke
Mit: Michael Hochstrasser (Agamemnon), Henriette Schmidt (Iphigenie/Kassandra), Isabella Szendzielorz (Klytaimnestra), Nicola Lembach (Helena), Jutta Richter-Haaser (Hekabe), Julia Bartolome (Andromache), Ensemble (Namenlose Frauen)
Deutschsprachige Erstaufführung: 16. 11. 2009
Weitere Termine am Staatstheater Nürnberg: 16. 1. und 26. 2. 2011


Siehe auch:
http://www.staatstheater-nuernberg.de


Post an die Rezensentin: karoline.bendig@kultura-extra.de



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