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14. Dezember 2011, Globalize Cologne

EINE NACHT IN AFGHANISTAN

Futur 3


Foto (C) Freihandelszone Köln


Kampieren mit Schauspielern

Nein, in die nasskalte Dunkelheit der Kölner Innenstadt muss man sich als Zuschauer von EINE NACHT IN AFGHANISTAN nicht begeben. Das Kölner Herbstwetter wäre wohl auch nicht das, was man mit einem Aufenthalt in Afghanistan verbindet. Der Ort der Aufführung ist dennoch ungewöhnlich: Einen Großteil der Zeit sitzt man auf minder bequemen Falthockern in einem engen Gang, in etwas mehr als Wohlfühlnähe den Sitznachbarn neben sich, gegenüber weitere Zuschauer. Doch von Laufstegatmosphäre keine Spur. Eher (gelegentlich auch voyeuristisch) anmutendes Zuschauen in Käfigatmosphäre. Ein bisschen Lagerkoller auch für die unbeteiligten Beobachter. Es ist warm, es ist eng und die Aktionen finden unmittelbar vor den eigenen Füßen statt. Und an der Wand werden zwischen den Zuschauern die Feldbetten zum Kampieren aufgeschlagen.

Das ist die Grundsituation für EINE NACHT IN AFGHANISTAN der freien Theatergruppe Futur 3 – ein theatrales Lager. Ursprünglich war die Produktion in einem alten Offizierskasino in Köln-Junkersdorf zu sehen, dieses Mal ist man zu Gast im Rahmen des Festivals Globalize Cologne der Freihandelszone Köln und hat in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Multiplexkinos an zentraler Stelle in der Kölner Innenstadt Quartier bezogen.

Futur 3 gelingt mit diesem Abend ein kleines Kunststück: über die Situation der Soldaten in Afghanistan zu berichten, in das Lagerleben in der Fremde einzutauchen, ohne in Klischees zu verfallen oder peinliche Betroffenheit hervorzurufen. Es beginnt damit, dass man als Zuschauer im Foyer des ehemaligen Kinos an Drill- und Einschwörungsübungen teilnimmt. Daneben erfährt man von einem der Darsteller, wie es so ist, als Soldat auf Heimaturlaub zu sein, und niemand geht normal mit einem um. Der Einzige, mit dem er reden konnte, so Stefan H. Kraft als Soldat, sei sein Großvater gewesen, der Soldat im zweiten Weltkrieg war.

Natürlich werden heute Kriege anders geführt als damals und auch die Kommunikation ist anders: per Computer, Kamera und Internet lässt sich Kontakt zu den Menschen tausende von Kilometer entfernt herstellen. Aber vor Ort regiert bei aller Technik oftmals eben doch nur nackte Panik oder Todesfurcht, etwa bei einer Attacke des Gegners, bei der nicht nur die Nerven der Soldaten blank liegen, sondern auch die Zuschauer in der Enge des Soldatenlagers ordentlich eingenebelt werden.

Danach geht es aus dem engen Gang wieder ins Freie, durch die Gänge des Kinos in einen kleinen Kinosaal, wieder zurück in der Heimat. Alle Beteiligten sind nun EDEKA, am Ende der Karriere. Sie sitzen auf Klappstühlen wie bei einer Fragerunde, zwischen ihnen ein Feldbett, auf das sich einer von ihnen legt, die Deutschlandfahne ordentlich über sich ausgebreitet. Nach der Enge am vorherigen Spielort, der gespielten Situation vor Ort, geht es hier wieder etwas weniger emotional, etwas sachlicher zu. Entspannung für Darsteller und Zuschauer tritt dennoch nur bedingt ein, wenn Fragen wie die, ob der Krieg in Afghanistan nun ein Krieg oder ein bewaffneter Konflikt ist, angesprochen werden.

EINE NACHT IN AFGHANISTAN ist kein dokumentarisches Theater, nichtsdestotrotz wirkt alles sehr gut recherchiert. Thematisch heiße Eisen werden angesprochen, Dinge, die vermutlich für viele, die nicht gedient haben, am Soldatensein befremdlich sind: Mut, Ehre, die Repräsentation Deutschlands im Ausland, aber auch Furcht und Übersprungshandlungen, wenn man in einer unbekannten Umgebung monatelang eng aufeinanderhockt. Thematisiert wird auch, wie es so ist, wenn hoher Politikerbesuch aus der Heimat eintrifft und sich völlig weltfremd verhält.

Beklemmend und beeindruckend vor allem die Szenen, die sich in dem engen Gang abspielen, der mit Tarnfarben überzogen ist und in dem kleine Lichtfunzeln von oben herabhängen. Allerdings wird es hier dann doch manchmal unnötig laut durch Musikeinspielungen, dazu gibt es ständige Verweise auf Ego-Shooter-Spiele, die als eine Art virtuelles Kriegsspiel über die beiden vorhandenen Leinwände links und rechts am Ende des Ganges abgespielt werden. Manchmal fehlt vielleicht ein wenig Mut, die Situation im Camp sich entwickeln zu lassen, es auszuhalten, dass nichts passiert und dennoch unter Bedrohungsszenarien nie eine wirkliche Beruhigung eintreten kann. Stattdessen wirkt dieser zweite Block des Abends (neben der Eingangsszene im Foyer und der Gesprächsrunde im Kinosaal) bei aller Brillanz des Settings gelegentlich etwas aktionistisch, so als müsse ständig etwas geschehen, wenn die Zuschauer schon dazu gezwungen werden, auf engstem Raum miteinander und mit den Schauspielern auszuharren. Stark ist die Aufführung aber vor allen Dingen in den Momenten, in denen es nicht nur um die Mühsal und Anfeindungen des Soldatendaseins an sich geht, sondern der Zuschauer auch etwas mehr über Einzelschicksale erzählt, persönliche Beweggründe, nach Afghanistan zu gehen, Sehnsucht nach dem Zuhause.


Foto (C) Freihandelszone Köln


Karoline Bendig - red. 16. Dezember 2011
ID 5542
EINE NACHT IN AFGHANISTAN (ehemalig. UFA-Palast am Hohenzollerring Köln, 14.12.2011)
Performer: Anja Jazeschann, Pietro Micci, Stefan H. Kraft, Bernd Rehse, Klaus Maria Zehe | Künstlerische Leitung: André Erlen, Stefan H. Kraft | Regie: André Erlen | Regieassistenz: Madelaine Reiner | Dramaturgie: Klaus Fehling, Nuy |Texte: Klaus Fehling und Ensemble | Produktionsleitung: Rut Profe-Bracht, Armin Leoni | Bühnenbild und Ausstattung: Petra Maria Wirth | Assistenz Ausstattung und Produktion: Kaja Manenbach | Ausstattungshospitanz: Karoline Hafner | Licht: Boris Kahnert | Musik: Marc Appart | Video: Lars Jan |
Mit freundlicher Unterstützung: Kunststiftung NRW, Ministerpräsident des Landes NRW, Kulturamt der Stadt Köln, Fonds Darstellende Künste, Pareto GmbH, in Zusammenarbeit mit Freihandelszone köln
Weitere Termine: 16. und 17. 12. 2011


Weitere Infos siehe auch: http://www.freihandelszone.org/globalizecologne-2011.html





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