25. Januar 2013, Theater Bonn/Werkstatt
GETÜRKT
Jörg Menke-Peitzmeyer
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Getürkt von Jörg Menke-Peitzmeyer am Theater Bonn - Foto © Lilian Szokody
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Ein Stück über einen abgeschobenen Jugendlichen – das kann schwere Kost sein. Das ist Getürkt von Jörg Menke-Peitzmeyer allerdings gar nicht. In gut 90 Minuten wird erzählt, wie aus dem Libanesen Musa der Türke Musa wird, der nach Istanbul abgeschoben wird, weil seine Eltern damals unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Deutschland gekommen sind. Sein Vater hatte behauptet, Libanese zu sein und vor dem Bürgerkrieg geflohen zu sein. Eigentlich stammt die Familie aus der Türkei, und der in Berlin Reinickendorf geborene Musa hat so von einem Tag auf den anderen eine andere Identität.
Menke-Peitzmeyer wurde durch einen Bericht im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zu seinem Stück angeregt. Die Struktur ist simpel: Das Stück steigt bereits in der Abschiebehaft ein, in der sich Musa in der Bibliothek ausgerechnet Kafkas Der Prozess ausleiht. Mit dem freundlichen Hinweis der Bibliothekarin, dass es sich nicht um einen juristischen Ratgeber handele, geht es zurück in das karge Zimmer mit Doppelbett, das Musa mit dem Serben Niksa teilt. Deutsche Literatur ist auch in der letzten Szene mit dem schönen Titel „letzte Sätze“ Thema. Türkisch lernen will Musa nicht, obwohl seine Freundin Ceren, ebenfalls Türkin – aber mit deutschem Pass – ihm ein Wörterbuch schenkt, um ihn in der Abschiebehaft zum Lernen zu motivieren. Am Flughafen von Istanbul strandet Musa letztendlich. Im Transit zwischen alter und neuer Heimat verweigert er sich der Zukunft: Er bleibt einfach, wo das Leben ihn ausgespuckt hat, betritt Istanbul nicht und hängt sein Herz an seine letzten Euro, die er nicht in Türkische Lira umtauschen möchte.
Dazwischengeschaltet sind Szenen aus der Ausländerbehörde. In der Art der Fernsehserie Stromberg berichtet Amtsleiter Trostmann von seinem Büroalltag, den Fällen, die sie bearbeiten. Äußert sich sarkastisch über seine Kollegin und Sachbearbeiterin Ulrike, die immer nah am Wasser gebaut habe. Sie wird mit ihm später um ihre Versetzung ins Einwohnermeldeamt wetten. Immer direkt hinein in eine Kamera erzählt Trostmann von seinen Erlebnissen, seinem Beruf. Ein anderes Mal sieht man, wie er zu Hause Koffer packt und auch seinen alten Hochzeitsanzug mitnimmt nach Istanbul. Könnte ja sein, dass er dort jemanden trifft. Einen viertägigen Istanbulaufenthalt hat er übrigens durchgeboxt als Bildungsurlaub, damit er und seine Mitarbeiter mal sehen können, wohin sie ihre Kunden so abschieben.
Es deutet sich hier schon an, manches in Getürkt ist herrlich politisch unkorrekt, nicht zuletzt, wie der bisherige Libanese und jetzt Türke Musa sich über seine neuen Landsleute aufregt. Manches allerdings ist zu dick aufgetragen, etwa der Verweis auf deutsche Literatur, die Musa liest, und der permanente Verweis auf das Antidepressivum Prozac, das Musa braucht, um alles, was mit ihm passiert, durchzustehen.
Menke-Peitzmeyer hat mit Getürkt ein Stück geschrieben, das 2012 für den deutschen Jugendtheaterpreis nominiert war. In kleinen, klar strukturierten Szenen erzählt er eine unglaubliche Geschichte in einer authentischen Sprache, die dennoch poetische Schönheit nicht ausschließt, etwa wenn Musa von der Haftanstalt als Mutter spricht, aus der er mit neuer Identität herausgezogen worden sei. Marita Ragonese inszeniert das Ganze mit Tempo, Lakonie und wenig Hang zur Betroffenheit. Kongenial das Bühnenbild von Daniela Hohenberger, das aus unterschiedlich großen Holzkisten besteht, die für den Versand benutzt werden und in denen sich Spielorte verstecken.
Auch die vier Schauspieler tragen ihren Teil zu einem kurzweiligen Abend bei, der dennoch zum Nachdenken anregt. Sinan Hancili kauft man den zornigen Mann, der sich plötzlich zwischen allen Stühlen und aus allen Zusammenhängen gerissen sieht, ab. Er weiß sichtbar nicht, wohin mit sich. Schauspielerisch besonders überzeugend: Hans H. Diehl, der in etlichen verschiedenen Rollen seine Wandlungsfähigkeit beweist und die jeweiligen Figuren in wenigen Augenblicken auf den Punkt bringt. Darin ergänzt ihn Fabienne Trüssel wunderbar, die als Sachbearbeiterin Ulrike, Bibliothekarin und Ärztin ebenfalls verschiedene Facetten zeigen darf.
Der eindrücklichste Moment des Abends gehört sicher Elmira Rafizadeh als Musas Freundin Ceren. Sie versucht, über ein gespanntes Seil zu balancieren und zu ihrem entfernten Freund zu gelangen. Doch es gelingt ihr nicht. Wie ihre gemeinsame Geschichte ausgeht, lässt der Abend offen.
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Getürkt in der Werkstatt des Theater Bonn - Foto © Lilian Szokody
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Karoline Bendig - 28. Januar 2013 ID 6512
GETÜRKT (Werkstatt des Theaters Bonn„ 25.01.2013)
Inszenierung: Marita Ragonese
Bühne: Daniele Hohenberger
Kostüm: Diana Zöller
Kamera/Schnitt: Eva-Maria Kühling
Besetzung:
Musa ... Sinan Hancili
Ceren ... Elmira Rafizadeh
Ulrike/Bibliothekarin/Ärztin ... Fabienne Trüssel
Trostmann/Niksa/Polizist/Prostituierte ... Hans H. Diehl
Sprecher ... Dominik Graf
Uraufführung im BAAL novo-THEATER Offenburg war am 5. Oktober 2012.
Premiere in Bonn war am 9- Januar 2013
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater.bonn.de
Post an Karoline Bendig
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