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Er ist ein Model, und er sieht gut aus - Götterdämmerung am Anhaltischen Theater Dessau



GÖTTERDÄMMERUNG in Dessau - Foto (C) Jan-Pieter Fuhr

Da sich dieser Abend kontinuierlich steigert und man dadurch mit einem positiven Gefühl nach Hause fährt, fange ich wie ein Bote an, der eine gute und eine schlechte Nachricht hat: Also das Schlechte zuerst. Wenn der Übertitelungsbeamer spinnt und die Texte zwischendurch so flimmern, dass sie eher stören als nützen, nun ja, das kann passieren. Aber dass bei langen Zeilen die hintere Silbe am rechten Proszenium runterbaumelt wie ein Schluck Wasser in der Kurve: So etwas sollte sich doch spätestens in der ersten Pause korrigieren lassen. Überdenkenswert wäre ferner das Bühnenhorn im dritten Aufzug, welches beim Eintreffen der Jagdgesellschaft aus einem Lautsprecher tönt. Zumindest klingt es so. Und auch wenn im Programmheft an die Entstehungsgeschichte des Librettos erinnert wird und die Regie im Schlussbild einen kleinen, niedlichen, neugierig ins Publikum blickenden Siegfried an die Rampe schickt, um damit die Brücke zum Prequel zu schlagen: Die Dramaturgie kann in der Götterdämmerung nicht plausibel machen, weshalb der Dessauer Ring rückwärts inszeniert wird.

Was aber diesem Werk - Achtung: Wortspiel - sehr wohl steht, ist das Bündnis, welches Bühne und Bauhaus-Tradition hier eingehen. Das heißt: Zum Raum wird hier die Funktion. Oder anders: Quadrate, Kreise, klare Linien – also Geometrie, aber wie. Geradezu ein Meisterstreich von Jan Steigert ist sein schwarz lackierter Walkürenwürfel (denn von einem Felsen kann jetzt nicht mehr die Rede sein), welcher sich auf Knopfdruck in eine elegante Treppe verwandeln lässt. Unterbühne und Schnürboden stehen selten still, es wird gepixelt und projiziert, was die Apparate hergeben, Erinnerungen an den Bayreuther Design-Ring (Alfred Kirchner / rosalie) werden wach. Dass da auch Murks dazwischen ist - rote Blutkörperchen zur Blutsbrüderschaft, buntes Geflacker zum Trauermarsch - darf man gern übersehen.

Dieses Bühnenkonzept integriert der inszenierende Hausherr André Bücker ebenfalls in die Führung der Charaktere. Gunthers Unsicherheit, dieses Schwanken zwischen den Positionen, wird durch eine zitternde Hand symbolisiert, Siegfried schreitet in mechanischen Stechschritten seinem Untergang entgegen: Der Held als Kampfroboter ohne Seele, als manipulierbarer Automat. Im letzten Aufzug werden beide mit Hagens Speer kaltgestellt, nein, eher wie ein System heruntergefahren, welches außer Kontrolle geraten ist. Wer diese Bewegungen als reines Stilelement à la Bob Wilson abtut, übersieht die Anspielung auf eine Welt voller Plastikgefühle. Genau davon kann im Finale keine Rede mehr sein, wenn sich dieser Wagner langsam von hinten heranschleicht, uns quasi überrumpelt: Man kommt ins Schwitzen, ins innere Lodern - und dann tritt der eigene Rhein über die Ufer…

Die Brünnhilde ist für Dessaus Soprandiva Iordanka Derilova Glanzrolle und Grenzpartie zugleich. Bis zum Schlussgesang spart sie sich ihre Kräfte auf, um genau an dieser Stelle - einem Startschuss gleich - mit glühender Attacke in die Vollen zu greifen. Was für eine schneidend emphatische Höhe, welch’ Unterleib! Im ersten Aufzug ist es Rita Kapfhammer, die den Anker lichtet und den Abend überhaupt erst ins Rollen bringt. Sie verortet Wagner beim Liedgesang und serviert eine so herrlich detailbetonte, klug phrasierende und textdeutliche Waltraute, dass diese Szene zum magischen Augenblick gerät. Zwei Damen also, die aus der Sängerschar herausragen. Doch auch Gibichungen (mehr als souverän: Ulf Paulsen, Stephan Klemm, Angelina Ruzzafante), Siegfried (solide: Arnold Bezuyen), Nornen, Rheintöchter, Chor, Extrachor und Extra-Extrachor (coruso) überzeugen: Das Theater Dessau kann diese Besetzung mit stolzgeschwellter Brust in den Ring schicken!

Nicht ganz auf diesem Niveau musiziert die Anhaltische Philharmonie unter GMD Anthony Hermus: Das Wagnersche Fließen will sich noch nicht so recht einstellen, die Tempi klingen zu breit, die Leitmotive verbeult. Bei den Blechbläsern und dem Schlagwerk vermisst man Präzision, mitunter auch Konzentration. Aber das wird schon.




GÖTTERDÄMMERUNG in Dessau - Foto (C) Jan-Pieter Fuhr


Heiko Schon - 5. Juli 2012
ID 6070
GÖTTERDÄMMERUNG (Anhaltisches Theater Dessau, 30.06.2012)
Musikalische Leitung: Antony Hermus
Inszenierung: André Bücker
Bühne: Jan Steigert
Kostüme: Suse Tobisch
Projektionen: Frank Vetter, Michael Ott
Dramaturgie: Sophie Walz, Felix Losert
Besetzung:
Siegfried … Arnold Bezuyen
Gunther … Ulf Paulsen
Hagen … Stephan Klemm
Alberich … Nico Wouterse
Brünnhilde … Iordanka Derilova
Gutrune … Angelina Ruzzafante
Waltraute, 1. Norn, Flosshilde … Rita Kapfhammer
2. Norn, Wellgunde … Anne Weinkauf
3. Norn, Woglinde … Cornelia Marschall
Der neue Siegfried … Marc Wodner
Anhaltische Philharmonie
Opernchor und Extrachor des Anhaltischen Theaters
coruso Erster Freier Deutscher Opernchor e. V.
(Choreinstudierung: Helmut Sonne)
Premiere war am 12. Mai 2012


Weitere Infos siehe auch: http://www.der-ring-in-dessau.de


Post an unseren Rezensenten Heiko Schon



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