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Rezension


26. Juni 2011, africologne – festival des afrikanischen theaters

Incessants – Unaufhörlich

von Guy Junior Régis


UNAUFHÖRLICH von Guy Junior Régis - Foto (C) africologne - festival des afrikanischen theaters

Ungerührt, fast unauffällig im Halbschatten auf der Bühne rezitiert Darsteller Hypolitte Kanga den Prolog in Dauerschleife; und das, noch während die Zuschauerreihen sich füllen. Erst nach einigen Minuten verstummen langsam die noch eben locker plaudernden Gäste. Wie lange der Mann dort bereits kauert, man weiß es nicht. Fast peinigend ist nun die ständige Wiederkehr der hypnotisch sich entladenden Wörter, die minutiös beschreiben, wie ein Mensch von einer Kugel getroffen wird; als erlebe er seinen Schmerz durch die Wortsalven wieder und wieder.

Die Verwundbarkeit des Körpers ist dann auch zentrales Thema in Incessants - Unaufhörlich, eine Bühnenadaption des Prosatexts von Guy Régis Jr aus Haiti. So findet sich also auch ein karibisches „Kuckucksei“ unter den anderen ausschließlich westafrikanisch-frankophonen Beiträge, die in das Programm des erstmals stattfindenden Festivals africologne aufgenommen wurden. Der künstlerische Leiter des Theater im Bauturm, Gerhardt Haag, zeichnet zusammen mit Dramaturgin Kerstin Ortmeier für das Gesamtkonzept des Ende Juni veranstalteten Festivals verantwortlich – beide stehen bereits seit längerem mit Etienne Minoungou in Kontakt, der mit dem Festival Récréâtrales in Burkina Faso auch in Zukunft mit Köln kooperieren wird. Mit der Aufnahme von Incessants ins Programm haben sie ein glückliches Händchen bewiesen. Nicht zuletzt, weil hier ein komplexer, schwer zugänglicher Text mit solidem Theaterhandwerk und Sensibilität bühnentauglich bearbeitet und umgesetzt wurde.

Regisseur Patrick Joseph, wie auch der Autor aus Haiti stammend, lässt seinen burkinischen Alleindarsteller Kanga als gottverlassener, vom Leben gezeichneter Kleinkrimineller sich buchstäblich die Seele aus dem Leib spielen. Joseph, der zuvor mit einer Darstellerin gearbeitete hatte und auch bühnentechnisch umdisponieren musste, gönnt dem Akteur wie auch dem Publikum keine Atempause. Mit brachialer Wortgewalt und kraftvoller Geste erzählt/spielt ein eigentlich ans Krankenbett gefesselter junger Haitianer sein Martyrium der letzten Jahre nach. Bis zu dem fatalen Schuss, der ihn im Hospital nur noch dahinsiechen lässt, sind seine Erfahrungen ausnahmslos bittere – Querschüsse, die ihn unaufhörlich auf sich selbst zurück werfen. Da wäre seine sich prostituierende Mutter; das kriminelle Umfeld, in das er mit seinen Freunden gerät; die Willkür von Staat und Polizei; das traumatische Zwischenspiel in Guantánamo; und zu guter Letzt die Perfidie der Ärzte. Und immer wieder Hohn, der ihm aufgrund seiner Andersartigkeit entgegenschlägt und ihn alle Träume von Amerika und vom Meer begraben lässt.

Wie dieser gesellschaftspolitisch brisante, sprachlich dichte Text in eine fast schon beunruhigende Dreidimensionalität übersetzt wurde, ist einer alles ausreizenden Schauspielerleistung sowie auch einer Regie und Bühnengestaltung zu verdanken, die eine schnörkellose Inszenierung mit klarer Bildersprache schafft, kein pathetisches Dritte-Welt-Drama. So wurde bei der neuen Bearbeitung ein gutes Stück Text gekürzt und Licht- und Musikeinsatz auf ein Minimum reduziert. Nur gelegentlich untermalt ein Rauschen wie aus einem Funkgerät oder ein Stimmengewirr aus dem Off die Kopfwelt des jungen Antihelden, dessen Körper selbst zur Gefängniszelle wurde. Eine Zuflucht hat er jedenfalls nirgends mehr. Da bleiben als materielle Fixpunkte auf der Bühne auch nur das „Bett“ in Gestalt eines schaukelartig schwebenden Bettes, und darunter eine Art Podest, das sich bei näherem Hinsehen als Zielscheibe entpuppt. Ein gewitzter Einfall, denn diese Scheibe kippt, wenn man sich aus ihrer Mitte entfernt. Der junge Mann macht eben dies unentwegt, meist mit Körperbeherrschung, bisweilen aber auch haltlos taumelnd. Dann wieder simuliert er auf den kippbaren „Planken“ den wilden Seegang, den er nicht mehr erleben wird.

Sicher, die Identifikationsmomente sind rar gesät – es ist eine fremde Welt, die da erzählt wird, es sind Extremsituationen in Reinform, die der durchschnittliche Theaterbesucher allenfalls aus der Zeitungsrubrik „Globales“ kennt. Auch an das westafrikanische, melodiöse Französisch muss sich gewöhnen, wer bislang nur das Pariser Schulfranzösisch kennengelernt hat – die deutsche Übertitelung ist aus unerfindlichen Gründen bloß fragmentarisch. Und doch gibt es da immer wieder diese Augenblicke, die im Gedächtnis haften bleiben, weil sie den Zuschauer fern von jeglichem Betroffenheitsjournalismus mit prallem menschlichen Drama konfrontieren. Der junge todgeweihte Mann hat seine Gegenspieler zwar nur vor dem inneren Auge gegenwärtig; trotzdem meint man, sie Gestalt annehmen zu sehen wie Dämonen aus der Vergangenheit. Vieles muss man diesen Stimmen nicht mehr hinzufügen; es ist klug, dass sich die Regie an den entscheidenden Stellen zurücknimmt und nicht mehr in die Worte des Stücks hineingelegt wird als unbedingt nötig. Der Inhalt spricht für sich, ausschlachten muss man da nichts mehr. Und Schmerz ist eine universelle Sprache.



UNAUFHÖRLICH von Guy Junior Régis - Foto (C) africologne - festival des afrikanischen theaters


Jaleh Ojan - red. 4. Juli 2011
ID 5274
INCESSANTS - UNAUFHÖRLICH (Theater im Bauturm Köln, 26.06.2011)
von Guy Junior Régis
Mit: Hypolitte Kanga
Inszenierung: Patrick Joseph
Bühne: Flavia Schwedler
Dramaturgie: Kerstin Ortmeier


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-im-bauturm.de


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