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2. bis 7. April 2012, Theater Freiburg

DER RING DES NIBELUNGEN



DER RING DES NIBELUNGEN am Theater Freiburg - Foto (C) Maurice Korbel


Von Puppen und Pappkartons

Das Rheingold , 2. 4. 2012: Blackout. Sachte kräuseln sich die 136 Es-Dur-Takte in den Saal, das Blech gewinnt rasch die Oberhand, Alberich nestelt am großen Roten und - Wusch! - verschwindet hinter selbigem. Die Rheintöchter trippeln in feuerfarbigen Paillettenkleidchen heran, der Lappen geht hoch, jedoch nur, um den Blick auf gleich mehrere rote Vorhänge freizugeben. Theater im Theater? Kunst versus Kommerz? Ja, klar. Doch lässt Wagner nicht auch vom „roten Gold“ singen? Der Zwerg gibt Butter bei die Fische und zeigt ihnen kurzerhand, was er unterm Trenchcoat zu bieten hat. Daraufhin fliegt ein BH, später der Stinkefinger - ein frecher Start also. Aus den Göttern ist ein dekadent-dümmlicher Haufen aus Feiglingen, Proleten und Schicksen geworden. Sie beziehen ihr neues Domizil erst, nachdem sie auf der Welt eine Menge Müll hinterlassen haben. Mal gucken, wie der Regisseur aus der Nummer rauskommen will, dass Erda (offenbart mezzodramatische Urtiefen: Anja Jung) hier eine Seite Wotans ist, quasi sein schlechtes Gewissen.

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Die Walküre, 3. 4. 2012: Der Blick von Frank Hilbrich auf eine rastlos gewordene Gesellschaft, auf Zwänge und Mechanismen vertieft sich. Siegmund rennt, sein ganzes junges Leben lang. Der erste Aufzug mit seinen drei Figuren spielt sich hier in drei Kammern ab. Das Parkett muss aus dem Holz einer Esche stammen, darauf steht ein Sofa, zwischen beidem steckt Nothung. Eine gute Regie braucht auch nicht mehr als Schattenspiel und Scherenschnitt (Licht: Michael Philipp). Das ist ganz im Hier & Heute angesiedelt, ganz pur, ganz Mensch: Wagner ohne jede Mythentümelei, Wagner, der durch jede Pore dringt. Hat Brünnhilde bei Wotan auch eine richtige Kindheit erlebt: Was Liebe bedeutet, wird ihr erst durch Siegmund offenbart. Nachdem Brünnhilde ihm begegnet ist, kann sie nicht mehr zurück. Nicht zurück in ihr Kinderzimmer, zu ihren Schwestern, ihrem Vater. Wenn Wotan zum Feuerzauber Grabkerzen aufstellt, wird damit subtil angedeutet, dass seine Tochter für ihn gestorben ist. Der Inhalt der Walküre heißt hier also, ganz simpel: Ein Mädchen wird erwachsen. In Wotan keimt die Art von Eifersucht, die ein Vater empfindet, wenn seine Tochter den ersten Freund mit nach Hause bringt und flügge wird. Nie ist das plausibler erzählt worden, als hier (Sigrun Schell und Peteris Eglitis singschauspielern das erstklassig). Und weshalb Bayreuth bei Roberto Gionfriddo und Anja Jung noch nicht Ding-Dong gemacht hat, ja, das fragt man sich.

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Siegfried, 5. 4. 2012: Nach dem Alt-68er-Loge und dem Struwwelpeter-Siegmund legt Roberto Gionfriddo mit dem an Parkinson erkrankten Mime seinen nunmehr dritten, wiederum völlig anders porträtierten Ring-Charakter vor. Den von Christian Voigt souverän verkörperten Siegfried hätte man dagegen gern weniger knödelnd gehört. Auch inszenatorisch knickt das Ganze ein: Die von der Regie an die Rampe geschickten, stummen Jung-Siegfriede lösen nicht mehr als ein Schulterzucken aus, Erda als Spiegelbild Wotans ist doppelt gemoppelt, wenn nicht sogar unsinnig. Dass der Mythos nicht vollends aus dem Werk getrieben werden kann (und damit die Dramaturgie in Erklärungsnot gerät), muss auch Frank Hilbrich erkannt haben, der nun die Hauptpersonen auf die rote Couch legt: Ein schizophrener Wotan, ein Siegfried, der einen Vogel hat, und eine Brünnhilde, die ein schweres Trauma durchlebt. Aber ist Wahn wirklich die einzige Möglichkeit, wenn man mit Logik nicht mehr weiterkommt? Eine (zu) einfache Lösung, die am Ende freilich wenig hilft: Es ist der szenisch bislang schwächste Teil der Tetralogie. Dafür feuern Erda (Anja Jung), Brünnhilde (Sigrun Schell), Alberich (Neal Schwantes) und das unter Fabrice Bollon sagenhaft aufspielende Philharmonische Orchester Freiburg aus vollen Rohren.

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Götterdämmerung, 7. 4. 2012: Was ist das für ein geniales Bühnenbild! Volker Thiele hat sich einen in seiner Einfachheit dennoch raffinierten, silbrig schimmernden Kasten einfallen lassen, der wie eine riesige Ziehharmonika aussieht. Der Ruf Hagens nach den Mannen raubt einem den Atem: Gary Jankowski, Fabrice Bollon, Opern-, Extra- und Zusatzchor ziehen an einem Strang, singen und musizieren auf Spitzenniveau - Wow! Nachdem die Regie mit ihrem Konzept in Siegfried am Ende schien, wagt sie den Schnitt - und kommt wieder auf Kurs. Die Nornenszene als Alptraum Brünnhildes, der Besuch Waltrautes als logische Weiterentwicklung des Familienkonflikts, ein Held, der keinen Zaubertrank benötigt, um zu lügen, dass sich die Balken biegen, sowie eine Ehe, deren Ende heraufdämmert: Hier durchkreuzt das Libretto nicht mehr die gezeigte Handlung. Hilbrich erzählt den letzten Tag überwiegend als Rosenkrieg, als Eifersuchtsdrama. Nachdem Siegfried (trotz angesagter Indisposition bewältigt Christian Voigt diesen Siegfried deutlich besser) ein Auge auf Gutrune geworfen hat, will er Brünnhilde loswerden. Dumm ist nur, dass diese noch immer im Besitz seines Liebespfandes - des Ringes - ist. Das ist kein schlechter Ansatz. Allerdings ist man im zweiten Aufzug irritiert, dass Siegfried den Ring dann doch wieder am Finger trägt, zumal er von Brünnhilde bei der Überwältigung erkannt wurde. Egal, Schwamm drüber. Denn letztendlich kann es nicht um einen Ring gehen, der doch nur Mittel zum Zweck ist, nur eine Ausrede für Fehlentscheidungen. Brünnhilde (darstellerisch eine glatte Wucht: Sabine Hogrefe) wirft ihn zurück ins Publikum, die Botschaft ist klar: Besinnt euch eurer wahren Werte, schaltet das Hirn ein! Und geht ins Theater!


DER RING DES NIBELUNGEN am Theater Freiburg - Foto (C) Maurice Korbel


Heiko Schon - 9. April 2012
ID 5835
DER RING DES NIBELUNGEN (Theater Freiburg, 02.-07.04.2012)
Musikalische Leitung: Fabrice Bollon
Inszenierung: Frank Hilbrich
Bühne: Volker Thiele
Kostüme: Gabriele Rupprecht
Licht: Michael Philipp
Dramaturgie: Bernhard Moncado
Videoaufnahmen: Maurice Hübner (Die Walküre) / Viviane Andereggen & Monica Gillette (Götterdämmerung)
Besetzung:
Wotan / Der Wanderer … Peter Eglitis
Donner … Matthias Flor
Froh … Sung-Keun Park
Loge / Siegmund / Mime (Siegfried) … Roberto Gionfriddo
Alberich … Neal Schwantes
Mime (Das Rheingold) … Christoph Waltle
Fasolt … Jin Seok Lee
Fafner / Hunding / Hagen … Gary Jankowski
Fricka (Das Rheingold) / Brünnhilde (Die Walküre / Siegfried) / Gutrune … Sigrun Schell
Freia / Ortlinde / 3. Norn … Jana Havranová
Erda / Fricka (Die Walküre) / Schwertleite / Waltraute (Götterdämmerung) / 1. Norn … Anja Jung
Wogline / Stimme des Waldvogels … Lini Gong
Wellgunde / Waltraute (Die Walküre) … Sally Wilson
Flosshilde / Rossweisse … Qin Du
Sieglinde … Mona Somm
Helmwige … Julia Thornton
Gerhilde … Kyoung-Eun Lee
Siegrune … Anja Vincken
Grimgerde … Jelena Milović
Siegfried … Christian Voigt
Gunther … Wolfgang Newerla
Brünnhilde (Götterdämmerung) … Sabine Hogrefe
2. Norn … Roswitha C. Müller
Opernchor, Extrachor, Zusatzchor
Philharmonisches Orchester Freiburg
Premieren waren am 2. Oktober 2006 (Das Rheingold) / 8. Juni 2008 (Die Walküre) / 14. Juni 2009 (Siegfried) und 16. Mai 2010 (Götterdämmerung)
Nächster Zyklus: 25. / 26. / 28. / 30. 5. 2012


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater.freiburg.de


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