Wagner, Wagner und kein Ende... (200. Geburtstag)
|
Das Kind im Manne - Siegfried (Nationaltheater Mannheim)
|
Das sind Uwe Eikötter (als Mime) und Jürgen Müller (als Siegfried) in der altbewährten Sichtnahme durch Achim Freyer... am Nationaltheater Mannheim - Foto (C) Hans Jörg Michel
|
Gelb und grün? In zwei unterschiedlich farbigen Schuhen flitzt Achim Freyer von der rechten Seitenbühne zur linken. Er grinst und wuselt, herzt und winkt, und wirft damit die Applausordnung kurzerhand über den Haufen. Pfff, von wegen Schlussvorhang: Wer Theater macht ist niemals fertig! Eher würde einer wie er einfach kehrt machen, die Rolle rückwärts wagen - und sei es mitten im Mannheimer Ring. Achim Freyer kann also gar nicht anders, als in Siegfried die Kindheit zum Thema zu machen, auch die eigene. Der Regisseur blickt nämlich an den Start seiner Laufbahn zurück, als er noch Schüler von Bertolt Brecht war. Das war zwar schon bei Rheingold und Walküre der Fall, doch nun taucht ein weiteres Werkzeug aus dem Theaterkasten seines Mentors auf - die sogenannte Brecht-Gardine. Dieser beidseitig aufziehbare Stofffetzen hängt auf halber Bühnenhöhe an einem gespannten Draht und verbirgt das dahinter ablaufende Geschehen, zumeist schlecht als recht. Das ist freilich so beabsichtigt, man spricht auch von einem „Vorgang hinter Vorhang“. Darüber hinaus verströmt die Brecht-Gardine hier einen Hauch Commedia dell'arte: Wanderer und Mime spielen Verstecken, Alberich nutzt sie für eine Gardinenpredigt, die sich gewaschen hat, und Siegfried schlägt vor ihr zirkusreife Purzelbäume. Ja, es darf folglich gelacht werden.
Der erste Akt zeigt ein pubertierendes, scheinbar schwer zu bändigendes Pflegekind. Doch Ziehvater Mime weiß sich zu helfen, wenn auch mit Erziehungsmethoden, die eindeutig abzulehnen sind. Er fesselt Siegfried am Bett, um ihn mit Tierfilmen und Drogen gefügig zu machen. Freilich ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Hormone derart angestaut haben, dass sie jeden Strick zum Reißen bringen. Doch dieser Kasper wird für immer Kaspar Hauser bleiben: Sozial und emotional zurückgeblieben, ein manipuliertes und naives Menschenkind, eben der Unfreieste aller. Wenn Siegfried mit dem Horn auf dem Kopf (geniale Idee: ein roter Trichter) diesen Ort der Kälte hinter sich lässt, um gegen Drachen zu kämpfen und Gretel - Quatsch - Brünnhilde zu befreien, dann stehen im Geiste die Narren dieser Welt Spalier. Dabei gelingen Freyer immer wieder Bilder, die poetisch und hoch virtuos sind, vor allem im inszenatorisch geschlossensten Akt, dem dritten. Hier zeigt sich, dass es zwischen Brünnhilde und Siegfried niemals funktionieren kann, es keine Beziehung auf Augenhöhe ist. Und hier trifft Wotan/Wanderer ein letztes Mal auf Erda, deren Wunden nicht mehr heilen wollen, sowie auf Fasolt, das erste Opfer des Rings. Dass der Erbauer Walhalls wie eine alte Statur in sich zusammenkracht, deutet auf nichts anderes hin, als dass die Götterdämmerung bereits in vollem Gange ist.
Gesanglich gibt es ebenfalls wenig zu beanstanden - mit Ausnahme der Brünnhilde. Schon die Hojotoho's in der Walküre haben es angedeutet: Die Höhe zählt nicht unbedingt zu den Stärken von Judith Németh. Umso erstaunlicher, dass sie jetzt die noch höher liegende Siegfried-Brünnhilde übernommen hat, wobei man bei „übernommen“ schon bei der passenden Beurteilung ihrer Leistung ist. Sobald Németh viel Kraft benötigt, wird’s ziemlich schnell eng und damit schrill, läuft ihr die Intonation aus dem Ruder, münden hohe C's im Schrei. Jürgen Müller schlägt sich nicht optimal über die Runden. Wenn sich der Graben zurückhält und sein Siegfried an der Rampe stehen darf, dankt es Müller mit guter Textverständlichkeit und sauberer Stilistik. Doch im Gegensatz zu Meiningen oder Lübeck verlangt ein Haus dieser Größenordnung nach einem Heldentenor. Und ein solcher ist Müller, mit Verlaub, nicht. Uwe Eikötter hingegen ist ein fantastischer Mime, köstlich buffonesk und berückend in der Phrasierung; Jürgen Linn singt den Alberich mit viel Quarz im Bariton; Thomas Jesatko läuft als herrlich sonorer Wanderer abermals zur Hochform auf, und auch die Übrigen - Edna Prochnik als Erda, Antje Bitterlich als Waldvogel und Sung-Heon Ha als Fafner - legen gelungene Porträts vor.
Dan Ettinger wählt für sein Dirigat den breiten Pinsel und huldigt dem romantischen Rausch. Selten hört man die Vor- und Zwischenspiele (Übergang von 2. zur 3. Szene, 3. Akt) so energiegeladen, das finale Liebesduett so farbintensiv, so schillernd, so ergreifend. Glücklich auch die Wahl der Tempi. Nur innerhalb der Rätselszene im ersten Aufzug kommt Ettinger mal kurz die Spannung abhanden.
|
Und das ist auch - man ahnt es kaum - ein Szenenbild aus Wagners Siegfried, frei nach Achim Freyer, in der Nationaltheater-Mannheim-Produktion - Foto (C) Hans Jörg Michel
|
Heiko Schon - 3. Dezember 2012 ID 6416
SIEGFRIED (Nationaltheater Mannheim, 01.12.2012)
Musikalische Leitung: Dan Ettinger
Inszenierung, Bühne, Kostüme, Lichtkonzept: Achim Freyer
Dramaturgie: Tilman Hecker
Mitarbeit Regie: Sebastian Bauer, Tilman Hecker
Mitarbeit Bühne / Kostüme: Petra Weikert
Licht: Sebastian Alphons
Besetzung:
Brünnhilde ... Judith Németh
Erda ... Edna Prochnik
Waldvogel ... Antje Bitterlich
Siegfried ... Jürgen Müller
Mime ... Uwe Eikötter
Alberich ... Jürgen Linn
Fafner ... Sung-Heon Ha
Wanderer ... Thomas Jesatko
Orchester des Nationaltheater Mannheim
Premiere war am 1. Dezember 2012
Weitere Termine: 9. / 23. 12. 2012
Weitere Infos siehe auch: http://www.nationaltheater-mannheim.de
Das Rheingold am Nationaltheater Mannheim (30.10.2011)
Die Walküre am Nationaltheater Mannheim (25.03.2012)
Post an Heiko Schon
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
RUHRTRIENNALE
TANZ IM AUGUST
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|