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Bayreuther Festspiele 2011

Rüben

gegen

Hungersnot


Günther Groissböck (als Landgraf) überzeugte uns, nicht nur durch seine imposante Stimme, am allermeisten in dem neuen TANNHÄUSER auf dem Grünen Hügel - Foto (C) Bayreuther Festspiele GmbH / Jörg Schulze


Auf dem WWW-tauglichen Festspielpodcast kann man (schon das vierte Jahr) so kleine Kurzfilmchen von ca. drei Minuten Dauer rund ums aktuelle Hinter-den-Kulissen-der-Bayreuther-Festspiele-Geschehen anklicken - die schaue ich mir jeden Tag, so zwischendurch, mal an. Auch kommen jeden Tag dann neue kleine Kurzfilmchen dazu; ja und man hält sich, derart informiert, tatsächlich irgendwie so auf dem Laufenden, also was "hinter den Kulissen" Bayreuths so passiert.

Zu sehen sind da auch zwei aktuelle Beiträge zum neuen Tannhäuser. Sie tragen die Überschriften "Der Kreislauf" und "Lasset uns beten". Und erklärt werden uns hier zum Einen jener bühnenbildnerische Apparat des niederländischen Objektkünstlers Joep van Lieshout - und der hatte sich so eine Art von Energiekreislauf aus Gas und Flüssigkeiten mit gigantisch anmutenden Kesseln und sie im Verbund haltenden Schläuchen, wohindurch die viele Energie so fließt, erdacht - ja und zum Anderen die stückplotübergreifenden Aktivitäten des vom Regisseur Sebastian Baumgarten hinzu erstellten Kollektivs aus 20 Aktionistinnen und Aktionisten. Und das hörte sich doch Alles imposant-interessant an, was es da zu sagen gab.

Auf alle Fälle kriegten auch sehr nahr- und vitaminreiche Gemüse (Rüben? Sellerie??) eine nicht nebensächliche Bedeutung bei dem installierten und geschlossenen System, was wiederum ein Synonym für jene Eisenach'sche Wartburg - wo der Hauptakt aus dem Tannhäuser mit seiner Zuspitzung im sogenannten Sängerkrieg bekannter Maßen spielt - gewesen sein sollte; wie immer und wie vielfältig sich alles Das am Schluss der Chose dekodieren ließe - - es macht wirklich einen Heidenspaß, darüber exemplarisch nachzusinnen! Und obgleich es nicht bei allen Festspielgästen, die (mitunter arg verstört) der inszeniererischen Logik nicht mehr folgen konnten oder wollten, positiv dann angekommen war.

Egal.



Der Hörselberg im TANNHÄUSER als Käfig, woheraus Stephanie Friede (als geschwängerte Venus) kräftig ragt - Foto (C) Bayreuther Festspiele GmbH / Enrico Nawrath



Es geht also "nicht nur" um Sex oder Moral in dieser über-übersichtlich aufgebauten Produktion. Carl Hegemann, der (wie schon bei dem Schlingensief'schen Parsifal vor sieben Jahren) für das Dramaturgische verantwortliche "Theoretiker", mahnte im Vorfeld schon mal an, sich nicht ausschließlich auf gehob'ne Unterhaltung so zu Festspielzwecken einstellen zu wollen. Eine alljährliche Wiederaufbereitung der Synthese zwischen Denken und Genießen - aber ausgerechnet dieses schöne Wechselbad erwartet ja der Festspielgast in Bayreuth, oder etwa doch nicht??

* * *

Tannhäuser (Lars Cleveman) ist Künstler, und als solcher auf die immerwiederkehrende Abfolglichkeit von Liebe, Lust und Leid in seinem Leben eingestellt. So funktioniert es aber auch - also über die Künstlerhybris weit hinaus - bei jedem mehr oder weniger gesunden und vernunftbegabten Menschenwesen; nur so "Trieb-Tiere" (im Venusberg der Inszenierung mittels einer kopulierenden Affenhorde dargestellt) sehen das etwas anders oder einseitiger - hübscher Heiterkeitseinfall im Übrigen, wie diese Triebtierhorde aus dem Unterboden in 'nem runden Zirkuskäfig "auf die Wartburg" hochgefahren kommt. Frau Venus (Stephanie Friede), die dann höchstwahrscheinlich die Dompteuse dieser Tiere ist, hat man wohl auch noch nie zuvor so schwanger sehen können wie im aktuellen Fall. Das Kind dürfte vom Tannhäuser abstammen, irgendwie dann logisch. Ja und als sie es tatsächlich ganz am Schluss des Dritten Aktes kriegte, also kurz nach der Geburt, hebt sie es stolz empor und lässt es rührselig herumgereicht sein - ein Kind der Venus und des Tannhäuser, o ja: Alles wird gut!

Für diesen biologisch-familiären Glücksfall hatten/haben dann die Sänger auf der Wartburg keinerlei Verständnis. Und noch immer gilt der altmodische Grundsatz: Kunst ist für die Kunst da, und sie sollte uns emotional bereichern - nichts von Schweinereien (und die Liebe Tannhäusers, also zur Schlampe Venus, galt und gilt noch immer als ein Staatsverbrechen ersten Grades); lange Rede kurzer Sinn: Der Delinquent, nachdem er sich mit seiner sexuellen Irrgeleitetheit vor seinen männlichen Kollegen brüstete, wird aus dem "anständigen" Kreise der Gesellschaft ausgestoßen und soll Buße tun beim Papst in Rom.



Katja Schubert (als junger Hirt) trimmt sich boxfit, und Michael Nagy (als Wolfram von Eschenbach) wirft sich schlichtend zwischen Lars Cleveman (als Tannhäuser) und den ihn bedrohen wollenden Thomas Jesatko (als Biterolf) - Foto (C) Bayreuther Festspiele GmbH / Enrico Nawrath



Aber das Alles - also dieser ganze librettöse Unfug mit der Büßerpilgerfahrt des Fehlgeleiteten - interessierte das Regieteam einen feuchten Dreck: zurecht!!

Viel spannender würde es sein im Nachhinein dann zu erfahren, ob und wie die Welt, die Tannhäuser verließ oder verlassen musste, Jahre später sich verändert hätte oder hat; ja und da gab es einen hochgenialen Einfall im Zusammenhang mit dem erfund'nen Energiekreislauf-System, denn: Irgend so 'ne Fehlbedienung oder irgend so ein terroristisch-bakterieller Angriff (von woher?) brachte den Überlebenszyklus zum Erlahmen; also nichts war dann mehr wie es einstmals war. Die Kessel liefen über, und es zischte nur noch Dampf; und Alle rinmgsumher schienen durch eine ansteckende Krankheit infiziert zu sein.

So endete - mit Abstrich dieser positiven Kindsgeburt der Venus (s.o.) - diese ganze Scheiße.

Thomas Hengelbrock - er pochte auf die ursprüngliche Dresdner Fassung dieser Oper; doch er musste sich auf ein paar Kompromisse, die die Festspielleitung (aus rein kommerzieller Sicht heraus; auch weil sie "fürchtete", die angestammte Klientel mit einer Aussparung von allbekannten Hits aus Tannhäuser gar zu verprellen) angeregt hatte, einstellen - dirigierte leicht und luftig-lau. Kein Pompgetöse, keine Schwerkraft. "Bloß" ein wiesenblumenreiches Fest für Ohr & Geist!! / Der Festspielchor war in der allerbesten Form; er klang an manchen Stellen (Pilgerchor) so "wie ein Mann". // Gesanglich überzeugte Günther Groissböck als der Landgraf - was für eine großartige Stimme! was für'n imposanter Kerl!! Michael Nagy spielte und sang uns einen Wolfram, wie wir uns ihn so erträumen. Katja Schubert witzelte als junger Hirte und kam gut mit ihrem Sopran an. Camilla Nylund fehlte es an Inbrunst und gesanglicher Zurückgenommenheit besonders bei Elisabeths Gebet. Alles in Allem:

Es gibt Schlimmeres.



Der womöglich durch eine Lebensmittelvergiftung etwas pockig ausschauende Lars Cleveman (als Tannhäuser) erzählt, sichtlich auch demoralisiert, von seiner Kurzaudienz beim Papst in Rom - Foto (C) Bayreuther Festspiele GmbH / Enrico Nawrath


Andre Sokolowski - 3. August 2011
ID 5310
TANNHÄUSER (Bayreuther Festspiele, 01.08.2011)
Musikalische Leitung: Thomas Hengelbrock
Inszenierung: Sebastian Baumgarten
Bühnenbild: Joep van Lieshout
Kostüme: Nina von Mechow
Licht: Franck Evin
Video: Christopher Kondek
Dramaturgie: Carl Hegemann
Chor: Eberhard Friedrich
Besetzung:
Hermann, Landgraf von Thüringen ... Günther Groissböck
Tannhäuser ... Lars Cleveman
Wolfram von Eschenbach ... Michael Nagy
Walther ... Lothar Odinius
Biterolf ... Thomas Jesatko
Heinrich der Schreiber ... Arnold Bezuyen
Reinmar von Zweter ... Martin Snell
Elisabeth, Nichte des Landgrafen ... Camilla Nylund
Venus ... Stephanie Friede
Ein junger Hirt ... Katja Schubert
Statisterie
Der Festspielchor
Das Festspieloirchester
Premiere war am 25. Juli 2011
Weitere Vorstellungen: 7., 13., 29., 25. 8. 2011


Weitere Infos siehe auch: http://www.bayreuther-festspiele.de


http://www.andre-sokolowski.de

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