26. Oktober 2012, Drama Köln (Gastspiel im theater im ballsaal, Bonn)
WIR WÜTENDEN
von Nora Mansmann
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Jörg Witte kniend, Gerhard Roiss im Rollstuhl - Foto © Christoph Assauer
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Auf einen Tee mit Vater und Sohn
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Im Rahmen von WEST OFF, dem Theaternetzwerk der Städte Bonn, Düsseldorf und Köln, war die Kölner Produktion wir wütenden im theater im ballsaal in Bonn zu Gast. Wobei die Aufführung nicht im Theater selbst, sondern in einer Bonner Privatwohnung stattfand und zu einem ganz ungewöhnlichen Theaterabend mutierte.
Per Handschlag wird jeder Zuschauer an der Tür begrüßt und zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Vater und Sohn bewohnen das Apartment, das man betritt, gemeinsam, der Sohn ist derjenige, der Geburtstag hat. Oder eben nicht, wie er kurz darauf allen Anwesenden erklärt, nur müsse sein Vater die Besucher in irgendeinen Zusammenhang bringen, um mit der Situation umzugehen. Nach einem Rundgang durch die Wohnung – wie man das bei einer Einladung eben so macht – findet man sich auf der Sitzgarnitur im Wohnzimmer wieder. Und blickt auf ein Kammerspiel, in dem klar wird, dass in dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn nichts mehr so ist, wie es war. Denn der Vater ist krank, hat Alzheimer und versinkt langsam in seiner eigenen Welt, dämmert mehr und mehr dahin. Der Sohn versucht, mit dieser Krankheit seines Vaters umzugehen, ihm zu helfen, gerät aber immer stärker in eine Spirale aus Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit.
Obwohl sich das Spiel praktisch vor den Füßen der Zuschauer vollzieht, wird es nicht unangenehm. Die Spieler schaffen eine Atmosphäre, in der man sich als Zuschauer nicht bedrängt oder als Voyeur fühlt. Und auch die Verpflegung kommt nicht zu kurz: Vater und Sohn erweisen sich als gute Gastgeber und kredenzen griechischen Bergtee, angeblich ein gutes Mittel gegen Alzheimer.
Jörg Witte spielt den Sohn, der überfordert ist von der Situation und dennoch versucht, Ruhe zu bewahren, seine Wut nicht an seinem Vater auszulassen. Zwischendurch mimt er mit umgebundener Schürze und Falsettstimme die Mutter, die den Verfall des Vaters leugnet. Entspringt diese Darstellung aus der Angespanntheit seiner Figur oder ist sie Teil der Vorstellung des Vaters, in dessen Kopf sich das Bild festgehakt hat, wie er mit seiner Frau beim ersten Treffen tanzte? Man weiß es nicht. Grandios Gerhard Roiss als Vater, der äußerst charmant und wach sein kann, dann aber auch wieder in sich hineinversinkt, vor sich hin stiert. All das hat nichts Ausgestelltes an sich, sondern berührt.
wir wütenden ist ein intensives Theatererlebnis, das ein wichtiges Thema unsere Gesellschaft anspricht und dennoch nicht behauptet, Lösungen zu bieten. Man merkt den Machern dieses Abends eine gewisse Ratlosigkeit an: Wie soll man mit diesem Thema umgehen? Der Spagat zwischen Fakten und persönlicher Geschichte gelingt und lässt die Zuschauer nachdenklich zurück. Alzheimer ist ein Thema, das uns alle angeht. Denn wenn von einer zukünftigen demografischen Entwicklung die Rede ist, bei der die Menschen immer älter werden und jeder Achte von dieser Krankheit betroffen sein wird, sind auch wir selbst gemeint.
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Karoline Bendig - 30. Oktober 2012 ID 00000006298
WIR WÜTENDEN (Theater im Ballsaal Bonn, 27.10.2012)
Regie: Oliver Krietsch-Matzura
Mit: Gerhard Roiss, Michael Stange, Jörg Witte
Bühne/Kostüm: Brigit Kofmel
Regieassistenz: Marina Zielke
Uraufführung durch DRAMA KÖLN war am 10. August 2012
Weitere Termine: 10., 11. 11. 2012 (in einer Privatwohnung in Köln)
Weitere Infos siehe auch: http://www.drama-koeln.de
Post an Karoline Bendig
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