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Opernkritik


24. Januar 2010, Premiere an der Deutschen Oper Berlin

RIENZI, DER LETZTE DER TRIBUNEN

Inszenierung: Philipp Stölzl


Das ist Philipp Stölzl, der Regisseur des neuen RIENZI an der Deutschen Oper Berlin - Foto (C) André Rival



Die Führer-Oper

Gernot Frischling ist der Erste unter Hunderten von Mitwirkenden, den das hochbetagte Publikum im neuen Rienzi der Berliner Deutschen Oper an der Richard-Wagner-Straße in Charlottenburg zu sehen kriegt. Und Frischling, der als exklusives Rienzi-Double für die auf 2 Std. 50 abgespeckte Aufführung (Originaldauer des Jugendschinkens: fünf, sechs Stunden [mindestens]) zum Einsatz kommt, mimt uns "im Gleichschritt" zu der Ouvertüre eine Art von ungezügelt personifiziert geratenen Privat-Einblick in die vermessensten Introvertiertheiten des Führers, der zwar hier mehr wie der Mussolini als der Schickelgruber aussieht; und so sehen wir ihn justament an einem Riesenschreibtisch - rechts ein Grammophon, aus dem naürlich Wagners Rienzi hergenudelt dröhnt - mit seinen Führerhänden dirigieren, sich durch die Musik in eklatante Stimmungslagen bringen, plötzlich hin und her marschieren, auf und nieder springen, Rad schlagen und sich mit Wucht (Frischling scheint gründlich ausgepolstert, immerhin) unter den Führerschreibtisch werfen; und er blickt mit uns durchs großdimensionale Führerfenster auf die schöne Panoramawelt des Obersalzbergs oder so... / Wir ahnen und wir wussten es: Sich mit dem Rienzi ernsthaft, also heute, zu bschäftigen, bedeutet freilich, ihn als das zu nehmen, zu erkennen und zu klären, was er eigentlich schon immer war und ist: DIE Führer-Oper schlechterdings! (Es existieren ja die auseinandergehensten Behauptungen, welche denn nun die eigentliche, also "wahrste" Lieblingsoper Adolf Hitlers wäre: Tiefland, Lohengrin, Die Meistersinger - aber natürlich und ganz selbstverständlich könnte oder würde es auch ganz, ganz sicherlich der Rienzi sein; was letztlich scheißegal ist, aber wir erwähnen es dann doch gerüchtehalber, nebenbei.) // Und wir befinden hochentzückt und allerbestgelaunt: Die Inszenierung Philipp Stölzl's ist geglückt - - vielleicht das derzeit Beste, was die DO vorzuzeigen hat: intelligent, ironisch, intermedial.



Camilla Nylund, die hier eine Eva-Braun-gemäße Attitüde zeigt, verkörpert eigentlich dann die Irene, welche wiederum die Schwester von RIENZI, jenem LETZTEN DER TRIBUNEN ist. Die frühe Wagneroper läuft seit letzten Sonntag an der Deutschen Oper Berlin, und Philipp Stölzl hat aus ihr, ironisch und sehr intellektuell, so eine Ar von Führer-Persiflage gemacht. - Foto (C) Bettina Stoess


Rienzi also.

"Die gewaltsamen Kämpfe zwischen den Familien Colonna und Orsini um die Macht in Rom führten zu großen Zerstörungen in der Stadt sowie zu Angst und Schrecken in der Bevölkerung. Durch die Abwesenheit des Papsttums, welches die Ewige Stadt durch das Mittelalter begleitet hatte, verfielen Verwaltung und Bausubstanz gleichermaßen. Doch als größtes Problem sah Cola di Rienzo den römischen Adel." (s. Wikipedia unter Cola di Rienzo [1313-1354])

Also gab es den Tribunen wirklich, klar doch.

Wagner hat dann aus dem Stoff bzw. aus den Stoffen einen ausufernden (langweiligen) Römer-Schinken fabriziert, also vom Text her. Unerträgliches Gewäsch. Was die Musik von ihm betrifft, sieht's freilich etwas anders aus: sehr flott, sehr schmissig, viele Chöre, leidenschaftliche Ensembleszenen, hübsche Solonummern inkl. des Gebets von Rienzi; äußerst populär, fast Alles; eigentlich ein echter jugendlicher Wurf, ein unbedarftes großes Erstding, sozusagen.

Musikalisch geht die Aufführung dann auch total nach vorne los - natürlich; wir erinnern uns sehr gern an eine Wagner-Gala (unter anderem mit Rienzi-Ouvertüre), von vor ein paar Jahren, wo wir das Orchester, damals unter Andris Nelson, deutlich aufgeheizt wie nie erlebten; hier nun, unter Stabführung Lang-Lessings, spürt man zwar erfahrenste Gediegenheit, aber vom Sitz hauen tut nichts. / Der Chor (Choreinstudierung: William Spaulding) singt wohl expressivst und ist im Ganzen wirklich extraordinär. Besetzungszettel liest sich wie vom Feinsten: Szenenbeifall, beispielsweise, für Kate Aldrich (Adriano); und auch Nylond (als Irene), Jerkunica (als Steffano), Carlson (als Orvieto), Bieber (Baroncelli), Bronk (del Vecchio) und Szumanski (als Orsini) klingen recht und gut. // Auf Torsten Kerl (als Rienzi!!!!!) ist die ganze Produktion letztendlich abgestimmt und abgerichtet. Er beinhaltet, bestimmt, beherrscht den großen kurzweiligen Abend. Ja und groß, um nicht zu sagen mächtig, düst der Kerl als Führer mit Karacho durch die Bretterfront. Die Crew vom fettFilm (Momme Hinrichs / Torge Möller) steuert mittels einer Großleinwand beeinruckend und unvergesslich Nahporträts des Führers Torsten Kerl (als Rienzi) bei; und Torsten Kerl erweist sich so, also was man von ihm in nah so sehen kann, als minutiösest die Gestalt, den Gestus, das Gesicht des Führers nachgebaut habender Erzschauspieler - - also nicht dass er allein nur gut, um nicht zu sagen sehr gut, singen kann; er stellt sich uns zudem als ein begnadeter Charakterist (des Führers Rienzi) dar. Undenkbar, dass er für die Produktion hier, bei Besetzungswechsel, ausgetauscht sein könnte!! Hochgrandios der Mann!!!

Der Stölzl musste sich, völlig erwartbar, viel viel Buhgeschrei nach dem Premierenschluss gefallen lassen. Aber macht nix; seine Inszenierung ist - wir wiederholen es sehr gern - das Beste, was es momentan im Wagnertempel Deutsche Oper zu bestaunen gibt.



Im Hintergrund sieht man Torsten Kerl, der den Führer RIENZI nicht nur schrillgut singt, sondern auch hochgenialisch spielt. Die Crew vom fettFilm hat sich Einiges für diese neue Mega-Produktion der Deutschen Oper Berlin einfallen lassen. Vorn sehen wir den Chor der Deutschen Oper Berlin, der hier als kollektives Muttergenesungswerk o. s. ä. fungiert... - Foto (C) Bettina Stoess


Andre Sokolowski - 25. Januar 2010
ID 4540

RIENZI (Deutschen Oper Berlin, 24.01.2010)
Musikalische Leitung: SEBASTIAN LANG-LESSING
Inszenierung: PHILIPP STÖLZL
(Co-Regie: MARA KUROTSCHKA)
Bühne: ULRIKE SIEGRIST / PHILIPP STÖLZL
Kostüme: KATHI MAURER / URSULA KUDRNA
Film: FETTFILM - MOMME HINRICHS & TORGE MÖLLER
Besetzung: TORSTEN KERL (Rienzi), CAMILLA NYLUND (Irene), ANTE JERKUNICA (Steffano Colonna), KATE ALDRICH (Adriano), KRZYSZTOF SZUMANSKI (Paolo Orsini), LENUS CARLSON (Kardinal Orvieto), CLEMENS BIEBER (Baroncelli), STEPHEN BRONK (Cecco del Vecchio)
CHOR DER DEUTSCHEN OPER BERLIN
(Choreinstudierung: WILLIAM SPAULDING)
ORCHESTER DER DEUTSCHEN OPER BERLIN

Weitere Infos siehe auch: http://www.deutscheoperberlin.de


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