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TANZ IM AUGUST 2013


31. August 2013 - Uferstudios, Berlin

AUSUFERN

Die freie Tanzszene Berlin feierte sich in den Uferstudios Wedding




Wie bereits 2012 bei der Tanznacht feierte sich die freie Tanzszene Berlins auch in diesem Jahr wieder im Rahmen des Festivals TANZ IM AUGUST. Und zum ausgelassenen Feiern haben in Zeiten schmaler öffentlicher Geldbeutel die Künstler der Freien Szene wahrlich nicht allzu oft Gelegenheit. Umso erfreulicher, dass es nun mit dem kleinen Festival Ausufern auch außerhalb der als Biennale gedachten Tanznacht eine Präsentation der Berliner Tanzszene gibt. Mehr als 20 Stücke und Performances waren an vier Tagen in den 14 Uferstudios und dem Kesselhaus auf dem Gelände der ehemaligen BVG-Werkstätten am Ufer der Panke in Berlin-Wedding, das seit 2010 die Berliner Tanzfabrik nutzt, zu sehen. Da fällt die Auswahl schwer. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und frei einer abschließenden Wertung hier eine kurze Zusammenfassung vom dritten Festivaltag am 31. August.

*

Kaum in den Uferstudios angekommen, muss man, um den Klang- und Körperperformer Tian Rotteveel zu sehen, das Gelände in Richtung der Bibliothek am Luisenbad wieder verlassen. Hier nutzt die Tanzfabrik ebenfalls einige Probenräume. Im oberen Geschoss steht Rotteveel, der an der HZT Berlin Choreografie und Tanz studiert, an einem großen Holztisch und beginnt auf der Tischplatte, vom Band akustisch untermalt, verschiedenste Gegenstände zu drapieren, die sich unter seinen geschickten Händen zu einer kleinen, zauberhaften Geschichte fügen. Dabei bleibt es der Fantasie des Zuschauers überlassen, diese zu deuten. Rotteveel verweigert mit seiner Performance propellor bewusst die eindeutige Narration. Mit einer handelsüblichen Rettungsdecke aus goldfarbener Folie verlässt er schließlich den Raum. Während die Klangperformance vom Band weiterläuft, setzt der Performer sein ironisches Spiel mit unseren Erwartungen im angrenzenden Park an der Panke fort. Wort, Bild und Klang, nichts ist so, wie es scheint. Das führt uns Rotteveel intelligent und unterhaltsam vor Augen.



Tian Rotteveel - Foto (C) Stefan Bock



Wieder in den Uferstudios angekommen, fällt ein junger Mann auf, der gleich einer Adonis-Statue mit verbundenen Augen auf einer kleinen Plattform steht. Herumliegende Farbstifte laden zur Körperbemalung ein. Ein kleines Schild erklärt den Hintergrund. „I thought of a wall … I thought to create the space, to make myself space, to become space … I thought to be a wall. (M.G.) Die Intension des Performers, seinen Körper als öffentlichen Raum zu verstehen und als Oberfläche für Botschaften anderer anzubieten, wird von den Umstehenden dann auch bereitwillig aufgegriffen.

Den Raum zu nutzen und zu gestalten, ist eine der Grundideen moderner Tanzperformances. Mit geradezu ausufernden Bewegungen präpariert dann auch Adam Linder den Raum im Studio 14 für seine Tanzperformance Cult to the Built on What. - „It’s important to have everything in order before we can start.“ erklärt der Performer und ist geradezu rührend um unsere Bequemlichkeit bemüht. Ausgehend von den Bewegungsabläufen des klassischen Tanzes, überträgt Linder diese in eine Art Spoken-Word-Performance mit Musik. Dabei spielt neben dem Tänzer ein Stehpult die herausragende Rolle. Linder präsentiert und umtänzelt das Objekt, post und rappt in bemerkenswerter Street Credibility. Das hat natürlich auch eine ironische Setzung. Nimmt Linder doch so auch das übersteigerte Mitteilungsbedürfnis unserer Gesellschaft aufs Korn und untersucht die Wirkung von Sprache anhand der Verbindung klassischer Bewegungsformen mit modernen, urbanen Ausdrucksmitteln. Nichts scheint ihm dafür geeigneter als ein Rednerpult. Und so dreht sich der heimliche Hauptdarsteller zum Schluss selbst im neonfarbenen Spotlight, während ein souliger R’n’B-Sound erklingt.

Die Verarbeitung klassischen Tanzerbes in der Postmoderne beschäftigt auch den Tänzer Josep Caballero García, der von 1995-2000 als Gast am Wuppertaler Tanztheater von Pina Bausch arbeitete. Für sein vierjähriges, autobiografisches Rechercheprojekt Sacres setzte er sich mit der Aufführungsgeschichte von Strawinskys Ballett Le Sacre du Printemps und den legendären Choreografien von Vaslav Nijinsky, Maurice Béjart und Pina Bausch auseinander. Mit Unterstützung des jungen Tänzers Géo Scattolon versucht er nun die Mythen dieses rituell aufgeladenen Balletts zu dekonstruieren und neu zu interpretieren. Kein leichtes Unterfangen, spielen doch hier auch urheberrechtliche Belange eine Rolle. García übersetzt die treibende Kraft der Vorlage in eine Art Kampf zweier altersmäßig wie Vater und Sohn wirkender Tänzer. Erst unter den Kopfhörern der Akteure kaum wahrnehmbar, erobert Strawinskys eindrückliche Musik schließlich den Raum. Zuerst noch durch Kabel miteinander verbunden, nabeln sich die beiden Tänzer schließlich voneinander ab und finden mehr und mehr zu eigenen, freien Bewegungsformen. Für die bizarre Kostümierung der Ursprungsversion findet García in einer großen Plastikfolie eine passende Übersetzung, unter der sich die Tänzer zunächst förmlich gegenseitig zu begraben versuchen und wieder befreien müssen. Ein durchaus gelungener Emanzipationsversuch vom übergroßen Vorbild.

Recht wenig mit Tanz hat die Performance Close your eyes and add a touch of nothing von Ami Garmon und ihrem Partner Frank Willens zu tun. Beim Betreten des Kesselhauses fällt zuerst ein Berg aus Sitzgelegenheiten ins Auge, und Frank Willens fordert das Publikum auf im Rund Platz zu nehmen. Man wird sich aber dennoch seines Platzes nicht ganz sicher sein können, benutzen doch die beiden Performer im Laufe der Aufführung alles Greifbare, inklusive des Publikums, um ihre wahnwitzigen Bewegungschoreografien zu vollführen. Zunächst noch in luftiger Höhe klagt Willens über die Schwierigkeit seine Gefühle zu transportieren, während Garmon auf einem wackeligen Drahtzaun hängt oder mit einem Schlitten die Stahltreppe im Kesselhaus hinunterfährt, lediglich gebremst durch aufgetürmte Sitzbälle. Die Fragilität ihrer Beziehung mit all ihren Unwägbarkeiten zelebrieren die beiden im wahrsten Sinne des Wortes ohne Netz und doppelten Boden. Langsam aufgetaut, artet die Veranstaltung schließlich in einen quietsch-vergnügten Kindergeburtstag aus, mit Bananen-Cocktails, Kuscheln im ausgelegten Flokati und Helium-erzeugten Mickey-Mouse-Stimmen. Die Beiden singen Tears for Fears: „Shout, shout, let it all out, these are the things I can do without, Come on, I'm talking to you, come on”, und es riecht mächtig nach Teen Spirit. Aber wer will da schon Spielverderber sein und an’s lästige Aufräumen denken? Die Performance war als Preview angekündigt und hat am 6. November hier in der Tanzfabrik Premiere.



shifts - art in movement von Festina Lente - Foto (C) Stefan Bock



Interaktive Formen haben am Sprechtheater Konjunktur, da will das Tanztheater nicht nachstehen. Die Gruppe Festina Lente (Eile mit Weile) hat sich dazu ein Spiel ausgedacht. Bei ihrer Performance shifts - art in movement bestimmt das Publikum sogar den Verlauf der Choreografie. Dazu muss fortlaufend von Eins bis Hundert gezählt werden. Die fünf Tänzer bewegen sich beim Aufrufen der Zahlen und erstarren danach wieder in Tableaus. Verzählt sich jemand, fällt alles wieder auf Start zurück und die Tänzer gehen zu Boden. Nach anfänglichen Schwierigkeit findet das Publikum schnell Gefallen am Spiel und es läuft immer flüssiger. Ab Fünfzig lösen sich sogar die starren Tableaus auf. Die Tänzer bewegen sich nun viel freier im Raum. Alles über Hundert wird dann zur freiwilligen, ausgelassen frohen Zugabe. Und auch hier zeigt sich, dass die Beteiligung des Publikums frischen Wind und einiges an Dynamik in den festgelegt erscheinenden Ablauf eines Performancekonzepts bringen kann.

* * *

Bei aller Ausgelassenheit hängt immer auch das Damoklesschwert der dürftigen finanziellen Ausstattung der freien Szene über den Künstlern. Deshalb war das Einsatzmobil der spartenübergreifenden KOALITION DER FREIEN SZENE auch am Samstag auf dem Gelände der Uferstudios wieder im Einsatz. Die Organisatoren verlangen zu Recht entsprechende Freiräume für die Szene und die substanzielle Aufstockung der bestehenden Fördertöpfe durch den Senat. Wenn Kulturstaatsekretar André Schmitz, anstatt dem desaströsen Start der vermeintlichen Hochkultur in die neue Spielzeit beizuwohnen, in die Uferstudios gekommen wäre, hätte er sehen können, wem er da die notwendige, zusätzliche Unterstützung versagt. Annemie Vanackere, die Chefin des Berliner HAU, unter dessen alleiniger Ägide der Tanz im August seit diesem Jahr steht, konnte sich jedenfalls von der Kreativität und Qualität des Dargebotenen überzeugen.



FREEWALL (Berlin episode) von und mit Matteo Marziano Graziano - Foto (C) Stefan Bock


Stefan Bock - 2. September 2013
ID 7109
Weitere Infos siehe auch: http://www.uferstudios.com/veranstaltungen/festivals/festival/41


blog.theater-nachtgedanken.de



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