Bayreuther Festspiele 2009
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Der 3-
Schichten-
Tristan
durch Marthaler & Viebrock
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Nur nicht unnötig berühren! Robert Dean Smith und Irene Theorin als TRISTAN UND ISOLDE in der wiederaufgenommenen Marthaler-Viebrock-Produktion zu den Bayreuther Festspielen 2009 - Foto (C) Bayreuther Festspiele GmbH, Enrico Nawrath
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Schicht Nr. 1, das Festspielorchester
Das klingt toll! Wahrscheinlich, und so fühle ich's, liegt dieser Klang an der Zusammensetzung. Eine Angelegenheit der Zutaten also, denn: Von den 200 Orchestermusikern, die einen Monat lang - im Wechsel freilich (daher diese große Zahl); es wird ja fast an jedem Abend zwei bis fünf Stunden "heruntermusiziert" - das Wagnerische Festspielhaus auf Bayreuths sogenanntem Grünen Hügel freiwillig und liebend gern bespielen, sind zum Beispiel schon mal 22 von der Staatskapelle Dresden; wir erinnern uns, die galt schon damals, und zu Wagners Zeit, als Vorzeigeorchester, und er nannte sie schlicht-einfach-und-ergreifend seine "Wunderharfe", hatte also mit ihr Rienzi, Holländer und Tannhäuser zum allerersten Mal gespielt gehabt; soweit so gut... Zählt man die restlichen Orchestermusiker der mitteldeutschen Hemisphäre mit dazu (Gewandhausorchester Leipzig, beispielsweise, 10 Musiker!) - kommen wir auf eine Zahl von 36 Sachsen. Dem gegenüber die Orchestermusiker aus dem Berliner Raum (14 Deutsche Oper, 10 Staatskapelle usf.): 35 - - gefolgt von 28 Musikern aus NRW, 22 aus Norddeutschland, je 20 aus Hessen und dem Stuttgart'schen und weitere mehr "lose" Mitgliedschaften aus den umliegenden deutschen Gauen. Also ist, mit allerhöchster Garantie, der Klang und sein Charakter von den Sachsen, insbesondere den Musikern der Staatskapelle Dresden, sozusagen hauptgeprägt; das hört man und das fühlt man und das weiß man (wenn man Obiges, vorausgesetzt ich konnte richtig zähl'n, zur Kenntnis nimmt). / Und Peter Schneider, souverän-uneitel bis zum Liebhaben, holt aus dem Klangkörper das Mannigfachste an Effekten oder "seelischen" Beeinflussungen raus! Noch nie zuvor, als Beispiel nur, hab ich das so schon nervig-lange Wehgeschwätz des König Marke (Zweiter Aufzug) mitgeleidet, miterlebt; es ist so unendlicher Maßen breit genommen, dass es sich bereits schon wieder (gegenläufig) ganz und gar erübrigt, einen gähnkrampfhaften Anlauf irgendwie zu wagen; nein, es geht nicht...
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Die Szene mit den Handschuhen - zwei unvergessliche Momente aus Christoph Marthalers Bayreuther Inszenierung TRISTAN UND ISOLDE - Foto (C) Bayreuther Festspiele GmbH, Enrico Nawrath
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Schicht Nr. 2, die Inszenierung
Marthaler & Viebrock ist hier eine Deutung von Liebe gelungen, die in den Geschichtsbüchern der wohl markantesten der Operninszenierungen vom Anfang bis zur Gegenwart verzeichnet werden muss! Bei ihnen wird verselbständigt. Mit andern Worten: Liebe ist das, was der/die Liebende(n) unter Liebe verstehen. Es hat lediglich mit den Gefühlen und dem Denken und dem körperlichen Leiden ihrer selbst, der "Höchstbetroffenen", zu tun. Simpel gesprochen ist es das: Du liebst einen Anderen, doch du scherst dich nur um dich (der du den Anderen liebst); was im Anderen dann vor sich geht, und ob er "deine Liebe" erwidert oder nicht, ist völlig sekundär. DU liebst - also bist DU. // Der Liebesakt im Zweiten Aufzug muss im Nachhinein als hochgenial in seiner szenischen Umsetzung bezeichnet sein. Tristan & Isolde schlagen eigentlich, wenn man den aufpeitschenden Klängen Wagners traut, wie zwei Stück aalzappelnde Schinken aufeinander; also zu Beginn. Dann setzt das große Nachtlied mit den Warnrufen Brangänes ein... bis dann zum Schluss, in nochmaliger wiederholter Aufwallung der Blutgefäße, die Ertappung und Entdeckung der "Verbotenheit" durch Dritte nachgeschieht. - Bis dahin, also bis zu der Ertappung und Entdeckung, lässt der Regisseur die Liebenden "allein für sich" in schönsten Gesten und symbolträchtigen Bilderchen agieren; unvergesslich jene Szene mit den Handschuhen Isoldes, welche "auszuziehen" dann der eigentliche Haupt- oder Entkleidungsakt der Szene ist. Das Hitzige und Drangsalierende, also im Körperlichen, wird doch nur, und wiederum sehr sparsam, durch Isoldes Jackeöffnen oder Tristans Schlipslockern verdeutlicht. Ausreichend und HOCHEROTISCH!! /// Viebrock hat das Alles in der Tat dreischichtig aufgebaut: Akt I auf Deck (fast oben), Akt II in der gelben Galerie (von mir aus auch im Erdgeschoss), Akt III im Keller (feuchte Wände).
Schicht Nr. 3, die Hauptakteure
Robert Dean Smith & Iréne Theorin sind ein Traumpaar! Er hat einen völlig unverbrauchten Sound (klingt manchmal wie James King, als der in jungen Jahren sang) - sie füllt den ganzen Saal mit ihrer Darstellung und Stimme; sie schlägt durch und durch, vibriert sehr zärtlich, und sie kann auch leise leise leise singen = wunderbar! / Dann Michelle Breedt (Brangäne): eine intellektuelle Gouvernante mit viel Witz und Wärme; man begreift im Ersten Aufzug, wo sie ja das Meiste von sich gibt, wie sie Isolde liebt; es ist ein Drama um das Einseitige... // Nicht viel besser geht es Jukka Rasilainen (Kurwenal): Er spielt im Schottenrock. Will er, in dieser letztmöglichen und clownesk anmutenden Verzweiflungstat, dem Liebsten seine (einseitige) Liebe eindeutig und umständlich begreifbar werden lassen? Gott, die Seele könnte heulen über so viel Aussichtslosigkeit... /// Und Robert Holl ist immer noch einer der besten Marke's, die es gibt.
In Bayreuth gibt es merklich Neues:
Kinderoper (Der fliegende Holländer) wird gemacht, eine Initiative von Katharina Wagner - und Alexander Busche hat ihn inszeniert; das hätte ich mir gern auch angesehen; lag jedoch am Anfang der Festspiele.
Die Zeit der fetten (und unbezahlbaren) Gesamt-Programmbücher ist endlich vorbei; ab diesmal gab es Einzelpublikationen zu den aktuellen Inszenierungen.
Die neue Website ist sehr fetzig: gut so.
Tristan wurde - wie im Jahr zuvor schon Meistersinger - für die Bayreuther auf ihren Markt per Großbildleinwand übertragen, live; neu war, dass diese Übertragung auch ins Internet, diesmal jedoch kaufgünstiger, erfolgte.
Und die Breker-Büste (vor dem Festspielhaus) wird mittels dreisprachigem Schild in ihrer NS-Lastigkeit erklärt und kommentiert.
Die neuen Inszenierungen bis inkl. 2015 stehen fest; zwei leitet Thielemann - der könnte sich demnächst (siehe oben!) möglicherweise für den frei gewordnen Chefposten der Staatskapelle Dresden bewerben oder so; das ist das einzige Orchester, wo man ihn sich hinzudenken resp. hinzufühlen richtig wagte, ohne jede Ironie.
Wer macht den neuen Ring? Petrenko, hieß es schon mal vorab, soll ihn dirigieren = erste von zwei richtigen Entscheidungen!!
Ja, Bayreuth duftet nach Gewitterregen.
Andre Sokolowski - 19. August 2009 ID 4383
TRISTAN UND ISOLDE (Bayreuther Festspiele 17.08.2009)
Musikalische Leitung: Peter Schneider
Inszenierung: Christoh Marthaler
(Szenische Leitung der Wiederaufnahme: Anna-Sophie Mahler)
Ausstattung: Anna Viebrock
Besetzung: Robert Dean Smith (Tristan), Robert Holl (König Marke), Iréne Theorin (Isolde), Jukka Rasilainen (Kurwenal), Ralf Lukas (Melot), Michelle Breedt (Brangäne), Clemens Bieber (Junger Seemann), Arnold Bezuyen (Ein Hirt) und Martin Snell (Ein Steuermann)
Das Festspielorchester
Der Festspielchor
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Weitere Infos siehe auch: http://www.bayreuther-festspiele.de
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