Katharina Wagner reizt
Berliner Vorstadtkiez
IL TRITTICO von Giacomo Puccini - in der Deutschen Oper Berlin, am 8. Januar 2006
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Die Kracherszene vor dem Schlussvorhang ist doch von exzessiver Qualität: Denn Katharina Wagner wird von zwei sie schützend eskortierenden Herren (der eine müsste ihr Bühnenbildner, der andere ihr Dramaturg - beide je einen Kopf noch kleiner als die Teamchefin - gewesen sein) nach draußen hergeführt, und ein gewalttätiger Sturm von männlicher Entrüstung schlägt ihr aus dem voll besetzten Auditorium mitten ins Gesicht. Was schon verwundert, denn ihr Äußeres - man achtet in Charlottenburg doch eigentlich auf äußerst Äußeres - besticht mit einem Schlag; sie sieht in ihrem langen silberschwarzen Kleid, das ihre siegerposenartig hochgestreckten Arme unterm unendlichen Blond in sinnlichem Gelichter zeigt, geradezu grandios aus... nein, man zweifelt keinen Augenblick mehr daran, wer als Herrin auf dem Grünen Hügel in der Zunkunft funktionieren wird!
Sie also, jüngster und verheißungsvollster Urspross Richard Wagners, hat in jener Stadt einen nachhaltigen Einstand hingelegt, in der sie noch Theaterwissenschaften ab-studiert; sie wohnt, eine Studierende, gewissermaßen "um die Ecke" - und die umsichtige Intendantin der Charlottenburger DOB beorderte die 27jährige (!) so mirnichtsdirnichts in die Bismarckstraße, drei Puccini-Opern zur Eröffnung eines ganzen Festivals mit Werken dieses Schmachtkönigs zu präsentieren... heißen/heißt IL TRITTICO: drei einaktige Werklein nebensächlicher Couleur (kaum Handlung; Zustände, Gespräche und Affekte) - einzig und allein ihre Musik (was für Musik!!!) rechtfertigte die untilgbare Bühnenexistenz. Ja, auf der Bühne werden Sänger nun mal erst zu "wahrlichen" Persönlichkeiten... sie aufs Allerkindlichste geführt und mit dem grauenhaften Schmalzgebaren Mister Butterflys gleichsam aufs Allerspielerischste aufgeräumt zu haben, kann und muss als ein Triumph der jungen Regisseurin nachgefeiert werden!!
Ohnehin wird glänzend musiziert. Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin (musikalische Leitung: Stefano Ranzani) singt/spielt flott und heiß und hart; sie sind in selbstbewusster Harmonie zu dem sie anfeuernden Inszenierungsstil gerückt. Ein beispielloses Aufgebot an internationalen Sängernamen sperrt sich der Idee mitnichten, floskelnlose - ein Gemeinschaftswerk.
Alles ereignet sich zur Gegenwart; und alles ist in einen fulminanten Einheitsraum mit riesiger Parkettfläche, einem sehr abseitig und übergroß geratnen Herrgottswinkel mit/ ohne Madonna mit und ohne Kind, zwei jalousiebehangnen Riesenfenstern inklusive einer wie von selbst sich öffnenden und schließenden hölzernen Doppeltür gepackt. Im Zentrum steht ein weißes Bett für alle jeweiligen Hauptgestalten (Bühnenbild/Kostüme: Alexander Dodge).
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Suor Angelica an der Deutschen Oper Berlin 2006 | Foto: Bernd Uhlig
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Doch der Reihe nach.
Suor Angelica: Sie (sphärisch-floreszierend: Cristina Gallardo-Domas) wird als merkwürdige Außenseiterin in einem Dutzend Außenseiterinnen dargestellt. Das einheitliche Bett erscheint hier auch gleich zwölffach; jede der zwölf Außenseiterinnen wird dann auch durch demonstriertes Naschen, Schminken, Zeitungslesen, Hantelstemmen usw. einzeln vorgeführt. Wie ihre Mitschwester Angelica zu ihnen in das Kloster kam, erklärt die Schlüsselszene zwischen ihr und ihrer herrschaftlichen Tante (eisig-majestätisch: Marina Prudenskaja); irgendwann und irgendwie muss sie ein Kind - von wem auch immer - abgekriegt bekommen haben, und die herrschaftliche Family nahm es ihr weg, wahrscheinlich um den guten Ruf des Namens zu bewahren. Lange Rede kurzer Sinn: Die herrschaftliche Tante kommt, begleitet von zwei Hühnenhunden, ihre Nichte zu besuchen, um sich eine Unterschrift Angelicas unter ein Erbschaftsdokument zu holen. Nebenbei wird ihr der Tod des Kindes, das sie schon seit Jahren nicht mehr sah, verkündet. Und Angelica wird wahnsinnig und "geht zu Engeln" - in der Tat: ein makelloser Engel von adonisartiger Gestalt mit aufblinkendem Brezelherz "entführt" sie, während eine sich im Eintanz auslebende Engelschar hinter der Jalousie stoßlichthaft in ihrem Tun und Treiben zu besehen ist.
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Gianni Schicchi an der Deutschen Oper Berlin 2006 | Foto: Bernd Uhlig
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Gianni Schicchi: Jemand ist gestorben. Eine Ansammlung von potenziellen Erbschleichern bevölkert dessen Wohnung. Und ein jeder rechnet sich ein Stückchen Nachlass vom Verstorbnen aus. Daher sucht man, mit Wünschelruten, nach dem Testament. Als es gefunden ist, stellen die Anwesenden mit Bestürzung fest, dass alles Erbe an die Kirche geht. Wie kann man dem begegnen? wie das ändern?? wie verfälschen??? Einer - ein erst jetzt Hinzugekommener - kennt sich in solchen Sachen bestens aus. Es ist Gianni Schicchi (schlitzohrig und nobel paradierend: Alberto Rinaldi). Ausschließlich durch die Vermittlung seiner Nichte Lauretta (im Kundry-Outfit à la Schlingensief: Fionnuala McCarthy), die Rinuccio (gesanglich-katastrophal: Kenneth Tarver) als ihren Liebsten in dem Kreis der Erbgemeinschaft weiß, kam/ kommt der Auftritt Schicchis wohl zustande - der sich justament als Sterbefall höchstselbst entpuppt. Und Lug und Trug und Trieb und Gier erfahren Stück um Stück einen seit Verdis FALSTAF so nicht mehr gehörten und erlebten froh-beschwinglichen Ensemblereigen.
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Il Tabarro an der Deutschen Oper Berlin 2006 | Foto: Bernd Uhlig
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Il Tabarro: Giorgetta (phänomenal: Chiara Taigi) ist die Gattin von Michele (außerordentlich: Paolo Gavanelli). Ihre Ehe leidet unter unsäglicher Langeweile. Beide haben sie ihr Kind verloren, und seither geht nichts mehr zwischen ihnen. Sie muss ständig gähnen, während er mit seinem Handy und 'nem Laptop dienstlich hin- und heragiert; wahrscheinlich ist er Reeder oder so. Von seinen Arbeitnehmern ließ und lässt sich manches Mal Luigi (markerschütternd: Vincenzo La Scola) in dem Wohn- und Schlafzimmer der Eheleute blicken. Wie auch andere Kollegen von Luigi. Und es fragt sich, wie das sein kann dass so viele fremde Leute bei den Reeders ein- und auszugehen scheinen; und die Antwort ist natürlich: Diese Art Privatbesuche spielen sich nur ausschließlich in der Gedanken- und Gefühlswelt der Giorgetta ab, weswegen auch Luigi eine Art von Teufelsschwänzchen zwischen seinen Beinen trägt. Wie er dann kam, so schnell verschwindet er auch wieder, mitten durch das Ehebett nach unten in den fantasieträchtigen Orkus der Giorgetta. Nur die ungewollte fortgeführte Ehe mit Michele kann sie stärker noch als die Ermordung des Luigi durch Michele - so wie ursprünglich die Handlung geht - im Herzen treffen. Sie verschränkt im Sitzen ihre Arme, der Michele tuts ihr gleich; der Vorhang fällt.
Und das Gebrüll am Schluss nahm seinen ungebremsten unqualifizierten Lauf. Bedenkt man allerdings, aus wie viel Hunderten von Arschgeigen der Himmel der Berliner Deutschen Oper ab und zu erregnen kann, gestaltete sich dieses abschließende und sehr unfreundschaftlich ausgetragne "Aburteil" einer im Ganzen ziemlich grobwitzigen und in Allem aber doch sehr klug gemachten Aufführung zu einer Art von rudelrüdem Eigenschuss. Ja, Motzen ist hier Volkssport.
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Andre Sokolowski - 9. Januar 2006 ID 2196
https://www.andre-sokolowski.de
Weitere Infos siehe auch: https://www.deutscheoperberlin.de/
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