18. Dezember 2013 - Premiere in der Werkstatt des Theater Bonn
HELMUT KOHL LÄUFT DURCH BONN
Nolte/Decar
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Sören Wunderlich als Helmut Kohl in der Werkstatt des Theaters Bonn - Foto (C) Thilo Beu
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Helmut Kohl für Spät- und Nachgeborene
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Falls der eine oder andere Zuschauer vergessen haben sollte, wie Helmut Kohl aussieht (oder zu seiner Zeit als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland ausgesehen hat), muss man nur seinen Blick durchs Foyer der Werkstatt des Theater Bonn schweifen lassen: Liebevoll ist hier Foto um Foto des Altbundeskanzlers aufgehängt.
Auf der Bühne geht es eher assoziativ zu: Die fünf Schauspieler sitzen in einer Wohnzimmer/Arbeitszimmeratmosphäre. Es beginnt damit, dass sie mögliche Stücktitel vortragen. Überhaupt erzählen die beiden Autoren Jakob Nolte und Michel Decar weniger einzelne Episoden aus dem Leben des Altbundeskanzlers, sondern appellieren in ihrem Text an das kollektive Gedächtnis, zitieren populäres Gemeingut von den Ärzten („Denn Helmut Kohl schlägt seine Frau“) über Dea Lohers Stücktitel Kein Licht, der sich mit dem Schicksal der Kanzlergattin beschäftigt, bis hin zu Stückklassikern wie Kleists Prinz Friedrich von Homburg oder Schillers Die Räuber. Gleich zu Beginn spielen die beiden Schauspieler Sören Wunderlich und Robert Höller eine Szene aus Der Pate nach, in der Bonn Corleone seinem Vasallen Druck macht. Das ist lustig, angenehm zusammenhangslos und auch böse, ohne verletzend zu sein. Diese Lust am Assoziativen, Zitathaften und Vogelwilden ist eine große Qualität des Textes und des Abends insgesamt. Noltes und Decars Text folgt nicht dem üblichen biografischen „und dann und dann und dann“ und ist keine eklektische Stoffsammlung und -auswahl.
Diese Lust am Zitat zeigt sich auch in den vielen kleinen Spielszenen, die es im Verlauf des Abends dann doch gibt. Da wird in Anlehnung an König Lear Deutschland von Vater Kohl an seine Söhne – Helmut, Helmut und Helmut 2 – weitervererbt, aufgeteilt in Westdeutschland, Ostdeutschland und das Saarland. Doch der Jüngste muckt auf. Und bei Shakespeare wie bei Nolte/Decar beantwortet nur der Jüngste die Frage des Vaters („Wie fandet ihr mich als Kanzler?“) wahrheitsgemäß mit „Ok“ – nicht „gut“ wie seine Brüder. Und wie bei Shakespeare erweist sich der jüngste Sohn als zuverlässige Stütze im Alter, nur ist er leider mittlerweile Kanzler im Saarland und regiert despotisch, wie es sich sein Vater nicht hätte träumen lassen.
Es gibt im Verlauf des Abends nette kleine Episoden, die immer wieder auftauchen: die Putzfrau im Kanzleramt, die im gebrochenen Deutsch von ihren Erinnerungen berichtet. Sie wird von Gerhard Schröder gleich entlassen. Franz Josef Strauß’ erfolglose Jagdversuche auf seinem Hochsitz und das Kanzlerduell: erst gegen Helmut Schmidt, dann gegen Oskar Lafontaine und schließlich gegen Gerhard Schröder. Ein Prinzip der Aufführung ist auch, dass Szenen nicht auserzählt werden. Vieles wird angerissen, und wenn es zu detailliert wird, wird das Thema gewechselt. Nur mit der Videokamera, die auf einem Tisch montiert ist und mit der einzelne Schauspieler bei Monologen abgefilmt werden, lassen sich intimere Momente erzählen, etwa wenn Julia Keiling als Hannelore über Helmut Kohls nicht greifbaren Schatten spricht. Sehr komisch wird es, wenn Helmut und Hannelore sich – bei einer der ersten Begegnungen – bei der Ouvertüre von Mozarts Entführung aus dem Serail über ein Don-Carlos-Reclamheft streiten.
In Helmut Kohl läuft durch Bonn zeichnet Regisseur Markus Heinzelmann mit seinem Team auf einer sehr guten Textgrundlage ein spannendes Bild des Altbundeskanzlers und seiner Frau. Alles, was mit hier mit Helmut Kohl passiert, geschieht ihm eher, er ist nicht aktiv. So spielt ihn Sören Wunderlich größtenteils auch eher als jemanden, der in etwas hineingedrängt wird. Unsicher bei der Befragung seiner Söhne, unsicher im Umgang mit der erstaunlich dominanten Hannelore. Wunderlichs ausufernde Körperlichkeit kommt ihm dabei zugute, einen schlaksigen Helmut Kohl zu geben, der seiner Überforderung auch körperlich Ausdruck verleiht. Ob ihm das Aussitzen so gut gelingen könnte wie dem Pfälzer Vorbild? Natürlich spielt nicht nur Wunderlich Helmut Kohl, jedoch kommt ihm der Großteil der Aufgabe zu. Eine feste Rollenverteilung gibt es nicht, wohl aber eine Gendergrenze: Die beiden Schauspielerinnen sind Frau Kohl, die Männer Helmut oder seine Umgebung. Nur Bernd Braun macht einmal eine Ausnahme und spielt eine Frau, Mutter dazu.
Helmut Kohl läuft durch Bonn ist ein Abend für alle, die bis in die 1990er hinein nie einen anderen Papst kannten als Johannes Paul II. und nie einen anderen Kanzler als Helmut Kohl, bei dem auch unangenehme Themen wie die Koffer mit Schwarzgeld nicht umgangen werden. Am Ende mischen sich in den begeisterten Beifall auch Buhs. Helmut Kohl läuft durch Bonn ist offensichtlich weniger ein Abend für die Zeitgenossen des Kanzlers, eher für die Spät- und Nachgeborenen, die Helmut Kohls finale Worte bei der Amtsübergabe an Gerhard Schröder tatsächlich als Drohung empfinden: noch einmal 16 Jahre regieren und dann Europa, Eurasien und die Welt vereinen.
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Helmut Kohl läuft durch Bonn in der Werkstatt des Theaters Bonn - Foto (C) Thilo Beu
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Bewertung:
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Karoline Bendig - 27. Dezember 2013 (2) ID 7489
HELMUT KOHL LÄUFT DURCH BONN (Werkstatt, 18.12.2013)
Regie: Markus Heinzelmann
Bühne und Kostüme: Christoph Ernst
Licht: Lothar Krüger
Dramaturgie: David Schliesing
Mit: Mareike Hein, Julia Keiling, Bernd Braun, Samuel Braun, Robert Höller und Sören Wunderlich
Uraufführung war am 18. Dezember 2013
Weitere Termine: 27. 12. 2013 / 7., 9., 14., 16., 17., 22., 28. 1.2014
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de
Post an Karoline Bendig
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