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Uraufführung

11. Dezember 2013 - Premiere im Ballhaus Naunynstraße

Rashid Novaires Sag mal, dass wir nicht zu Hause sind erzählt von einem Talentierten mit Hintergrund, der seinen grönländischen Traum schnöden Aussichten preisgibt



İsmail Deniz, Ferhat Keskin und Vernesa Berbo in Sag mal, dass wir nicht zu Hause sind am Ballhaus Naunynstraße - Foto (C) Ute Langkafel, MAIFOTO



Faschistische Ahne

Zwei Männer und eine Kiste. So fängt die Geschichte an. Die Männer schleppen die Kiste in eine Kammer. Dem Kammerherr, einem jungen Novalis, hilft die Kiste, seelisch Fahrt aufzunehmen. Als Geist steigt eine faschistische Urmutter aus der Kiste. Es ist drei Uhr morgens. Der Novalis zur Hand gehende Graubart hofft, er käme auch noch in die Kiste, bevor der Morgen graut.

Novalis heißt fürwahr Aydın Bayad. Er besingt seine Liebe zu Grönland. Er träumt von einer Karriere als Schriftsteller, plötzlich stehen Agenten auf der Bühne. Sie machen Aydın ein Angebot, dass er nicht ausschlagen kann. Er soll was aus seiner gemixten Biografie destillieren und den Affen der biodeutschen Erwartungen Zucker geben. So geht die Geschichte weiter – als Dramatisierung eines Romans von Rashid Novaire. Die Theaterfassung weicht vom Romantext ab und entfernt sich von der Biografie des Autors – einem Niederländer mit arabischem Vater.

In einem taz-Interview erklärte Novaire, er fände die Zuschreibung "Migrantenautor der dritten Generation" „seltsam“. Novaire führte aus: „Mein Vater war kein Autor, mein Großvater auch nicht, und ich bin nicht gewandert! Ich habe mich oft nicht richtig in den Perspektiven wiedergefunden. In der weißen Gesellschaft nicht, aber auch nicht in den Einwanderungskomödien, in denen alle Mohammed heißen, Fabrikarbeiter sind, die Frauen Kopftücher tragen und wir über all diese Klischees lachen können. Ich bin gemischt, und über mich gab’s eigentlich nie wirklich was zu lachen.“

Das Theater der fortgeschrittenen Migration rauscht über diese Klischees – und über das, was sie repräsentieren – hinweg, das zeigt jede Premiere im Ballhaus Naunynstraße. Auch Sag mal, dass wir nicht zu Hause sind entwirft in Turbolenzen Hologramme der Zukunft. Das Stück erzählt von einem sozialen Zwischenwesen. Von einer gespaltenen Person – ihr Leben, eine permanente Zerreißprobe. In der Inszenierung von Bêrîvan Kaya ist Aydın aus der Verbindung zwischen einer Deutschen und einem in der Türkei politisch verfolgten Kurden hervorgegangen. Aydın erscheint sogar seinen Eltern so seltsam, dass der Vater gelegentlich seine Frau um Verleugnung bittet: „Sag mal, dass wir nicht zu Hause sind.“

Aber was heißt hier bittet? Der Knurrhahn im Gefieder von Ferhat Keskin ordnet noch nach alter Väter Sitte an. Er zweifelt am Verstand seines Samens angesichts des Sohnes. Was für ein Produkt der Verwirrung!

İsmail Deniz spielt einen Wanderer zwischen den Welten, seine Urgroßmutter kriegte das Mutterkreuz in aller Eindeutigkeit von Hitler persönlich. Vernesa Berbo spielt die Ahne walkürlich und ohne Reue. Man sieht sie auch als türkisch-kurdische Hausfrau und Mutter. In jeder Rolle zweifelt sie Aydıns Männlichkeit an.

Ja, Aydın. İsmail Deniz’ Präsenz lässt ihn mit dem kläglichsten Text noch wie einen Sieger aussehen. So oder so ist die Rede von fehlender Zugehörigkeit und Wurzellosigkeit, so weit das Auge reicht. Die Agenten des Anfangs versprechen Aydın Förderung, wenn er nur die letzten Scherenschleifer auf Grönland in die Tonne der Gleichgültigkeit haut. Der Nachwuchsnovalis soll für einen erheblichen Betrag seine Herkunft autobiografisch in Ordnung bringen. Aydın sträubt sich bloß kurz, zu verlockend, die Aussicht auf Erfolg. Er nimmt sich den Vater vor, der flaschenweise „kurdische Luft“ verbraucht. Er unternimmt eine Zeitreise zu seiner Naziurgroßmutter und ihren leidenschaftlich rassistischen Verwandten. Immer wieder tritt der Graubart (Elyas Khan) in Erscheinung und spielt Gitarre. Einmal singt er was von Hilde Knef, ein anderes Mal von Wallace Stevens. Er erzählt auch Witze: Zwischen zwei Schriftstellern ein Fluss. Fragt der eine: „Wie komme ich ans andere Ufer?“ Entgegnet der andere: „Da bist du schon.“



Vernesa Berbo, Ferhat Keskin und İsmail Deniz in Sag mal, dass wir nicht zu Hause sind am Ballhaus Naunynstraße - Foto (C) Ute Langkafel, MAIFOTO



Bewertung:    


Jamal Tuschick - 12. Dezember 2013
ID 7457
SAG MAL, DASS WIR NICHT ZU HAUSE SIND (Ballhaus Naunynstraße, 11.12.2013)
Regie: Bêrîvan Kaya
Bühne/Kostüm/Video: Peter Schultze
Musik: Elyas Khan
Dramaturgie: Nora Haakh und Philipp Khabo Koepsell
Mit: Vernesa Berbo, İsmail Deniz und Ferhat Keskin
Uraufführung war am 11. Dezember 2013
Weitere Termine: 12. - 14. 12. 2013


Weitere Infos siehe auch: http://www.ballhausnaunynstrasse.de


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