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Uraufführung

12. März 2014 - Schauspiel Leipzig

UND DANN

nach Wolfram Höll


Und dann von Wolfram Höll am Schauspiel Leipzig - Foto (C) Rolf Arnold


Ein Stück, ein Bild

Wolfram Hölls Und dann ist ein Text über den Übergang von einem System ins andere. Er spielt in den Plattenbauten am Rande der Stadt. Dafür gab es beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens 2012 die Auszeichnung zum besten „Theatertext als Hörspiel“. Am Schauspiel Leipzig führt nun Claudia Bauer Regie.

Die Leipziger Inszenierung braucht es dringend, das sogenannte Kontextwissen. Grob und zügig sei es also zusammengefasst: Der Fall der Mauer, Verlust eines Elternteils, 1989, Weltanschauungen im Fleische und im Blute. Tief drinnen, schwer zu tilgen, kaum zu wechseln. Die Spielregeln der neuen Welt verlangen andere Haltungen, eine andere Mimik. Das Erlernte, die Codes, die Körpersprache, die Rituale: Alles plötzlich anders. Alles. Und der Markt greift gnadenlos zu. In Hölls Text herrscht eine fragmentierte Sprache, die Perspektive des Kindes, ein Experiment. Der Autor, Jahrgang 86, nimmt die Schreibmaschine. So ist vorab der Blick des Naiven künstlerisch imaginiert, die Digitalisierung gleich als die zweifelhafte Gegenwart und damit der körperliche Schreibprozess als das Echte behauptet. Wenigstens die Herstellung der Erinnerungen an die Erinnerungen soll authentisch sein. Die Auszeichnungen ließen nicht lange auf sich warten. Hölls Text ist ein Gewinnerstück, das von Verlierern handelt. Eingeladen zu den Mülheimer Theatertagen, zum Heidelberger Stückemarkt 2014. Passend dazu, flattert 25 Jahre nach der friedlichen Revolution ein neues Abstraktum durch die Medien. „Die dritte Generation Ost“ ist ein Indiz, dass etwas noch unverarbeitet ist. Doch was eigentlich? Unsicherheiten im Großen und Kleinen. Wo fängt Geschichtsverarbeitung an? Früher hat es rote Halstücher und Paraden gegeben, lernte man, dass sich der Sozialismus dank eine höheren Gesetzmäßigkeit durchsetzen werde. Wie soll man das jemals vergessen können? Vom fehlenden Sinn und neuen Göttern wird schnell geredet. Zu schnell.

Im Schauspiel Leipzig greift Claudia Bauer genau hier ein. Und entwickelt Beklemmendes. Das Stück gerinnt zum Bild, ist letztlich nicht mehr als das, braucht keine Erzählstruktur. Es bohrt beständig gegen die geglättete Integration. Was nützen ehrwürdige Gedenken und Erinnerungsarbeiten, wenn sie nur wie ein neues Bevormunden wahrgenommen werden? Das Bild ist gerichtet gegen den stolzen Blick auf die Freiheitssucher von 89, gegen das rhetorische Wegplappern ganzer Generationen. Etwas ist noch unverdaut.

Die DarstellerInnen versuchen sich in Anpassung, tragen Masken, krabbeln und springen als bierbäuchige Holzköppe zwischen den Plattenbausiedlungen hin und her. Unter den überdimensionalen Verkleidungen zeigen sich tiefe, schwarze Augenringe. Video und geloopter Sound (Musik: Peer Baierlein) veranschaulichen jene Elemente, mit denen der Vater nicht mehr klarkommt: „Die einen Russen gehen, die anderen kommen.“ Gelbes verstaubtes Licht und Nebel, welcher blendet. Die Jüngeren passen sich schneller an, Schauspielerin Daniela Keckeis nimmt einen Stift und kennzeichnet den Ort, wo der Vater arbeiten soll. Sie zeichnet das „Ganz-Ganz-Ganz-Dort-Oben“. Wenzel Banneyer, Heiner Kock und Markus Lerch dürfen sie fragend anschreien: Ganz, ganz, ganz dort oben? Arbeiten? Arbeitet dein Vater? In Wirklichkeit ist er aber kein Hausriese mehr, versucht sich an Projekten, Arbeit kann er das nicht nennen. Hell wird es. Und dunkel wird es. Und hell. Und dunkel. Laut, leise, laut. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben, niemals aufgeben, ständig im Wechselspiel mit der Verzweiflung: „Doch das alles verstehe ich nicht. Nicht mit meinem Kopf, Kopfkissenkopf.“ So bleibt man daheim, die Bühne ist mit Brettern als Plattenbau gezimmert, staunt über die „Jeden-Tag-Paraden-Straße“, tanzt mal grenzdebil beim Karneval mit. Bis der Vater nur noch dasitzt und nicht mehr baut und nicht mehr schraubt und nur noch sitzt und lauscht und sitzt. Die Tochter beschreibt es, mit Teddybär in der Badewanne. Drumherum will jeder Recht haben, will jeder wissen, was zu tun sei. Als Ausweg wird das Glühen, als Ausweg werden Selbstbehauptungsparolen empfohlen. Die „Verlierlinge“ sollen keine Angst mehr haben, sollen den Himmel drehen, sollen hören, wie die tausend Stimmen drinnen zu tausend Stimmen draußen werden, sollen nur noch Wärme spüren und nichts mehr sagen.

Bauer hat in Leipzig nicht nur die Desillusionierung und Hoffnungslosigkeit zur poetischen Dauerschlaufe gemacht. Sie hat vielmehr für all die externen Zumutungen, für all die unbeholfenen Versuche einer Anpassung Bilder gefunden. Bilder, die sich wiederholen. Und zwar für das allzu menschliche Drängen nach Würde und Anerkennung. Für all jene, die im materiellen Elend gefangen und in internalisierten Begriffs-und Gefühlswelten eingekesselt sind. Angesichts von diversen Ost-West-Stereotypen, vor dem Hintergrund, dass eben nicht jeder seines Glückes Schmied sein kann, ist die tiefe Sprachlosigkeit, die diese Inszenierung unter die Haut schießt, eine Wohltat. Etwas ist noch unverdaut.




Und dann von Wolfram Höll am Schauspiel Leipzig - Foto (C) Rolf Arnold



Bewertung:    

Mathias Schulze - 13. März 2014
ID 7668
UND DANN (Diskothek, 12.03.2014)
Regie: Claudia Bauer
Bühne & Kostüme: Andreas Auerbach
Musik: Peer Baierlein
Licht: Veit-Rüdiger Griess
Dramaturgie: Esther Holland-Merten und Matthias Huber
Mit: Wenzel Banneyer, Daniela Keckeis, Heiner Kock und Markus Lerch
Uraufführung war am 12. März 2014
Weitere Termine: 4. + 24. 4. 2014
Gewinnerstück des Hörspielpreises des Stückemarktes – Berliner Theatertreffen 2012


Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspiel-leipzig.de


Post an Mathias Schulze

journalist-schulze.de



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