Aufgekratzt
und überdreht
CONTAINER PARIS von David Gieselmann
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Bewertung:
David Gieselmann wurde mit seiner schwarzhumorigen Komödie Herr Kolpert zu Anfang des neuen Jahrtausends weltweit bekannt. Seit Marius von Mayenburg 2009 Die Tauben an der Schaubühne am Lehniner Platz inszeniert hatte, ist es aber zumindest in Berlin etwas ruhiger um den Autor geworden. Mit seinem neuen, für das Schauspiel Frankfurt geschriebenen Stück Container Paris recycelt Gieselmann die Idee seines größten Theatererfolgs. Nur dass die möglicherweise in einer Truhe versteckte Leiche des Herrn Kolpert hier ein angeblich verloren gegangener Container unbekannten Inhalts ist, den der biedere Angestellte der Firma Sanddorn Worldwide Logistik, Peter Grothe (Torben Kessler), als Sonderbeauftragter seines Chefs (Sascha Nathan) suchen soll. Wo dieser ominöse Container ist, weiß allerdings niemand so recht, erst recht nicht Grothe, und so wird dann auch sein Satz: „Ich weiß nicht.“ zur geflügelten Phrase des Stücks.
Es ist auch hier die plötzliche Idee, das Unerwartete, ein Spiel mit der Möglichkeit, das auf die Spitze getrieben, das allerschönste Chaos anrichten kann. Nur bewegen wir uns diesmal nicht in die Tiefen kleinbürgerlicher Wohnzimmerabgründe, sondern erklimmen gemeinsam mit Gieselmanns Container-Farce die Höhen undurchsichtiger Finanzgeschäfte. Dem Grunde nach aber ist auch hier Biedermann der Brandstifter, nur dass dieser „Pik 7 auf Bahnsteig 8“ die Lunte erst noch in die Hand gedrückt werden muss. Dafür gibt aus dem Publikum heraus der Wirtschaftswissenschaftler von Rottkamp (Nico Holonics), der etwas bewirbt, von dem man vorher gar nicht wusste, dass man es benötigt, die Risikobewertung ab, die da heißt: je riskanter, desto lukrativer. Der Rest folgt dann ganz den simplen Regeln des Marktes. Die Witzigkeit kennt dabei keine Grenzen, Dummheit und Kapital ja bekanntlich auch nicht. Und so beginnt der heiße Tanz ums goldene Container-Kalb, der die Protagonisten von Berlin über Rotterdam nach Paris, Oslo, Zürich und wieder zurück führt.
Jede Menge Raum also für Spekulationen, womit wir direkt beim Thema sind. Denn Grothe begegnen nun auf seiner Suche nach dem verschollenen Container der Reihe nach lauter Personen, die ebenfalls auf den Inhalt eben jenes spekulieren. Zuallererst, die Konkurrenz schläft nicht, ist da Petra Tegert (Picco von Groote), die Grothes Informationen, die dieser nur vorgibt zu haben, abschöpfen will. Später interessiert sich sogar die Kirche dafür. Lüge oder Wahrheit als Glaubensfrage. Ein Schweizer Staatssekretär (Thomas Huber in mehreren Rollen) mit jodelndem Geldkoffer und einem nach Ricola verlangendem Dialekt unterbreitet Grothe schließlich ein Angebot, das dieser einfach nicht ausschlagen kann. Mit dem Schweizer Kapital macht sich Grothe schließlich selbständig und seinen von allen vermuteten Wissensvorsprung zur Geschäftsidee. Denn wo ein Bedürfnis, ist ein Markt, und das Grothe-Consulting geht mit von Rottkamp als Berater an die Börse.
Regisseur Christian Brey, der sich als Harald-Schmidt-Geschulter mit abseitigem Humor, well-made play und Boulevard bestens auskennt, inszeniert das Ganze als irre, völlig überdrehte Farce mit jeder Menge Situationskomik und dem besten Zettelauffalt-und-Zusammenknüll-Slapstick der Theatergeschichte. Gespielt wird das ganz passend auf einer mit Umzugskartons und Büropapier zugemüllten Schräge (Bühne: Anette Hachmann). Im Hintergrund gibt ein Fensterband die Aussicht auf Hochhäuser und die Schweizer Alpen frei oder dient auch mal als Projektionswand für Videos, in denen der Poptheoretiker Dietmar Poppeling (Ensemble) als Verschnitt aus Diedrich Diederichsen und Popblogger Gieselmann selbst im Video auftritt. Denn der Containerhype ist längst nicht mehr nur schnödes Finanz-Business, sondern zum medialen Großereignis geworden.
Zu Grothes bunter Entourage gehören schließlich nicht nur dessen eifersüchtige Frau (Verena Bukal) und ein trotteliger Bundes-Zivi (Sascha Nathan) im Strickpullover, sondern auch das durchgeknallte, pillensüchtige Mode-It-Girl Lynn Preston (Katharina Bach), das nur mit KO-Tropfen zeitweilig ruhiggestellt werden kann, und sein etwas zu nah am Wasser gebauter Assistent Gustav von Stresemann (Thomas Huber). Um die Nachfrage nach der Containeraktie noch zu befördern, verschwindet Grothe schließlich selbst im Nebel Papa-Neuguineas oder auf den Fidschi-Inseln und überlässt seiner Frau die Firmenleitung. Wie jede schöne Blase platzt aber auch dieses große Nichts irgendwann. Dazu singt Lynn ganz nach dem Motto: „It's just Me, Myself And I” (De La Soul) einen schönen „Babbel in the Air“-Song.
Leider sind mit der ganzen Lustigkeit irgendwann auch alle Grenzen ausgekostet und die Inszenierung beginnt zunehmend die Oberflächlichkeit zu reproduzieren, die das Stück urkomischer Weise eigentlich persiflieren wollte, was zum Abzug in der Vitamin-B-Note führt. Könnte, hätte, wäre, wenn doch nur immer alles so lächerlich einfach wäre. Isses aber nicht, obwohl die Lösung manchmal direkt unter einem Haufen Akt(i)en-Papieren liegt. Dazu muss allerdings erst die Windmaschine ordentlich selbigen machen. Klappe auf. Und? Ach...
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Stefan Bock - 23. Juni 2015 ID 8723
CONTAINER PARIS (Kammerspiele, 21.06.2015)
Regie: Christian Brey
Ausstattung: Anette Hachmann und Elisa Limberg
Musik: Matthias Klein
Dramaturgie: Claudia Lowin
Mit: Torben Kessler (Hans-Peter Grothe), Verena Bukal (Linda Grothe), Katharina Bach (Lynn Preston), Sascha Nathan (Wolf Schaub / Heinz Rohde), Thomas Huber (Jan-Hendrik Holmen / Gustav von Stresemann / Hans Zermatt), Picco von Groote (Petra Tegert / Apothekerin), Nico Holonics, Timo Fakhravar (Hans-Werner von Rottkamp) und Ensemble (Dietmar Poppeling)
Uraufführung im Schauspiel Frankfurt war am 19. Dezember 2014
AUTORENTHEATERTAGE 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de/
Post an Stefan Bock
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