ENDE EINER LIEBE
Thalia Theater Hamburg
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Bewertung:
Nicht gerade ein Publikumsrenner waren die ersten beiden Ausgaben der die spielzeit'europa abgelöst habenden FOREIGN AFFAIRS. In diesem Jahr muss das Festival, das zum zweiten Mal von Matthias von Hartz verantwortet wird, sogar noch gegen die allgemeine Fußballeuphorie antreten. Man hat aus der Not eine Tugend gemacht und den angeblichen Gegner einfach ein eigenes Feld im Haus der Berliner Festspiele bereitet. Im hinteren Teil des Gartens vor einer kleinen Kiste mit Videowand sind Bänke und Liegestühle aufgebaut, und ab Samstag gibt es dort sogar ein moderiertes WM-Studio. Na wenn das kein Alternativangebot der öffentlich gesponserten Theaterzunft zur laschen Kommentarsoße der öffentlich rechtlichen Fußballberichterstattung ist?!
Regelrecht scharf dagegen war der Entschluss der Festivalmacher, gleich die erste Premiere auf den Spielbeginn der Entscheidung in Gruppe G, Deutschland gegen USA, anzusetzen. Anstoß zu Ende einer Liebe - man wollte es also tatsächlich wissen - (gecoacht vom französischen Regisseur Pascal Rambert) war pünktlich 18 Uhr. Einmarsch zur Seitenbühne mit deutscher Nationalhymnenbeschallung von nebenan...
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Ich will mir im Weiteren, wenn möglich, die Fußballvergleiche verkneifen; aber ganz kommt man nicht daran vorbei. Die erste Paarung lautet also Mann gegen Frau, was im Fall des Schauspielerehepaares Jens Harzer und Marina Galic vom Thalia Theater Hamburg sogar stimmt. Sie haben sich den zweistündigen Text von Pascal Rambert sicher im Schweiße ihres Angesichts antrainiert und schießen ihn nun quer über das leere weiße Spielfeld aufeinander ab. Das muss man sich jetzt aber nicht als Schlagabtausch in Form eines wütenden, scharfzüngigen Dialoges vorstellen. Nein, die verbalen Fouls werden in zwei aufeinanderfolgenden Monologen zelebriert. Es beginnt Harzer, und Galic muss gerade stehen und zuhören. So will es jedenfalls der Coach Rambert. Harzer holt dann auch ohne Umschweife zum abschließenden Befreiungsschlag aus: „Es ist aus. Es geht nicht mehr.“
Es wird also verbal gegrätscht, bis einer von beiden in die Knie geht. Und Harzer lässt keinen Zweifel daran, dass er Blut sehen will. Hier scheint sich einer die Worte lange und gründlich zurechtgelegt zu haben. Er fühlt sich gefangen im Netz ihrer Blicke, will ausbrechen aus dem Mausoleum, aus der Fiktion, für das er ihr gemeinsames Laben hält. Er sieht dabei ein wenig wie ein großer, verunsicherter Junge aus, schrägstehend im sportlichen Schlabberlook mit Trinkflasche, als wäre er gerade vom Joggen und Nachdenken heimgekehrt. Auch Galic trägt legere Freizeitkleidung und eine Tasche. Vermutlich ist sie auf dem Weg zum Shopping. Es könnte aber auch am Rande einer Theaterprobe sein, kleine Nebensätze über die Arbeit lassen das vermuten. Auf jeden Fall hat man es hier mit zwei durchaus intellektuellen Menschen zu tun.
Nachdem Harzer über Codes, die Bausteine der Sprache, das Zuhören und Atmen referiert hat, wobei er immer mal wieder ein paar Kommandos brüllt (also doch Probe), kommt er über das Parametrisieren schließlich auf das Feld der Körperlichkeit und Sexualität. Und Blut und Sperma fließen dabei in Metaphern, wie auch der gesamte Text von Rambert in teilweise höchst pathetische Worte gefasst ist. Das geht sogar so weit, dass Harzer sich ins Kriegsvokabular versteigt und beide mit dem Kultehepaar der Kunstszene Yoko Ono und John Lennon vergleicht, auf die vor dem Dakota Building wohl schon der nächste David Chapman wartet. Harzer lässt schließlich auch keine Eigentumsfragen offen. Er möchte einen kleinen Sessel mit rosa Stickereien (?) und eine alte Zeichnung mit einem Kinderkopf, da sich darin ihr ganzes Leben spiegele.
Als tatsächlich noch die Sprache auf die Kinder kommt, gibt es erste körperliche Regungen bei Marina Galic, die bis dahin nur ein paar Schluchzer vernehmen ließ. Sicher eines der schmerzhaftesten Themen bei einer Trennung. Nachdem sich Jens Harzer bereits zum Gehen entschlossen hat, kommt dann noch als kleiner Break ein Kinderchor und probt kurz das Lied „Der Kuckuck und der Esel, die hatten einen Streit“. Der einzige Ironieeinschub des Abends. Es folgte spontaner Beifall. Danach werden die Plätze getauscht, und Marina Galic hat nun nichts weiter zu tun, als ihrem Gegenüber seinen aufgeblasenen Nullmonolog verbal um die Ohren zu hauen. Sie spielt sozusagen gekonnt den Ball emotional aufgeladen wieder zurück. Und das hat mir dann, muss ich ehrlich sagen, doch noch imponiert.
Hier ringt jemand mit seinen Worten, der zuvor kurz vor der sprachlichen Vernichtung stand. Und das geht dann auch erstmal nur über die verbale Beschimpfung, auch wenn dabei vielleicht einmal zu viel „du Arschloch“ gesagt wird. Harzers Taktik der Attacke wird von Galic nun entsprechend pariert. Sie entlarvt seine Logorrhoe als leeres, hirnloses Geschwätz. Er habe kein Innenleben, alles nur intellektuelle Theorie und Äußerlichkeit. Galic punktet eindeutig auf dem Feld der Erinnerung. Nicht materielle Dinge sind ihr wichtig, sondern gemeinsam Erlebtes, das sie in sich bewahren wird, wie ihre Version des ersten Mals, seine Kopfform im Kissen und sogar seinen Abdruck auf der leeren Kloschlüssel. Ihr Kunstvergleich der Trennung ist die Vertreibung aus dem Paradies, ein Fresko von Masaccio, das beide im Dom von Florenz gesehen haben.
Sie stehen sich dann zum Schluss oben nackt mit einem fächerartigen Kopfputz wie zwei erstarrte Idole stumm gegenüber. Es ist alles gesagt. Diese Versuchsanordnung, mit der Pascal Rambert seit 2011 von Theater zu Theater zieht, ein Trennungsgespräch in dieser Form aufzusplitten, jedem die Zeit und das Recht für seine Sicht der Dinge zu geben, scheint auf den ersten Blick interessant, es fehlt ihm aber hier an theatraler Kraft, die ein dialogischer Schlagabtausch bringen könnte. Dass man nicht genau erfährt, was letztendlich der tatsächliche Grund der Trennung ist, die eigentlich Geschichte dahinter, lässt sich dabei verschmerzen. Die schmerzlich gestellte Frage: Wen liebe ich, wenn ich dich liebe und ist es der- oder diejenige dann auch wert, bleibt so oder so unbeantwortet schwebend im Raum.
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(C) Thalia Theater Hamburg
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Stefan Bock - 28. Juni 2014 ID 7927
ENDE EINER LIEBE (Haus der Berliner Festspiele/Seitenbühne, 26.06.2014)
Regie und Ausstattung: Pascal Rambert
Ausstattungsmitarbeit: Christoph Rufer
Dramaturgie: Susanne Meister
Regieassistenz: Helge Schmidt
Mit: Marina Galic, Jens Harzer und dem Kinderchor Canzonetta
Uraufführung beim Festival d'Avignon war am 17. Juli 2011
Premiere am Thalia Theater Hamburg: 26. April 2014
Aufführungen zu den FOREIGN AFFAIRS der Berliner Festspiele: 26. + 28. 6. 2014
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinerfestspiele.de
Post an Stefan Bock
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