SUN
Hofesh Shechter Company, London
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Bewertung:
Das Britische Weltreich nannte sich zu seiner Zeit auch so, weil es die größte Kolonialmacht aller Zeiten war, da zählten beispielsweise auch Australien oder Nordamerika dazu; das war'n noch Zeiten.
Heute nun fühl'n sich die Inseln - umgekehrt - vom bürokratischen Europa (auf dem Festland) mehr und mehr bedroht will sagen kolonialisiert, weswegen sie es, umgekehrt, mit "Ausstieg" noch und noch bedrohen; immerhin blieb ihnen Nordirland bis da erhalten...
Das zusammen - also Kolonialmacht/Irland - könnte, wenn ich mich nicht täuschte, die duale Generalthematik in dem gestern Abend bei FOREIGN AFFAIRS gezeigten Tanzstück Sun von Hofesh Shechter gewesen sein; aber so sicher bin ich mir da nicht. Denn statt es uns ein bisschen zu erläutern, meinten die Berliner Festspiele aufs Regenbogenpresserischste einen von 364 Arbeitstagen aus dem jungen Leben des in Israel geborenen und seit geraumer Zeit in London wirkenden sympathischen und hochgenialen Choreografen abdrucken zu müssen: "Ich stehe um acht Uhr auf, mache Tee und schalte meinen Laptop an. (...) Gegen 24 Uhr gehe ich ins Bett und normalerweise geht dann das Kopfzerbrechen wieder von vorne los." (Quelle: Sunday Times Magazine)
Doch halt - zu Sun steht doch etwas, hätte ich fast jetzt überlesen: "Die Idee dazu kam mir bei einer Stehparty. Ich stand da herum und fand alles schrecklich. Später wurde mir klar, dass mich die Heuchelei dort so aufgeregt hatte."
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Eine tief und zeitlupig gesynthesizerte (Altmänner-)Stimme lässt dann - aus dem Lautsprecher hervorschallend - über die anderthalbstündige Dauer Suns hinweg Englischvokabeln fallen, die als Licht & Schatten, Schwarz & Weiß volkstümlich deutbar sind. Die 14 Tänzerinnen und Tänzer der Hofesh Shechter Company tragen Christina Cunninghams Kostüme oder Trachten aus dem 19. Jahrhundert; zwei der Männer sind als Harlekins verkleidet - die Performance fängt mit einem abgebrochenen Zitat aus Wagners "Einzug der Gäste" (aus Tannhäuser) an und stampft und dröhnt in tranceartiger Zugespitztheit peu à peu an uns vorbei. Dass Shechter auch mal Schlagzeuger studiert hatte und überdies im Musikalischen bewandert ist oder zu seien scheint, kriege ich durch den meine Eingeweide durschüttelnden Dauerangriff aus den Riesen-Lautsprechern des Hauses der Berliner Festspiele entnervt und eingeschüchtert mit; das Alles wirkt schon ungeheuer maskulin und hat doch einen zugegeben einpeitschend-erotisierenden Effekt - weswegen ich natürlich bleibe! Andere Tanzfreundinnen und -freunde suchten allerdings vorzeitig schon das Weite...
Mitgeführte Pappen, worauf Schafe, Zulu-Häuptlinge, uniformierte Kolonialisten und ein Wolf oder der Kartenumriss Nordirlands zu sehen sind, verweisen ziemlich eindeutig auf die vermutete Dual-Thematik (= Kolonialmacht/Irland); ja, entsprechend ist die folkloristisch anmutende Anspielung sowohl im Tänzerischen als auch Musikalischen - auch Irland war ja einst durch England kolonialisiert. "Anglo-Normannen konfiszierten den Landbesitz der Iren", lt. Wikipedia, "und vertrieben sie in den weniger fruchtbaren Westen der Insel. Ab etwa 1600 wurden von der englischen Krone im Nordosten der Insel anglikanische und presbyterianische Siedler aus England und Schottland angesiedelt. Diese sogenannte Plantation war die Wurzel eines Jahrhunderte schwelenden ethno-religiösen Konflikts, besonders schwer und lange fortdauernd im heutigen Nordirland, dem Siedlungsschwerpunkt."
Alles dieses [s.o.] musste ich mir jetzt durch einschlägiges Quellenstudium hart erarbeiten.
Bin dennoch anhaltend gebannt gewesen von der ethno-kulturellen Mega-Show.
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Hofesh Shechter Company, Sun - Foto © Gabriele Zucca
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Andre Sokolowski - 5. Juli 2014 ID 7945
SUN (Haus der Berliner Festspiele, 04.07.2014)
Choreografie und Musik: HOFESH SHECHTER
Performance: HOFESH SHECHTER COMPANY
Set Design: MERLE HENSEL
Licht: LEE CURRAN und ALAN VALENTINE
Kostüme: CHRISTINA CUNNINGHAM
Arrangement: DAVID CRESSWELL (Music Masters Ltd.)
Streicher: CHRISTOPHER ALLAN, REBEKAH ALLAN und NELL CATCHPOLE
Gitarre: JOSEPH ASHWIN, JOEL HARRIES und VINZ
Szenaristin: KIRSTY GLOVER
Puppen: JAMES WARD (jimbobart), REBECCA CUSACK und JOHN I. GORDON, Framestore
Technische Leitung: LAWRIE MCLENNAN
Ton: MIKE BIGNELL
Mit: MAEVA BERTHELOT, CHIEN-MING CHANG, FREDERIC DESPIERRE, BRUNO KARIM GUILLORE, PHILIP HULFORD, YEJI KIM, KIM KOHLMANN, ERION KRUJA, MEREL LAMMERS, SITA OSTHEIMER, ATTILA RONAI und DIOGO SOUSA
Special Guest: CHLOE WALSHE
Eine Produktion von Hofesh Shechter Company im Auftrag von Bruno Wang
Aufführungen zu den FOREIGN AFFAIRS: 4. + 5. 7. 2014
Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinerfestspiele.de
Post an Andre Sokolowski
http://www.andre-sokolowski.de
FOREIGN AFFAIRS
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