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51. Theatertreffen

„Wer bin ich?" - Karin Henkel treibt Heinrich von Kleists Doppelgängerdrama Amphitryon auf die Spitze




„Das ist doch ein lustiges Stück.“

Josef Ostendorf geht lächelnd über den Vorplatz des Deutschen Theaters zur Kantine. Der Mann hat gut lachen, er ist nicht besetzt. Außerdem weiß er da wahrscheinlich auch noch nicht, wie es ausgehen wird...

„Ich bin ein Mensch, dort komm ich her. Da geh ich hin. Mehr weiß ich nicht.“ sagt irgendwann Carolin Conrad, eine der Darstellerinnen des Sosias. Oder war es doch Marie Rosa Tietjen oder eine(r) der anderen DoppelgängerInnen, die Karin Henkel in ihrer Inszenierung des Amphitryon nach Heinrich von Kleist aufbietet? Wer bin ich, wenn ich nicht mehr ich bin? Den Schleuder mit den Identitäten hat man/frau, seit Immanuel Kant im fernen Königsberg das Licht der Aufklärung entzündete - und das Theater spätestens, als Kleist diese Lektüre in die Finger bekam.

„Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint.“ schreibt Kleist 1801 an seine Dauerverlobte Wilhelmine von Zenge. Amphitryon ist wohl das Stück, welches die Identitätskrise Kleists und seine Zweifel an der Erkennbarkeit der Wahrheit am besten ausdrückt. Das Lustspiel des französischen Komödiendichters Molière über den Gott Jupiter, der in Gestalt des Thebanischen Feldherrn Amphitryon mit dessen Gattin Alkmene eine Liebesnacht verbringt und damit alle Protagonisten des Stücks in eine existentielle Glaubenskrise stürzt, hatte Kleist in der französischen Gefangenschaft zu seiner Version einer Tragikomödie inspiriert.

„Dein Stock kann machen, dass ich nicht mehr bin. / Doch nicht, dass ich nicht Ich bin, weil ich bin?“ Dieses vermeintlich feststehende Wissen des Sosias, an dem er gegenüber seinem ihm schlagkräftig die Identität streitig machenden Doppelgänger Merkur festhalten will, rüttelt Kleist nebst seiner Protagonisten nach und nach mächtig durcheinander. In deren Tragik einerseits und der daraus folgenden Komik anderseits liegt das Potential des Stückes und ist gerade wegen seiner Identitätsproblematik und den daraus folgenden kuriosen Verwirrungen ein gefundenes Fressen für Theaterregisseure und Schauspieler gleichermaßen.

Der alte Berliner kennt sicher die wunderbare Klopsgeschichte, in der es da heißt: „Ick kieke, staune, wunder mir, uff eenmal jeht se uff, de Tier! (…) Ick jehe raus und kieke und wer steht draußen? … Icke.“ In der Züricher Variante ist Icke (Sosias) schon da und macht sich genüsslich ein Bier auf, während das nächste Ich zur Tür hereinschneit, die passende Entspannungsmusik auflegt und sich verwundert fragt: „Heda! Wer schleicht da? Holla!“ Und schon wieder geht die Tür auf usw. usf. bis fünf Individuen in Hut und Trenchcoat behaupten, jener Sosias zu sein. Hier ist scheinbar nicht nur einfach alles doppelt, hier kann jede(r) jederzeit die Identität der/des anderen übernehmen. Hemden, Jacken und Kleider wechseln den Mann und die Frau. Selbst Amphitryondarsteller Michael Neuenschwander tritt hier mal als Dienerin Charis auf, und Marie Rosa Tietjen gibt sogar völlig überzeugend hintereinander die Parts des Merkur, des Sosisa sowie dessen ihn verfluchende Gattin.

Nicht nur Sosias und sein Herr Amphitryon bekommen Identitätsprobleme, auch Alkmene (Lena Schwarz) ist plötzlich doppelt. Eine Etage höher spiegelt sich das Zusammentreffen des heimgekehrten Feldherrn, der sich ob der Verwunderung seiner Gattin nach dem Jupiterbesuch (in der Rolle: Fritz Fenne) über sein erneutes Auftauchen reichlich veräppelt vorkommt. Über eine Treppe switchen die Darsteller auch noch zwischen den Ebenen hin und her. Karin Henkel nimmt den Dichter Kleist beim Wort und schüttelt dessen eh schon verwirrende Blankverse nochmals ordentlich durcheinander. Die Darsteller, in den Rollen wie Geschlechtern wechselnd, irren ein ums andere Mal auf der Suche nach sich selbst über die Bühne und wiederholen verstört ihren Text.

Das dabei die eigentliche Geschichte des Gottes Jupiter, der als großer Liebhaber um seiner selbst geliebt werden will, die des Feldherrn Amphitryon, der sich aus seiner männlichen Vorherrschaft verdrängt fühlt, und die der verzweifelt schwankenden Alkmene, die doch in beiden Egos immer nur den einen sehen will, auf der Strecke bleibt, nimmt Karin Henkel gern in Kauf und treibt ihr Regiekonzept inklusive der Schauspieler bis ins Groteske.

Aus der allgemein herrschenden Konfusion hilft letztendlich nur der Sprung aus der Rolle. Jeder zählt nun dem anderen seine Rollen vor, und es werden Namensschildchen gemalt, bis man merkt, dass noch ein Merkurdarsteller fehlt. Das ist dann endlich die Stunde des Hamburger Schauspielers Josef Ostendorf, der (aus der Kantine geholt) nun zu einer unverhofften Glanzrolle vom Blatt weg kommt. Er hält sich den bittenden Sosias vom Leib und von seiner mitgebrachten Wurst fern. Man glaubt ihm schon allein wegen seiner raumgreifenden Fülle, dass er und Carolin Conrad keine Zwillingsbrüder sein können.

Aber auch Ostendorf erhält noch einen weiteren Doppelgänger in Person des Schauspielers Christian Baumbach, der in Zürich sonst den Bockwurstesser aus der Kantine mimt. Und während es unten noch um die besagte Wurst geht, steigt oben Alkmene nicht aus ihrer Rolle, sondern dem Wahnsinn nah aus dem Fenster. Ihr kurzzeitiger Abgang ist wie die flüchtige Regieidee, die am Ende nicht mehr so recht weiß, wo sie eigentlich hin wollte. Ach Gott!



Abgelichtetes Amphitryon-Plakat im Schaukasten beim 51. THEATERTREFFEN - Foto (C) Stefan Bock


Bewertung:    



Stefan Bock - 5. Mai 2014
ID 7800
AMPHITRYON (Schauspielhaus Zürich)
Regie: Karin Henkel
Bühne: Henrike Engel
Kostüme: Klaus Bruns
Musik: Tomek Kolczynski
Dramaturgie: Gwendolyne Melchinger
Mit: Carolin Conrad, Fritz Fenne, Michael Neuenschwander, Lena Schwarz und Marie Rosa Tietjen
Premiere am Schauspielhaus Zürich war am 27. September 2013
http://www.schauspielhaus.ch

Termine beim Theatertreffen: 3. + 4. 5. 2014


Weitere Infos siehe auch: http://www.berlinerfestspiele.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

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