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THEATER DER WELT | Düsseldorf, 17.06.-04.07.2021

Archipel

Brigitta Muntendorf, Stephanie Thiersch, Sou Fujimoto


Bewertung:    



Begegnungen der nicht alltäglichen Art: Das Gewissen plagte mich, als ich, um meine Schulden zu begleichen, den Herrn vergeblich suchte, der mir über zwei Reihen hinweg mit einer Maske ausgeholfen hatte, als an meiner eigenen Gesichtsbedeckung das Bändel unmittelbar vor Beginn der Vorstellung ausgerissen war.

*

Die Nebenspielstätte des Düsseldorfer Schauspiels, das Central, dessen schlampiges Ambiente in krassem Gegensatz steht zur avantgardistischen Fassade des Schauspielhauses, ist wie geschaffen für ein Festival. In der Mitte der so genannten Großen Bühne steht für Archipel. Ein Spektakel der Vermischungen von Brigitta Muntendorf, Stephanie Thiersch und dem japanischen Architekten Sou Fujimoto ein Turm wie eine riesige Skulptur von Alexander Calder. Das Publikum sitzt auf Tribünen an drei Seiten, die Inszenierung muss sich auf unterschiedliche Perspektiven einlassen.

Der Choreographin und Leiterin der Kompanie MOUVOIR Stephanis Thiersch und der Komponistin Brigitta Muntendorf steht ein durchgängig präsentes Ensemble zur Verfügug, um dessen Größe die meisten Dreispartenhäuser die beiden beneiden dürften. Die Musiker sind in die Choreographien einbezogen, und auch Teile des Bühnenbilds geben Töne von sich. Der Norwegische Solistenchor, der ebenfalls live dabei sein sollte, musste seinen Beitrag wegen der besonderen Umstände über Boxen liefern, was aber wegen des ausgeklügelten Raumklangs nicht unbedingt ein Schaden war. Hinzu kamen die effektbewusste Lichtregie von Begoña Garcia Navas, die fantasievollen weißen Kostüme von Sita Messer und Lauren Steel, sowie Videos, die den Rhythmus der Tänzer verdoppeln und verdreifachen.

Über ganze Strecken tanzt jede und jeder für sich allein zur Melange aus Elektronik und traditionellen Instrumenten. Kommunikation ist eher die Ausnahme als ein Grundprinzip. Dafür variieren die Tempi von extremer Langsamkeit bis zu hektischer Hyperaktivität. Die Tänzer kreisen um ihre Achse, strecken die Arme hoch, trippeln über die Bühne, zappeln, krümmen sich, werfen sich auf den Boden, schütteln ihre Haarpracht nach vorne und zurück, manchmal solistisch, manchmal synchron. Zu den wiederkehrenden Verfahren gehört die Phasenverschiebung der Töne und elementarer Körperbewegungen – Steve Reich und Anne Teresa De Keersmaeker lassen grüßen.

Die Akteurinnen und Akteure nehmen sich fürchterlich ernst. Auf diesem Archipel ist kein Platz für Witz und Humor. Der Mensch figuriert in dieser Choreographie als Teil einer Maschine, ohne kritische Distanz.

Zwar ist der Abend laut Programmzettel in drei Teile gegliedert, deren Titel, in denen bezeichnenderweise von Ritualen die Rede ist, wohl nicht zufällig an Strawinskis Sacre du printemps erinnern, aber dass einem die 90 Minuten, mit oder ohne Maske, länger vorkommen, liegt wohl daran, dass in Wahrheit keine Entwicklung stattfindet. Es gilt das Prinzip der Reihung und damit der Beliebigkeit. Die Vorstellung könnte an jeder Stelle enden. Kurz vor dem tatsächlichen Ende, ehe sich in die Choreographie doch noch etwas Groteske mischt, erklingen Balkanphrasen: Goran Bregović statt John Cage und Merce Cunningham. Das hat was.



Archipel mit Brigitta Muntendorf, Stephanie Thiersch und Sou Fujimoto
Foto: Martin Rottenkolber

Thomas Rothschild – 20. Juni 2021
ID 12986
Weitere Infos siehe auch: https://www.theaterderwelt.de/


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