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Kurzkritik

Peeping Tom

32 rue Vandenbranden


Bewertung:    



Zu Beginn schreit ein Baby im Dunkeln. Es verschwindet im Schnee unter einem Wohnwagen. Der Wind pfeift, und am Rundhorizont hängen Wolken am blau leuchtenden Himmel, wenn es nicht gerade Nacht ist und nur eine Straßenlaterne den Platz zwischen den Wagen erhellt. Die erfolgreiche belgische Tanztheater-Kompanie Peeping Tom um das Choreografen-Duo Gabriela Carrizo und Franck Chartier führt uns in ihrem seit 2009 durch Europa tourenden Stück 32 rue Vandenbranden in einen winterlichen Trailerpark der einsamen Herzen irgendwo im Nirgendwo. Die Truppe gastiert erstmalig in Berlin mit diesem Stück, das auch gut ins Programm des FOREIGN AFFAIRS-Festivals gepasst hätte, das letztmalig im Juli am gleichen Ort im Haus der Berliner Festspiele stattfand.

Hier tanzt ein Paar (Carolina Vieira und Jos Baker) eine gelenkige Schwanenhals-Choreografie, und zwei anreisende Koreaner (Hun-Mok Jung und Seoljin Kim) führen Huckepack Koffer-Kabuki auf. Ein Lagermacho steht zwischen zwei Frauen, die er dominieren möchte. Die alleinlebende Marie (Marie Gyselbrecht) ist unglücklich schwanger und wehrt die Avancen des schüchternen Kim ab, der sich mit seinem koreanischen Partner auch gern mal an die großen Brüste der Mezzosopranistin Eurudike De Beul drängt. Ihre Beziehungsgerangel trägt die kleine Trailergemeinschaft in den mit Fenstern ausgestatteten Wagen oder auf dem eisglatten Vorplatz aus. Tanz, Pantomime und Kontorsionsakrobatik sind die vorherrschenden Bewegungselemente des Stücks, das sich um Einsamkeit, Sehnsucht nach Liebe, Eifersucht und gegenseitige Abhängigkeiten dreht.

Das ist trotz der teils surrealen und albtraumhaften Grundstimmung nicht ohne Witz und Ironie. Wenn nicht gerade Schlager-Karaoke mit dem Duschkopf erklingt, oder einfach nur der Sturm um die Trailer heult, gibt es emotional geladenes, körperbetontes Tanztheater, wobei Eurudike De Beul alles noch um Längen mit ihrer Stimme toppt. Sie hat "Casta Diva" aus Bellinis Norma genauso drauf wie etwa ein Agnus Dei von Bach oder ein gerocktes "Shine on You crazy Diamond" von Pink Floyd. Es hätte auch gut ein melancholisches "Wish You were here" sein können. Ist das The Dark Site of the Moon, oder das echte Leben? Wenn am Ende Kim sein blutendes Herz verschenkt hat, pfeift jedenfalls wieder der Wind, und jeder muss allein in seinen Trailer zurück.




32 rue Vandenbranden | Foto (C) Hermann Sorgeloos

Stefan Bock - 14. August 2016
ID 9480
32 RUE VANDENBRANDEN (Haus der Berliner Festspiele, 13.08.2016)
Konzept und Regie: Gabriela Carrizo & Franck Chartier
Von und mit: Jos Baker, Eurudike De Beul, Marie Gyselbrecht, Hun-Mok Jung, Seoljin Kim und Maria Carolina Vieira (in früherer Besetzung mit Sabine Molenaar)
Produktion: Peeping Tom


Weitere Infos siehe auch: http://www.tanzimaugust.de


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blog.theater-nachtgedanken.de

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