FRANK
BÜTTNER
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Letzte Vorstellungen in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
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Foto (C) Julia Klotz
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Im November vor drei Jahren traf ich mich das erste Mal mit Schauspieler Frank Büttner zum Gespräch. Das war paar Tage nach seiner Kaputt-Premiere in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Und wir kamen in dem Interview vom Hundertsten ins Tausendste, es drehte sich dann fast "um Alles", was das pralle Leben, und zwar nicht nur das von einem Schauspieler, als welchen ich ihn eigentlich dann treffen wollte, halt so bietet - und so lernte ich ihn also auch "als Mensch" (wie es dann immer so schön heißt, wenn man mitunter zu Privatem übergeht) ein Stückchen näher kennen.
Seit dem Date hatte ich ihn in noch vier weiteren Frank Castorf-Inszenierungen erlebt: Die Brüder Karamasow (2015), Die Kabale der Scheinheiligen (2016), Faust (2017) und Ein schwaches Herz (2017).
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Die in der Dunkelheit stets aufgeleuchtet habenden OST-Letter auf dem Dach der Volksbühne sind abmontiert, und wenn dieses Gespräch am 1. Juli auf KULTURA-EXTRA erstveröffentlicht sein wird, gehen auch - nach dem Straßenfest im Anschluss an Baumeister Solness - alle andern Lichter in dem Hause aus.
Es ist die staatlich zementierte "Ausrottung" von einem bis zu dieser Stunde weltweit unvergleichlich wie erfolgreich funktioniert habenden Künstlergroßfamilienkollektiv, das es in Deutschland so noch nie zuvor gegeben hatte und auch nie mehr geben wird. Die unbedarften Oberen am hierfür zuständigen Schreibtisch müssen es auf das Erklecklichste verachtet haben, falls sie sich mit ihm dann überhaupt jemals beschäftigten (woran wohl wegen ihrer demonstrierten Ignoranz und implizierten Ahnungslosigkeit gezweifelt werden darf) - viel anders ist ihr Nacht-und-Nebel-Handstreich, jedenfalls für Außenstehende, nicht deutbar.
Was wird eigentlich aus den zig Bühnenbildern und Kostümen all der aufwändigen Produktionen? wird das Alles nunmehr bei Versteigerungen angeboten oder landet gar womöglich auf den Müll??
Berlin war, ist und bleibt um eine der kulturpolitisch niederträchtigsten und schäbigsten Erfahrungen, die es in der Nachwendezeit von sich aus fabriziert hat, reicher. Was für armselige Grundentscheider waren hier am Werk.
Die Ära Castorf ist Vergangenheit.
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Du warst jetzt mit Der Spieler in Athen - erzähl, wie lief das ab? wie kam das bei den Griechen an??
Frank Büttner: Die Volksbühne war [neben dem Spieler] mit einem sehr großen Programm in Athen zu Gast, Fritsch war übrigens auch dabei. Alles war ausverkauft und wurde vom Publikum extrem positiv aufgenommen, wir spürten also große Begeisterung. Das Gastspiel fand auf einem ehemaligen Industriegelände in einer vormaligen Produktionshalle für Plasteverarbeitung statt, die wurde von den Griechen zum Kulturbegegnungszentrum umgewandelt und saniert, eine Drehbühne wurde eingebaut und Plätze für insgesamt 1.200 Besucher geschaffen. Wir hatten da mit Übertitelungen gespielt, und die Gags wurden wahrscheinlich alle soweit gut verstanden, die Leute hatten jedenfalls gelacht... Überhaupt: Ich bin noch immer extrem angerührt von dieser in Athen zu spürenden Menschlichkeit, wie die Leute beispielsweise mit den vielen Flüchtlingen, die überall im Stadtzentrum zu sehen sind, dort umgehen, oder wie sie dann einfach ihre alltäglichen Sorgen und Nöte meistern, nein, den Griechen geht es momentan, wie wir ja alle wissen, wirklich nicht besonders gut.
Heute bist du, letztmals in Berlin, bei der Kabale der Scheinheiligen mit dabei - ab 8. Juli wird sie dann noch 5 mal hintereinander in Avignon gespielt... Apropos Kabale & Scheinheiligkeit: Wie hast du, wie habt ihr eure Hauszertrümmerung verkraftet? und wie ist die allgemeine Stimmung momentan??
FB: Was auffällt, wenn man jetzt bei all den jeweils letzten Vorstellungen mit Kollegen auf der Bühne steht, ist dieses Anders-Miteinanderumgehen, also man weiß, dass man sich höchstwahrscheinlich so, zumindest in der Aufführung, wo man gerade noch einmal zusammen spielt, nie wieder sehen wird. Das ist schon extrem angespannt und macht sehr traurig, man erlebt es sehr, sehr tief und gleichzeitig doch irgendwie zurückgezogen. Auf der anderen Seite, was das Spielerische anbelangt, legt man sich freilich nochmal richtig kräftig in das Zeug ohne am Ende wehmütig und kitschig zu erscheinen, ja, es ist ein kraftvoller Abschied, was dann auch vom Publikum begeistert aufgenommen wird, es gibt fast halbstündigen Schlussapplaus, Standing Ovations, und die Leute weinen und lassen einen einfach nicht mehr von der Bühne gehen. Das macht Gänsehaut, man weiß dann gar nicht, wie man damit umgehen soll, man sitzt dann später noch in der Kantine, um ein Bier zu trinken, man kann es einfach noch nicht fassen, dass das Alles jetzt zu Ende ist.
Wie ist dann eigentlich dieser Senatsbeschluss bei euch kommuniziert worden? hat der Renner das persönlich und vor Ort erledigt, war er da??
FB: Sein Name ist, was den Zusammenhang betrifft, nicht wert, dass er auch nur erwähnt sein sollte, aber weil du schon mal fragst: Ich hatte ihn erlebt, als er bei einer Personalversammlung da war, wo ihm die Beschäftigten der Volksbühne sehr laut und deutlich zu verstehen gaben, was sie von dem Allen halten, ja und Jürgen Kuttner hatte ihn gar aufgefordert, wenn er sowieso dann weder Zeit noch Interesse hätte, dass er wieder gehen könnte... Und das Alles, wie es abgelaufen ist, ist schon entwertend und respektlos, es ist einfach undiskutabel! Wowereit und Schmitz hatten es ja schon weit vor dem jetzigen Regierenden Bürgermeister Müller, der übrigens nicht eine einzige der Castorf-Vorstellungen an der Volksbühne jemals besucht hatte, mit angestoßen, und dann kam halt der Bewusste... Nach der Wahl versuchte noch Klaus Lederer [der neue Kultur- und Europasenator im rot-rot-grünen Berliner Senat, AS], der seither einige Male hier im Haus weilte, sich umfassend den Sorgen und Fragen der Mitarbeiter zu stellen, und er war auch bei Publikumsdiskussionen mit dabei, versuchte Schadensbegrenzungen; nach meiner Meinung war das schon ein wohltuender Akt humanitärer Intelligenz, aber, wie gesagt - es war und ist zu spät.
Wie hast du Castorf eigentlich dann während dieses ganzen Auflösungsprozesses wahrgenommen? Ich, als Außenstehender, würde da schon eine demonstrative Zurückgenommenheit von fern beobachtet und konstatiert haben, also ihm war womöglich nach Nicht-noch-mehr-Öl-ins-Feuer-Gießen oder??
FB: Was ich so an Castorf schätze, ist die Souverenität, mit der er über Allem steht, weswegen er sich auch bisher nicht offiziell zu seiner Absetzung geäußert hatte. Doch man merkte schon, auch extrem-deutlich, wie ihm das dann Alles nahe ging, wie das natürlich schmerzte. Ganz, ganz deutlich war das jetzt, nachdem das OST-Schild während unsrer allerletzten Karamasow-Vorstellung vom Dach der Volksbühne entfernt wurde, aber da rutschte uns fast allen das Herz in die Hose. Und er war ja auch bei jeder letzten Vorstellung dabei und sprach danach nochmal mit Allen und bedankte sich für die gemeinsame Zeit, für die Inszenierungen, kurzum für alles Das, was wir gemeinschaftlich erlebten.
Übermorgen hast du in Ein schwaches Herz deinen definitiv letzten Auftritt in der Volksbühne - ich hatte kaum etwas von dem verstanden, worum es da ging. Kannst du mir kurz erklären, welche Rolle du da spieltest?
FB: Nun, letztendlich spielte ich einen Toten... Die letzte Produktion stand ja, aus meiner Sicht und auch aufgrund dieser emotionalen Spannungen, die wir ja alle hatten, unter keinem besonders guten Stern, womöglich übertrug sich das dann auch auf dich - auf jeden Fall: Es sollte eine Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Sterben und mit dem Verlust überhaupt sein. Oder dem Kommunizieren und Verständlichmachen über das Alles, und es endet damit, dass dann schließlich Georg Friedrich in die Psychiatrie verbracht wird. Psychiatrie als Ort für die, die man nicht mehr versteht oder nicht mehr zu verstehen bereit ist...
Dein Thema auch - in unserm ersten Interview erzähltest du von deinem Studium und von deiner Arbeit...
FB: Wie du weißt, habe ich eine sozialtherapeutische Ausbildung und arbeite nach wie vor im ambulanten Straffälligenbereich. Und ich nutze Teile meines Uraubs oder meiner gesamten Freizeit fürs Theater, auch um mich mit mir und meiner Zeit auseinandersetzen zu können.
Du warst jetzt 22 Jahre an der Volksbühne - nennst du mir bitte ganz spontan dein absolutes künstlerisches Highlight während dieser langen, langen Zeit, aber nur eins!
FB: Eins geht nicht, nein. - Persönlichkeiten, Regisseure, die mich während dieser Zeit geprägt haben: Schlingensief, Castorf, Gotscheff, und natürlich auch Zholdak. Und wenn du mich jetzt fragen würdest, welche die furchtbarste, körperlichste und anstrengendste Arbeit war, dann war's Medea in der Stadt von Zholdak, wo Marc Hosemann und ich die ganze Bühne zum Fenster rausgeworfen hatten, Kühlschränke, Fernseher, die gesamte Einrichtung, alles war voller Blut, diese Destruktivität, und nicht nur Sachen, nein, auch Leute wurden aus dem Fenster geschmissen und sehr schlecht behandelt - - alles im Allem: physisch, psychisch und vom Sprachlichen her eine echte Herausforderung. Ja und auch alle Dostojewski-Arbeiten mit Castorf, angefangen vom Idioten... Gotscheff war da wieder völlig anders und subtiler... Ja und dass ich dann am Ende noch den Valentin im Faust gespielt hatte, das stimmt mich dankbar, ihn betrachte ich dann auch als meine ganz persönliche Verabschiedung.
Während du hier warst, waren Menschen, die (wie du) ihr künstlerisches Leben mit Frank Castorf und der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz teilten, nach und nach von uns gegangen: Christoph Schlingensief, Dimiter Gotscheff, Bärbel Bolle, Bert Neumann... An wen erinnerst du dich außerdem?
FB: Wer mir besonders wichtig zu erwähnen ist: Michael Klobe [1950-2011]. Der war eigentlich Kabarettist und hatte ein von vornherein auffälliges Aussehen. Mit dem habe ich bei Hauptmanns Webern die Bockwurst (er die Fritte) gespielt, und als er gestorben war, übernahm ich dann, was mir auch schwer fiel, einen Großteil der laufenden Produktionen mit ihm, hatte also seine Rollen mit gespielt und das mit großer Liebe gemacht; ich fand ihn einfach angenehm. Und natürlich erinnere ich mich auch an Susanne Dühlmann [1928-2013] oder all die alten Marthaler-Schauspieler, die nicht mehr unter uns sind.
Wo wird dein zukünftiger künstlerischer Lebensmittelpunkt nach diesem letzten Spielzeitende sein? In unserem ersten Gespräch sagtest du, dass Frank Castorf, wenn er wieder eine Rolle für dich vorgesehen hatte, immer bei dir anrief...
FB: Das ist eine Frage, die ich überhaupt nicht beantworten kann. Was für mich jetzt erst mal sein wird, wenn ich aus Avignon zurückkehre und danach in den sogenannten Sommerurlaub gehe, dass ich eine große Traurigkeit, ich will nicht sagen Depression, verspüren werde. Doch die richtige Melancholie und große Traurigkeit kommt sicher dann, wenn alle anderen Häuser ihre Spielzeitferien beenden und ihre neue Saison beginnen, ja, man wird sich dann bewusst darüber sein, dass nichts mehr ist, dass nichts mehr kommen wird. Ich habe mir selber erst mal eine Pause vorgenommen, möchte also nicht jetzt irgendwo herumfragen, wo oder was ich spielen könnte. Muss mit mir jetzt erst einmal ins Reine kommen. Ich hatte wegen meines Pensums und den ganzen Sachen, die zuletzt am Hause hier passiert waren, sehr wenig Zeit über mich selber nachzudenken oder einen neuen Input, der dann nur mit mir zu tun hat, zu erhalten. Ich hatte auch viel zu wenig Zeit für meine Freunde oder mein Privatleben, ich möchte also in allererster Linie erst mal Zeit mit mir verbringen, ich will lesen, mich treiben lassen und gucken, ob ich selbst aus mir heraus neue Anregungen und Impulse für mein Leben bekomme. Vielleicht falle ich auch in ein Loch, ich weiß es nicht. Was ich ganz sicher weiß: Dass ich dann hier am Haus, unter veränderter Leitung, keine Arbeit machen werde, es wäre für mich ein Verrat an der Volksbühne, die mich die Jahre und Jahrzehnte lang entwickelt und beleuchtet und extrem geformt hatte, politisch, künstlerisch und menschlich.
In diesem Sinne, Frank: Ich wünsche dir viel Gutes! und ich weiß auch, dass ich dich - mit Garantie - dann irgendwo und irgendwann auf einer Bühne wiedersehen und erleben werde!! Hundertpro.
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Frank Büttner mit dem Faust-Pudel Bukowski | Foto (C) Julia Klotz
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[Ich traf Frank Büttner am 28. Juni 2017 in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz; wir führten dieses Interview in seiner Garderobe, unmittelbar vor seinem letzten Berliner Auftritt als Narr und Der Gerechte Schuster in Frank Castorfs Die Kabale der Scheinheiligen. AS]
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Interviewer: Andre Sokolowski - 1. Juli 2017 ID 10117
Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne-berlin.de
Post an Andre Sokolowski
http://www.andre-sokolowski.de
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