Etwas
dünne
Dramedy
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Girls & Boys am Berliner Ensemble | Foto (C) Matthias Horn
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Bewertung:
Grandios, furios, umwerfend brillant - die Kritiker der Uraufführungsinszenierung von Girls & Boys, dem neuen Stück von Dennis Kelly, das im Februar am Royal Court Theatre in London mit Kino-Star Carey Mulligan in der Hauptrolle Premiere hatte, sind zumeist voll des Lobes. Der britische Dramatiker ist mit seinen nicht gerade einfachen Stücken wie Schutt, Liebe und Geld, Waisen oder DNA auch in Deutschland recht erfolgreich. Er behandelte darin bisher auf teilweise recht schockierende Weise zwischenmenschliche Störungen und familiäre Verwerfungen in der kapitalistischen Gesellschaft. Nun hat Oliver Reese, der ein besonderes Faible für neue Dramatik aus dem englischsprachigen Raum besitzt, die deutsche Erstaufführung des Stücks ans Berliner Ensemble geholt. Nach Die Frau, die gegen Türen rannte von Roddy Doyle wieder ein großer Bühnenmonolog, in dem eine vom Leben gebeutelte Frau ihre Biografie vor dem Publikum ausrollt.
„Ein Stück der Stunde“, ist im Programmheft zu lesen, sei Girls & Boys. Kleiner ist es wohl nicht mehr zu haben, wenn man damit seitens des Theaters einen Kommentar zur Me-Too-Debatte annoncieren will. Kelly hat das Stück allerdings bereits vor den Vorwürfen gegen Filmproduzent Harvey Weinstein geschrieben. Ein feministisches Stück von einem Mann, das den Wandel der Geschlechterrollen im 21. Jahrhundert thematisiert. Das trifft es wohl eher. Und dennoch ist dieser von Kelly mit sicherlich großem Idealismus und Herzblut verfasste Text wohl doch der erste Fehlgriff des in Sachen Well-Made-Play bisher so sicheren neuen Intendanten des Berliner Ensembles.
Mit Stephanie Eidt steht natürlich eine großartige, in Berlin nicht unbekannte Schauspielerin auf der Bühne des Kleines Hauses, die Jelena Nagorni mit einem Stahlgerüst ausgestattet hat, das mit Treppen, Fenster- und Türöffnungen das traute aber trügerische Heim der Protagonistin darstellen soll. Stephanie Eidt klettert während des ganzen Abends darin herum. Regisseurin Lily Sykes hat ihr mit dem Pianisten David Schwarz einen Mann am Klavier beigestellt, der für die musikalische Untermalung des Textes sorgt, dafür harmonische bis dissonante Töne beisteuert und zumeist eine Barversion des Nirvana-Songs All Appologies spielt. „Married / Buried“ heißt es darin. Das sagt schon alles über die von Stephanie Eidt geschilderte Beziehung zu einem Partner, der zuerst ein Traummann zu sein scheint und dann doch zum „Auslöscher“ einer ganzen Familie mutiert. Wie es dazu kommt, erzählt das Stück in etwa 100 Minuten, wobei der Text strikt bei der Sicht der Frau auf ihr Leben und die Beziehung bleibt. Ob es dabei etwas zu entschuldigen gibt, wird das Stück nicht klären können.
Stephanie Eidt stellt zunächst eine recht taffe junge Frau dar, die gegen eingefahrene Lebensbahnen rebelliert. Einer Phase mit Sex and Drugs folgt ein Selbsterfahrungstrip durch Europa, bei dem sie jenen Mann in der Warteschlange eines Easy-Jet-Schalters kennenlernt. Erst unsympathisch kann er schließlich doch durch eine gewissen Witz und Schlagfertigkeit Eindruck machen. Was folgt, ist eine Phase sehr intensiver, sogar irrsinnig genannter Liebe, die schließlich in eine Ehe mit Haus und zwei Kindern mündet. Beide finden zunächst Erfüllung in ihrer Arbeit. Sie setzt sich geschickt über ein Praktikum als Assistentin in ihrem Traumberuf als Dokumentarfilmproduzentin durch. Er baut ein Möbelgeschäft auf, scheitert aber, weil er die Zeichen der Zeit nicht erkennt und Pleite geht.
Das Stück ist durchzogen mit Anspielungen an Rollenbilder, die sich vage in der unterschiedlichen Auffassung vom Kinderkriegen oder in politischen Diskussionen zeigen. Im Job erlebt die Frau auch einmal einen sexistischen Annährungsversuch eines älteren Regisseurs. Letztendlich manifestiert sich das Männerbild aber in der kalten Abwendung des Ehemannes von seiner Frau und der Drohung, nachdem sie sich scheiden lassen will, dass er ihr die Kinder nicht überlassen wird. Aus einer zunächst perfekten Beziehung entwickelt sich über die Jahre fast unmerklich ein Albtraum. Kelly beschreibt das allerdings sehr langsam über das gesamte Stück. Ob aus reinen Suspense-Gründen oder um die dramatische und emotionale Fallhöhe über ein anfängliches Himmelhoch jauchzend bis zum finalen zu Tode betrübt sein zu definieren, bleibt das Geheimnis des Autors. Wir erleben es als furiosen Start einer Stand-up Comedian, die nicht vor knalligen und expliziten Worten zurückschreckt.
Später baut Kelly Zwischenepisoden ein, in der die Frau mit ihren imaginierten Kindern spricht und spielt. Es geht auch da ganz thesenhaft um Rollenbilder. Die Tochter ist der kreative Part, wogegen der Junge zu destruktivem Spielverhalten neigt. Der Mann ist hier nicht anwesend. Irgendeine Brechung oder Erklärung gibt es dazu nicht. Alles rollt auf das tragische Ende zu, das wohl von Euripides inspiriert ist, aber tatsächlich eine nicht seltene Art der männlichen Gewaltausübung darstellt, die hier bis ins Detail geschildert wird. Dafür muss schließlich sogar noch die Statistik herhalten. Es geht letztendlich um männlichen Kontrollverlust, Erfolgsneid und um die Angst dem angestammten Rollenbild nicht mehr entsprechen zu können. Das ist soziologisch untersucht und auch nicht von der Hand zu weisen. Diese Art von Mann einfach so aus dem Kopf einer Frau auslöschen zu können, wie es im Text heißt, wird ohne entsprechende Debatte kaum möglich sein. Das Stück ist allerdings zu dünn, um einen echten Beitrag dazu leisten zu können.
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Girls & Boys am Berliner Ensemble | Foto (C) Matthias Horn
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Stefan Bock - 15. März 2018 ID 10583
GIRLS & BOYS (Kleines Haus, 12.03.2018)
Regie: Lily Sykes
Bühne/Kostüme: Jelena Nagorni
Komposition/Live-Musik: David Schwarz
Künstlerische Beratung: Clara Topic-Matutin
Mit: Stephanie Eidt
DSE am Berliner Ensemble: 10. März 2018
Weitere Termine: 24., 25., 27.03. / 20., 21., 22.04.2018
Weitere Infos siehe auch: http://www.berliner-ensemble.de
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