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nachDRUCK # 6

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Musical

Echt oder

wahr?


MIT DOLORES HABT IHR NICHT GERECHNET


(C) Esra Rotthoff

Bewertung:    



Am Schluss des über zweistündigen "jüdisch-queeren Rachemusicals" unter dem Titel Mit Dolores habt ihr nicht gerechnet wird ein irgendwie authentisch anmutender und von einer Frauenstimme gesprochener Text vermittelt, wo es um einen akribisch geplanten und gleichsam (gottlob) verhinderten Giftanschlag jüdischer Extremisten auf die Hamburgischen Wasserwerke im Sommer 1945 gegangen sein soll. Nach unsern nachbereitenden Recherchen könnte es sich, in der Tat, um jenen spektakulären Racheakt der sog. Nakam, einer jüdischen Organisation, "die sich seit 1945 das Ziel gesetzt hatte, Rache für den Holocaust zu üben und der Welt zu zeigen, dass die Juden in der Lage seien, sich zu wehren und Vergeltung zu üben" (Quelle: Wikipedia) gehandelt haben. Dieses uns bis dahin doch recht unbekannte Faktum war dann auch - und insbesondere für uns [meinen jüdischen Freund und mich] - der einzig glaubwürdige Aufhorcher eines bis dahin textlich-breiig ausfransenden pseudoechten oder pseudowahren biografischen Revuetheaters:


"Im Schoß des osteuropäischen Judentums kommen im frühen 20. Jahrhundert die Zwillinge Ida und Dolores auf die Welt – vermeintlich als Mädchen und Junge. Während ihrer Kindheit auf dem Land nutzen die beiden die diversen Angebote zu Schlägereien und Ballettunterricht. Ihre Tanzbegabung führt sie früh aus der Enge der Provinz auf die europäischen Varieté-Bühnen der Goldenen Zwanziger. Mit dem Überfall NS-Deutschlands auf Polen wird diese Verbindung plötzlich prekär. Nach zwei Jahren des Zusammenhaltens im Warschauer Ghetto werden die Zwillinge gewaltsam getrennt, Ida nach Treblinka deportiert. Dolores schlägt sich ohne die Schwester bis in die deutsche Hauptstadt durch. Im Untergrund des queeren Berlins lebend und mit gefälschten Papieren ausgestattet, tritt sie im Wintergarten-Varieté als Tänzerin auf. Berühmt und begehrt für ihre schönen Beine, verschafft sie sich Zugang zu den Kreisen der Logistiker des Holocaust, um im Zentrum der Macht erbarmungslose Rache an den Nazis zu üben."

(Quelle: gorki.de)


Auch die sog. Fareynikte Partizaner Organizatsye (FPO) mit ihren beiden jüdischen Aktivistinnen Rozka Korczak und Vitka Kempner könnte sozusagen Pate gestanden haben, ehe es zur dramaturgisch-stückeschreiberischen Aufbereitung von historisch ähnlichen bzw. nachempfundenen oder verfremdeten Persönlichkeitsgeschichten kam, die jenem Musical-Libretto von Tucké Royale und Johannes Maria Schmit zueigen waren.

Nein, wir haben alles das selbstredend, und bei allem guten Willen, nicht herausbekommen, ob und wie dann Ida & Dolores mit dem von uns arg Vermuteten in irgendeinen sinnstiftenden Grundzusammenhang zu bringen sind; da hättet ihr vom Gorki-STUDIO Я uns schon etwas mit Hintergrundwissen versorgen müssen, dass wir euren konzeptionellen Spleen will sagen eure künstlerische Ambition in Gänze hätten auch verstehen und (noch besser:) nachvollziehen können. Es gab kein Programmheft, nicht mal einen Info- und Besetzungszettel (mit den Quellen der vermeintlichen Originalzitate, beispielsweise); auch auf eurer Homepage war nichts Hilfreich-Weiterführendes zu finden - und die bloße Ankündigung eurer umfeldigen Podiumsdiskussion zum Thema "Holocaust, Sexualität, Stigma" brachte uns dann ebenso nicht einen Millimeter bei der Stillung unsers vor- wie nachträglichen Wissensdurstes zu dem weißgott hochinteressanten und auch emotional wahrlich berühren könnenden Stück-Stoff voran.

Ein miserabeles PR.

*

Oscar Olivio monologisierte, meistens hinter einer Maske, die mit nichts zu greifende, unidentifizierbare Dolores. Mehmet Yılmaz, Friedericke Miller und Mathias Becker war'n zumeist als deutsche Schwarzeimer-Faschisten wahrnehmbar. Und Ted Gaier, Yuriy Gurzhy, Angy Lord sowie Drummerin Paula Sell machten gelegentlich Musik dazu.

Andre Sokolowski - 31. März 2018
ID 10611
MIT DOLORES HABT IHR NICHT GERECHNET (Studio Я, 30.03.2018)
Text und Regie: Tucké Royale
Co-Autor: Johannes Maria Schmit
Bühne, Kostüme und Puppen: Josa Marx
Licht: Daniel Krawietz und Fritz Stötzner
Dramaturgie: Tobias Herzberg
Mit: Mathias Becker, Friedericke Miller, Oscar Olivo und Mehmet Yılmaz (Puppenspiel) sowie Ted Gaier, Yuriy Gurzhy, Angy Lord und Paula Sell (Musik)
Uraufführung am Maxim Gorki Theater: 26. Oktober 2017
Weiterer Termin: 31.03.2018


Weitere Infos siehe auch: http://www.gorki.de


http://www.andre-sokolowski.de

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