Gut gebrüllt,
Ines!
WELCHE DROGE PASST ZU MIR? von Kai Hensel
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Auf dem Foto: Ines Nieri | Plakatmotiv (Detail) zum Stück Welche Droge passt zu mir von Kai Hensel
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Bewertung:
Wir wurden eingeladen in dieses kleine feine Theater im Zimmer, beherbergt in einer klassizistischen Villa aus dem Jahr 1829 in der Nähe der Alster. Uns empfängt eine freundliche, ja herzliche Atmosphäre, in der sich Schauspielerin Ines Nieri behaupten wird. Ein gut ausgesuchter Platz, um einem zeitgeplagten Regisseur vorzuspielen. Auch ein Grund aufgeregt zu sein, denn sie hat wirklich den Mut, sich nackt zu zeigen, das eigene Ego beiseite zu stellen. Erst diese Fähigkeit plus ihr schauspielerisches Handwerkszeug ermöglicht es, unterschiedliche Rollen zu spielen. Natürlich hat sie ihre spielerische Handschrift, und die ist sehr sympathisch, ihre Mimik köstlich.
Auf diese Art schafft sie es, allgemein gültige Fragen zu stellen, ja diese überhaupt zuzulassen.
Und das ist eine Kunst. Das Publikum findet sich [in Kai Hensel's Monologstück Welche Droge passt zu mir?] wieder, selbst ohne Ecstasy- oder Kokain Erfahrung. Vernunftbetont wird man über biochemische Zusammenhänge aufgeklärt - so etwa schaffen Neurotransmitter neue Verbindungen; das Hormonsystem stellt alles auf reinstes Glücksempfinden, man wird mithilfe der Amphetamine in den Liebes-Himmel katapultiert.
Zwischendrin scheint sie auch noch ins normale Leben zurück zu finden, hat sie einen IQ von 126!! Doch immer mehr bröckelt die Fassade. Hanna, wie sie hier heißt, sieht jetzt richtig fertig aus so mit dem Koks im Gesicht. Da fragt sie sich, hätte ich doch nur eher... aber immer hat der Mut gefehlt.
Stimmen aus dem Off, ein Spiel mit fiktiven Personen, verstärken die Atmosphäre von Wahnsinn, das Leben gerät durcheinander, zu viele Eindrücke, zu wenig gelebtes Leben. Also mehr von dem Zeugs nehmen! Dreht sie jetzt ab?
Jeder hat so seine Bezüge, die angefangen beim bürgerlichen Leben bishin zu Nöten der Gefühlswelt und Wassereinbrüchen in der schönsten Villa, Risse in der Ehe, Tristesse im ganzen Hausfrauen-, Mutter- und Gattinnenleben aufzeigen. Es kommen die Handwerker... und der junge Lehrling hat da so zufällig seine Pillen in der Hosentasche.
Da ist man ertappt, wird mit seinen eigenen Gedanken, Ängsten und absurden Lebenssituationen konfrontiert. Immer kommen wir zu kurz! Nie werden wir gesehen! Also greifen wir schon als Kinder in die Zucker-Kiste. Dann das erste Bier... schnell wird es mehr mit dem schönen Dusel im Kopf. Wo ist es noch Genuss und wo schon Droge und Verdrängung?
Hanna erlebt diese farbenfrohe Welt der Leichtigkeit und zeigt sie uns hautnah. Auch wenn sie in ihre schwarzen Löcher fällt und sich Liebe in Hass verwandelt - mit Kokain kann sie wieder gottgleich Großes schaffen, und neue Horizonte tun sich auf. Dann wird klar, wir nehmen die Drogen doch nur für andere; wir funktionieren endlich wieder, schaffen Probleme aus der Welt!
Und wer Angst hat vor geheimnisvollen Drogen, der nehme doch wenigstens eine Zigarette und ein Glas Wein! Wichtig ist, dass man von den Drogen nicht abhängig wird. Sterben muss man ja sowieso. Übrigens - beim Abnehmen hilft Speed. Schon mal probiert?
Und da Hanna sich im Griff hat, macht sie jetzt mit dem Publikum eine kleine Übung.
"Schließen Sie die Augen. Sie sind jetzt ganz ruhig. Sie sind voller Liebe."
Das will diese Frau auch auf ihrem Grabstein stehen sehen.
Doch dann schreit sie wieder ihr Seelenleid hinaus in die Welt, und dem Ehemann dämmert es langsam. Die Schlummertaste ist abgenutzt, und auch er kann nicht länger die Augen davor verschließen - vor dem Unheil, welches schon eine Weile im Dunklen schmort.
Dieses Stück hat Nebenwirkungen, nämlich ein beklommenes Gefühl im Bauch.
Gut gebrüllt, Ines! Wir durften dich leiden sehen, stellvertretend für uns, die wir ja mit Drogen nichts am Hut haben.
Dafür gibt es viel Applaus!
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Ines Nieri in Welche Droge passt zu mir | Foto (C) Werner Emmerich
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Liane Kampeter - 10. Juli 2016 ID 9425
WELCHE DROGE PASST ZU MIR? (Theater im Zimmer, 09.07.2016)
Regie: Hans-Peter Kurr
Sprecher: Thomas Arnold
Musik: Pablo Paolo Kilian & Daniel Axt
Sounddesign: Malte Hutzler
Toneinspielingen: Christian Rentel
Ausstattung/Licht: Marco Dohrendorf
Mit: Ines Nieri
Uraufführung im Theater Freiberg war am 6. November 2003
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-im-zimmer.de
Post an Liane Kampeter
http://www.liane-kampeter.de
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