Ferner Krieg
der Welten
DER AUFTRAG von Heiner Müller
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(C) Esra Rotthoff
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Bewertung:
Die Knotenpunkte des politischen Koordinatensystems an Berliner Theatern heißen in diesem Herbst Bertolt Brecht, Peter Weiss und Heiner Müller. Mit mehr oder minder großem Erfolg versuchte man sich z.B. mit Brecht und Weiss im HAU und DT an der Wiederbelebung von deutscher Geschichts- und Revolutionsdramatik. Das Maxim Gorki Theater zieht nun mit Heiner Müller nach. Mirko Borscht inszeniert Der Auftrag - Erinnerung an eine Revolution. Das ist einerseits immer ein Blick zurück in die Vergangenheit, anderseits aber auch einer nach vorn in die Gegenwart und Zukunft. So heißt es in Brechts Fatzer: „Wie früher Geister kamen aus Vergangenheit / So jetzt aus Zukunft ebenso.“ (Müller erarbeitete bekanntlich eine Fassung des Fragments). Man kann sie als Wiedergänger vergangener Kämpfe betrachten wie auch als düstere Boten aus der Zukunft, in der der Mensch dem „Krieg der Landschaften“ gewichen ist. Müller beschreibt das Warten auf die Revolution als Zeitschleife, eine Wiederkehr des immer Gleichen, allerdings unter anderen Umständen. Die Differenz dient „der Sprengung des Kontinuums“. Zumindest das scheint Mirko Borscht verstanden zu haben.
Ansonsten verortet der Regisseur Müllers Figuren mal wieder konsequent in der Zukunft oder einem imaginären Transitraum im Nirgendwo, der hier wie eine Business-Lounge einer Abflughalle aussieht - mit einem futuristischen Aufzug in der Mitte, über dessen Schiebetür der Maschinenmensch aus Fritz Langs Metropolis flimmert. Borscht zitiert hier vermutlich unbeabsichtigt ein Thema der musikalischen Lecture-Performance Müller in Metropolis, die andcompany&Co Anfang des Jahres anlässlich des Heiner-Müller-Festivals im HAU aufgeführt hatten. „As a sleeper in Metropolis / You are insignificance” singt da Anne Clark. Müller als kühler Kybernetiker einer Zukunftsvision, in der der Mensch sich von der Bedeutung seiner Geschichte befreit. Im Gorki wird aber eher auf die Trennung der Gesellschaft in oben und unten abgezielt. Das alte Thema von Sklave und Herr.
Müller Stück spielt das diskursiv durch. Im Auftrag des jakobinischen Konvents der Französischen Revolution landen Debuisson, Sohn eines Großgrundbesitzers, der bretonische Bauer Galloudec und der schwarze Sklave Sasportas auf Jamaika, um einen Sklavenaufstand gegen die Briten im Namen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu organisieren. Der Westimport einer Revolution, die noch vor der Ankunft der drei Emissäre in Port Royal durch einen Staatsstreich des Generals Napoleon beendet wurde. Debuisson wechselt die Seiten, während Sasportas gehängt wird und Galloudec in Gefangenschaft stirbt. Der Auftrag scheint obsolet und wird von Galloudec in einem Brief an den Absender zurückgegeben. Heute importiert der Westen immer noch gern Freiheit und Demokratie, während Gleichheit und Brüderlichkeit weiterhin nicht besonders hoch im Kurs stehen.
Nachdem zu Beginn schon die Briefzeilen Galloudecs das Ende wie aus einem fernen Lautsprecher vorwegnehmen, wird die Exposition des Stücks nochmal szenische durchgespielt. Widerwillig nimmt Susanne Meyer als Bürger Antoine in graublauem Anzug den besagten Brief vom syrischen Schauspieler Ayham Majid Agha entgegen. Ein Zeichen, dass auch an anderen Ecken der Welt heute Revolutionen am Desinteresse Europas scheitern. Ansonsten sitzt er nur leidend am Rand. Daneben holt Till Wonka als Debuisson die Leichen von Galloudec (Aram Tafreshian) und Sasportas (Falilou Seck) aus dem Fahrstuhl und wäscht sie. Der bürgerliche Intellektuelle in Abwartehaltung frischt alte Erinnerungen auf, bis diese beginnen ihm an die Wäsche zu gehen.
Das ist hier v.a. ein Spiel mit der „Maske der Revolution“, die Debuisson für seinen Auftrag gar nicht braucht. Er spielt sich selbst, während im „Theater der weißen Revolution“ Galloudec und Sasportas laut Büchners Danton persiflierend mit ihren Pappköpfen aneinandergeraten. Der Herr und Ausbeuter bleibt nach zweifachem Verrat was er ist. Weiß ist die Farbe der Regression. Der Griff nach dem Fleischtopf, wie Sasportas abschätzig bemerkt, ist seine Revolution. Debuisson sinkt in die Arme seiner alten Liebe (Cynthia Micas) und erteilt den anderen eine zynische Absage. Sasportas Maske ist dagegen seine schwarze Haut, die er nicht abstreifen kann. Seine Heimat bleibt der Aufstand. Nur kann er sich mit dem anderen Abgehängten, dem Bauern Galloudec, nicht über das Wie verständigen.
Die Kapitalismuskritik ist dem Stück sozusagen eingeschrieben als einem Kampf der „Neger aller Rassen“ (hier obsiegt Müller über die sonst auf Political Correctness achtende Textfassung des Gorki-Teams), was dem global operierenden Kapital eine neue, global denkende Solidarität entgegensetzen soll. Das ist gerade heute im Angesicht erstarkender rechtsnationaler Kräfte dringend geboten, wenn auch nur schwer vermittelbar. Die rebellischen Puppen werden wieder eingemottet. Dazu singt die Musikerin Romy Camerun „People lust for fame like athletes in a game“ aus Nina Simons Stars und andere Jazzklassiker zur eigenen Klavierbegleitung. Leider hebt dabei die ansonsten eher flügellahme Bodencrew nicht wirklich ab. Auch im recht eintönig im Müller-Stil von Ruth Reinecke vorgetragenen Subtext Der Mann im Fahrstuhl als Angstraum des postkolonialen weißen Mannes ist die globale Dimension des Stücks nur rein textlich fassbar. Der Engel der Verzweiflung ist ganz gestrichen.
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In dieser recht braven Müller-Inszenierung vermittelt Till Wonkas Debuisson zum Ende hin an der Rampe nochmals seine „Angst vor der Schande, auf dieser Welt glücklich zu sein.“ Das verdeutlicht natürlich die Haltung des westlichen Bildungsbürgers als Bankrotteur, der sich selbst aus dem Auftrag entlassen hat. Damit legt Borscht aber nur kurz den Finger in die Wunde. Wie bankrott sind heute Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wirklich bzw. worin könnte noch so etwas wie ein Auftrag bestehen? Und was hindert uns daran ihn anzunehmen? Zum Thema globale Solidarität weiß die Inszenierung keine Antwort und zementiert damit den Status Quo. Und das, obwohl z.B. der französische Soziologe Didier Eribon mit seinen Thesen über die Rolle der linken Intellektuellen und das Verschwinden der Arbeiterklasse gerade in der öffentlichen Debatte steht. Für das sich so international gebende Gorki Theater ist das eher ein Armutszeugnis.
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Stefan Bock - 12. Dezember 2016 ID 9744
DER AUFTRAG (Maxim Gorki Theater, 10.12.2016)
Regie: Mirko Borscht
Bühnenbild: Christian Beck
Kostüme: Elke von Sivers
Musik: Romy Camerun
Video: Hannes Hesse
Dramaturgie: Holger Kuhla
Mit: Romy Camerun, Ayham Majid Agha, Susanne Meyer, Cynthia Micas, Ruth Reinecke, Falilou Seck, Aram Tafreshian und Till Wonka
Premiere war am 10. Dezember 2016.
Weitere Termine: 7., 9. 1. 2017
Weitere Infos siehe auch: http://www.gorki.de
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