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Premierenkritik

Dystopia 2017:

Der Kampf

der Kulturen



Unterwerfung am Theater Osnabrück | Foto (C) Uwe Lewandowski

Bewertung:    



Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Am Tage des Anschlags auf Charlie Hebdo erschien das Werk Unterwerfung des französischen enfant terrible Michel Houllebecq. Er zeichnet ein dystopisches Szenario in allzu naher Zukunft, welches im sogenannten Superwahljahr 2017 seinen Anfang nimmt und sich darauf begründet, dass die Menschen nach politischer Orientierung suchen. Da dies die Keimzelle extremistischer Ansichten ist, ist seine Botschaft als Weckruf für Europa gedacht und umso dringlicher.

Regisseur Robert Teufel und Dramaturg Sven Kleine haben die eher opulente Handlung des Stoffes einzigartig runtergebrochen und pointiert aufs Wesentliche konzentriert: Das argumentative Spannungsverhältnis der involvierten Gruppierungen steht bei der Bühnenadaption im Osnabrücker Emma-Theater im Fokus. Das Bühnenbild ist auf eine Empore beschränkt - eine Insel inmitten eines dunklen, klaffenden Abgrunds, der sich auch vor den erhöht sitzenden Zuschauern auftut und bereits eine erste Vorahnung weckt. Ein simpler und dennoch überaus eindrucksvoller Effekt, den sich die für Bühne und Kostüme verantwortliche Sabine Mäder hat einfallen lassen. Die beiden Protagonisten Robert Rediger (Oliver Meskendahl) und Francois (Stefan Haschke) monologisieren zunächst abwechselnd ihre Sicht der Ereignisse, bis sie schließlich im Jahre 2022 im Zwiegespräch aufeinandertreffen:

*

Die großen Volksparteien verlieren auf dem politischen Tapet, überraschenderweise stehen sich in einer Stichwahl der Front National und einer im Wahlkampf erst kürzlich aufgetretenen radikalen Muslimbruderschaft gegenüber. Nun gilt es, das kleinere Übel zu wählen, denn, wie Francois verblüfft feststellt, vertreten beide Parteien letztlich die gleichen Auffassungen. Es stellt sich ein außergewöhnlicher Sieg ein, denn erstmalig in der Geschichte Frankreichs wird ein Moslem in das Amt des Präsidenten gewählt. Wenngleich durch die von ihm vertretenen extremistischen Ansichten die Demokratie als Instanz bedrohen, fällt der Protest spärlich aus und ist nur von kurzer Dauer, wie Francois ganz sachlich zu berichten weiß. Alsbald stellt sich bei den politikverdrossenen Bürgern Akzeptanz ein, denn es seien positive Entwicklungen im gebeutelten Sozialstaat zu verzeichnen: Die Arbeitslosenquote befindet sich im freien Fall – mehrfach präsentiert Haschke den symbolischen Abgrund - und das Familiengeld ist enorm aufgestockt worden. Doch zu welchem Preis? Die gesicherte Grundbildung endet mit der Primarstufe, danach wird Bildung gerade aus finanzieller Sicht zum Privatvergnügen. Zudem ist das üppige Vorkommen von Arbeitsplätzen darauf zurückzuführen, dass Frauen das Recht – oder die Pflicht? - auf Ausübung eines Berufs verwehrt wird.


Während der Konvertit und neu berufene Direktor der inzwischen islamischen Sorbonne, Rediger, diese Umbrüche begrüßt, zeigt Francois innerhalb weniger Jahre eine Persönlichkeitsentwicklung auf, die wohl erschreckend bezeichnend sein dürfte und unserer Gesellschaft grandios den Spiegel vorhält. Zunächst bei voller Bezahlung von seiner Lehrtätigkeit freigestellt, feiert der Professor die vermeintlich süße Freiheit, die er sich erhofft. Jedoch zeigt sich nach kürzester Zeit sein innerer wie äußerer Verfall. Die bereits vor Jahren einsetzende Einsamkeit nagt an ihm. Als menschliches Wrack steht er vor dem Publikum und lamentiert über seine zahlreichen Leiden und seinen Sexualtrieb, der ihn zumindest noch ansatzweise am Leben erhält, verfällt als ehemaliger Lebemann dem Alkohol und stopft ungesundes Fertigessen in sich hinein. Seine Lebensgeister erlöschen zunehmend, seine ursprüngliche Unzufriedenheit manifestiert sich schließlich in der vollständigen Sinnlosigkeit seines Daseins.


*

Haschke ist es, dem an diesem Premierenabend trotz des ein oder anderen Texthängers die Bühne gehört. Gemütsschwankungen stellt er voller Inbrunst dar: Zerzaustes Haar, mal leerer Blick, dann wieder ein Glühen in seinen Augen, das von seinem einsetzenden Wahnsinn zeugt. Torkelnd präsentiert er seine geschundenen Füße und zeigt den Verfall Francois in all seinen Facetten. Schließlich entschließt er sich zu einem Klosteraufenthalt, um seiner geschundenen Seele etwas Gutes zu tun. Doch auch hier findet er keinen Frieden, bis er wenige Tage darauf einen Brief Redigers erhält, der ihn bittet, an die Sorbonne zurückzukehren. In seiner Verzweiflung nimmt Francois das Angebot an, welches einerseits lukrativ erscheint, andererseits aber auch Bedingungen aufweist, die den hart erkämpften französischen Werten der Demokratie und damit den humanistischen Werten eine klare Absage erteilt. Der einstige Skeptiker und gebildete Geisteswissenschaftler willigt ohne zu Zögern ein – unter der Bedingung, respektables Mitglied der Gemeinschaft der Muslimbrüder werden zu dürfen.

In den präsentierten 1,5 Stunden stellen Haschke und Meskendahl erneut unter Beweis, dass imposante Inszenierungen durch so viel mehr getragen werden als beeindruckende Bühnenbilder. Minimalistisch gehalten geht es hier allein mittels höchster Schauspielkunst an die Substanz der Thematik. Provokant, zeitweilig zynisch und immer wieder mit einem kleinen Augenzwinkern wird hier großartiges Bühnenspiel geliefert, das einen fatalen Zusammenprall der Kulturen aufzeigt, ohne dabei anzuklagen. Der brisante Stoff des umstrittenen Romans wird hier als intellektuelle Kontroverse auf höchstem Niveau inszeniert, zugleich furios und bedrückend, die am Existenzialismus kratzt und sich argumentativ verstrickend für ordentlich Nachklang – und ausgiebigen Beifall beim Premierenpublikum - sorgt.



Unterwerfung am Theater Osnabrück | Foto (C) Uwe Lewandowski

Sina-Christin Wilk - 21. März 2017
ID 9927
UNTERWERFUNG (Emma-Theater, 19.03.2017)
Inszenierung: Robert Teufel
Bühne/Kostüme: Sabine Mäder
Dramaturgie: Sven Kleine
Mit: Stefan Haschke (als François) und Oliver Meskendahl (als Robert Rediger) 
Premiere am Theater Osnabrück: 19. März 2017
Weitere Termine: 23., 24., 28.03., 01., 09., 26., 28.04.2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-osnabrueck.de


Post an Sina-Christin Wilk

scriptura-novitas.de



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