Und ewig
heult der
Wind
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(C) Thalia Theater Hamburg
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Bewertung:
Zwei Literaturadaptionen großer norddeutscher Erzähler hat das Thalia Theater Hamburg in dieser Spielzeit auf dem Programm. Die Novelle Der Schimmelreiter des aus Husum in Nordfriesland stammenden Schriftstellers Theodor Storm und den Roman Wer einmal aus dem Blechnapf frisst des gebürtigen Greifswalders Hans Fallada, den es außer nach Berlin und Leipzig für eine gewisse Zeit auch mal nach Hamburg zog. Regie führen mit dem Niederländer Johan Simons und dem flämischen Belgier Luk Perceval zwei ebenso bekannte wie erfolgreiche Theatermänner.
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Den Anfang machte im November letzten Jahres der ehemalige Intendant der Münchner Kammerspiele und scheidende Leiter der Ruhrtriennale [Johan Simons], der, bevor er seine neue Intendanz in Bochum antritt, zum wiederholten Male am Hamburger Thalia Theater inszeniert. Für seine Bühnenadaption der Storm'schen Schimmelreiter-Novelle hat er sich von Bettina Pommer einen steilen Deich mit zwei Treppen links und rechts bauen lassen. Über der Krone hängt eine gusseisernen Kirchglocke, deren Klang man allerdings erst kurz vor der Pause des knapp dreistündigen Abends zum ersten Mal vernehmen kann. Daneben liegt die ganze Zeit über die Nachbildung eines weißen Pferdekadavers als Pferdeskelett von der Hallig Jeverssand.
Der Schimmelreiter, ein Meisterwerk des magischen Realismus, ist beliebter Schulstoff. Das Buch dürfte fast jeder irgendwann einmal in der Hand gehalten haben. Die Novelle spielt in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Nordfriesland. Die Hauptfigur Hauke Haien arbeitet sich vom wissbegierigen Jungen über eine Anstellung als Knecht beim alten Deichgrafen Volkerts bis zu dessen Nachfolger hoch. Um die Voraussetzungen für die Übernahme des Amtes zu schaffen, gibt Volkerts Tochter Elke ihre Verlobung mit Hauke bekannt. Dieser gewinnt mit einer neuen Deichanlage Land, vernachlässigt allerdings darüber wider besseren Wissens die Reparatur des alten Deichs, der in einer großen Springflutnacht bricht. Dabei sterben Haukes Frau Elke und sein behindertes Kind. Daraufhin stürzt sich der Deichgraf mit seinem Schimmel vom Deich in die Fluten und wird zum Mythos.
Der Clou von Simons Inszenierung ist, die einleitende Erzählung als Rahmen für die eigentliche Handlung sieben Mal von Neuem beginnen zu lassen. Und so steht das sechsköpfige Ensemble immer wieder auf der Deichkrone und lässt die Geschichte vom Schimmelreiter - dem großen Unglück, das die sterbende Trien Jans, deren Hund Hauke einst als wütender Junge erwürgte, prophezeit, bis zu jener Nacht in der der Deich bricht - lediglich ergänzt durch weitere Szenen aus der Novelle jedes mal neu erstehen. Die Handlung springt dabei in der Zeit vor und wieder zurück. Doch das Unvermeidliche bricht sich schließlich Bahn. „Was man getan hat, wird man wieder tun. Es gibt nichts Neues unter dieser Sonne.“ sind die fast resignierenden Worte Elkes zu ihrem Mann.
Johan Simons baut seine Inszenierung um die Schuld, die Hauke Haien nach der Meinung der abergläubischen Dorfbewohner auf sich geladen hat, wie ein archaisches Requiem für die Toten auf. Es wird dabei eher wenig gespielt. Die DarstellerInnen stehen mit Blick ins Publikum am Damm und rutschen hin und wieder recht pathetisch, viel Text bewältigend, die glatte Fläche hinunter. Ewig rauscht der Wind, tickt eine Uhr, oder es schlägt die Glocke. Das zieht sich zuweilen auch etwas hin. Den Kampf Haukes mit sich sich selbst und seinen Zweifeln kann Thalia-Ausnahmeschauspieler Jens Harzer sehr gut mit zitternd-fiebriger Stimme wiedergeben. Der Kampf mit seinem neidischen Gegenspielers Ole Peters (Sebastian Rudolph) erschöpft sich in einigen wenigen Wortgefechten.
Mehr Raum nimmt dafür die Familiengeschichte ein. Birte Schnöigk ist eine trotzig-aufrechte Elke. Immer wieder unterstützt sie ihren Hauke gegen die Dörfler, die hier nur von Sebastian Rudolph als Ole und Rafael Stachowiak als Carsten dargestellt werden. Die vorherrschende Kleiderfarbe ist pietistisches Schwarz. Schön schaurig auch Barbara Nüsse als Trin Jans, ebenfalls skurril die Idee, Tochter Wienke traumtänzerische vom belgsichen Schauspieler Kristof Van Boven spielen zu lassen. Johan Simons hat als Kind in Holland selbst eine große Sturmflut erlebt. Diese Erfahrung zieht sich durch mehrere seiner Inszenierungen. Der Mensch, verloren zwischen Gottglauben, zerstörerischer Naturgewalt und aufgeklärerischer Vernunft. Für Simons ist es dabei so, wie Hauke Haien es zu den Wassern sagt: „Ihr könnt nichts Rechtes, so wie die Menschen auch nichts können!” Der Mensch Hauke Haien ist zum Schluss nackt, wie Gott ihn schuf, ein zur Legende gewordenes Voodoo Child.
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Das ist durchaus magisch und in Teilen auch ansehenswert. Was die THEATERTREFFEN-Jury an dieser spröden, etwas zu sehr ins düster Spirituelle abdriftenden Inszenierung fasziniert hat, wird allerdings (wie so oft) ihr Geheimnis bleiben. Die Kritiker waren zur Premiere nicht nur begeistert. Dass nach der Absage des Münchner Residenztheaters wegen der Unaufführbarkeit ihrer technisch für Berlin zu kompliziert ausgestatteten Räuber u.a. Stimmen für eine Nachnominierung der Romanadaption Unterwerfung vom benachbarten Deutschen Schauspielhaus laut wurden, lässt noch mal darüber nachdenken, ob der Schimmelreiter tatsächlich die bemerkenswertere Hamburger Inszenierung des letzten Jahres war. Ein schöner Kontrast zur eher zeitgemäß poppigen und performancelastigen Auswahl ist sie allemal. Für Diskussionsstoff im Berliner Mai ist somit in jedem Fall gesorgt.
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Jens Harzer als Der Schimmelreiter am Thalia Theater Hamburg | Foto (C) Armin Smailovic
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Stefan Bock - 24. März 2017 ID 9932
DER SCHIMMELREITER (Thalia Theater Hamburg, 23.03.2017)
Regie: Johan Simons
Musik: Warre Simons
Bühne: Bettina Pommer
Kostüme: Teresa Vergho
Dramaturgie: Susanne Meister
Darsteller:
Kristof Van Boven (Kind)
Jens Harzer (Hauke Haien)
Barbara Nüsse (Trin Jans)
Sebastian Rudolph (Ole Peters)
Birte Schnöink (Elke)
Rafael Stachowiak (Carsten)
Premiere war am 25. November 2016.
Weitere Termine: 29., 31.03. / 20.04. / 01.05.2017
Weitere Infos siehe auch: http://www.thalia-theater.de
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
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