Wirrwarr
ABSCHLUSSBALL von Achim Freyer
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Abschlussball von Achim Freyer am Berliner Ensemble | Foto (C) Hans Jörg Michel
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Bewertung:
Seit ich ins Theater gehe, werde ich von Arbeiten des Multikünstlers Achim Freyer (82) mitverfolgt. Er ist (mit seinem weißen Vollbart und dem ewig schon auf wild gestylten Wuschelkopf darüber) sofort zu erkennen; und so ragte er auch gestern Abend, als ich ihn bei seinem vor zwei Wochen am BE uraufgeführten Abschlussball im Publikum entdeckte, selbstbewusst heraus. Freyer, der erst als Grafiker und Maler anfing und sich bald als Bühnen- und Kostümbildner spezialisierte, wurde Meisterschüler Bertolt Brechts. Bei ihm, wie zu vermuten ist, eignete er sich das Regie-Rüstzeug, welches er etwas später dann für sein Gesamtkunstwerk gebrauchen konnte, an. Zum Schauspiel kam Musiktheater; und noch heute kann man beispielsweise eine seiner legendären Bühnenausstattungen an der Deutschen Staatsoper Berlin bestaunen, wo er dem Rossini'schen Barbier (Regie: Ruth Berghaus) mit zu endlosschleifiger Unsterblichkeit verhelfen sollte. Wenn er später - wie es in der Hauptstadt oft passierte - eigenständig Opern inszenierte, kamen die beim Publikum nicht immer blendend an, und so erinnere ich mich noch gut an die (von ihm gewiss nicht unverschuldeten) Tumulte vor, während und nach der Onegin-Premiere in 2008 Unter den Linden...
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Peter Handke schrieb ein Stück über Die Stunde da wir nichts voneinander wussten - es war seiner Zeit ein Selbstversuch von ihm, "mit ohne Worte(n)", ergo nur per aufgezeichneter Regieanweisungen, ver-stummten SchauspielerInnen eine Bühne anzubieten. Ich sah dieses Werk kurz nach der Wende mal in Leipzig, wo es mit 'nem hohen Personalaufwand gezeigt wurde. Zur sinnstiftenden Nacherzählung fühlte ich mich außerstande.
An das Ausnahme-Event [s.o.] musste ich letztendlich denken, als ich nunmehr Freyers Abschlussball in schlecht gelauntem Zustand über mich ergehen ließ - und dachte so bei mir: Hätten sie wenigstens, so wie bei Handke, ganz und gar geschwiegen:
"Es wird gespielt, gesungen, getanzt, geliebt, vernichtet und erschaffen. Dieser Abend ist eine Huldigung an die Schönheit, an die Siege und die Kämpfe, an die Unschuld und die Perversion, an die Kraft und an die Schöpfung. Eine Revue der Menschheitsgeschichte, mit Texten aus allen Jahrtausenden der abendländischen Kultur: von Euripides, Gertrude Stein, Homer, Heinrich von Kleist, Peter Handke, Emilio de` Cavalieri, Franz Kafka, Lautréamont, Else Lasker-Schüler, Aischylos, Sophokles, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Hebbel, Georg Büchner…" (Quelle: berliner-ensemble.de)
Die Bühne ist mit dem für Freyer typisch-bunten und mit vielen Lampignons mal mehr, mal weniger illuminierten Interieurzeugs zugemüllt. Alle Akteure wechseln permant ihre Klamotten - es muss Monate gedauert haben, all die Sachen zuzuschneidern oder anzufertigen. Auch wird gelegentlich gesungen; opernhaft holt da Esther Lee-Freyer allerkräftigst aus, um Dies & Das dann zu zitieren. Es wird mir (auf dem Programm-Plakat) vermittelt, dass es sich um ein 12-szeniges Revue-Stück handeln würde, Freyers Szenenüberschriften reichen da von "Solo" über "Stühle" bis zur "Reinigung"... Und (wie gesagt) als redelos sich gebende Performance hätte alles Das wohl oder übel funktionieren können. Aber das andauernd-unzusammenhängende Herumgequatsche sorgte schlussendlicher Weise für den geistig-intellektuellen Garaus dieser Produktion.
"Trübweiß", "trübschwarz" - diese zwei immer wieder aufgesagten Wortgebilde - geben Freyers Abschlussball einen gewissen Rahmen.
Hohler und entnervender war er, so wie ich mich entsinne, seither nie.
Ein Endstadium des Künstlers scheint erreicht.
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Abschlussball von Achim Freyer am Berliner Ensemble | Foto (C) Hans Jörg Michel
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Andre Sokolowski - 2. Oktober 2016 ID 9594
ABSCHLUSSBALL (Berliner Ensemble, 01.10.2016)
Regie, Bühne, Kostüme, Licht- und Videokonzept: Achim Freyer
Musikalische Komposition: Lucia Ronchetti
Video: Jakob Klaffs und Hugo Reis
Licht: Ulrich Eh
Mitarbeit Regie: Sebastian Sommer
Künstlerische Mitarbeit: Arila Siegert
Mitarbeit Bühne: Moritz Nitsche
Mitarbeit Kostüme: Petra Weikert
Dramaturgie: Steffen Sünkel und Hermann Wündrich
Mit: Anke Engelsmann (DIE SEHNSÜCHTIGE), Ursula Höpfner-Tabori (DIE WEHKLAGENDE), Boris Jacoby (DER HERRSCHER), Claudia Lahmann (DIE DAME), Esther Lee-Freyer (DIE HAARIGE SÄNGERIN), Peter Luppa (DER UNHEIMLICHE), Uli Pleßmann (DER VERGEBLICHE), Hugo Reis (DER EINTÄNZER), Celina Rongen (DIE UNBÄNDIGE), Norbert Stöß (DER HOFFNUGSVOLLE), Felix Strobel (DER REINE TOR), Fabian Stromberger (DER TRÄUMER) und Jörg Thieme (DER BERAUSCHTE) sowie Manuela Gutsmann (DIE WORTREICHE) und die Kinder Emilia Nietiedt (DAS LEBENSLICHT), Lotta Rosa Hegenscheidt (DER SCHUTZENGEL)
Uraufführung war am 15. September 2016
Weitere Termine: 2., 22., 23. 10. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.berliner-ensemble.de
http://www.andre-sokolowski.de
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