Wut-Weber
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Die Weber am Schauspiel Köln | Foto (C) Krafft Angerer
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Bewertung:
Die naturalistischen Weber gelten als das wichtigste Drama von Gerhart Hauptmann (1862-1946). Er behandelte darin den sog. Weberaufstand von 1844:
"Mitte des 19. Jahrhunderts in einem kleinen Ort in Schlesien: Die Lebensbedingungen der ansässigen Weber verschlechtern sich zusehends. Durch die Mechanisierung und Industrialisierung gehen Arbeitsplätze verloren, und die, die noch Arbeit haben, müssen sich dankbar schätzen und sind der Willkür des Fabrikanten Dreißiger ausgeliefert. Lohnkürzungen, katastrophale Arbeits- und Lebensbedingungen, Krankheit und Armut sind die Folge. Unter den Webern herrschen Resignation und Verzweiflung, aber auch blanke Wut. Zu verlieren gibt es nichts, und so entzündet sich eine Stimmung des Aufbegehrens, die zum Aufstand wird." (Quelle: schauspiel.koeln)
Hauptmann beschrieb, außer den Aufstand, auch "die entwürdigende Armut unter den Webern und demgegenüber die unerbittliche Logik von Gewinnmaximierung und Produktionssteigerung". Im Umkehrschluss zu heute - wo v.a. hinschtlich der in der Perspektive noch "nicht richtig" vorstellbaren Ausmaße beim Überhandnehmen einer als "digitales Proletariat" hinabqualifizierten und auf ihren Lohn (demnächst vielleicht umsonst) wartenden Arbeitnehmerschaft ein durchaus ernst zu nehmendes gesellschaftliches Top-Problem im Anmarsch scheint - könnte der jetzt von Armin Petras abgearbeitete Stoff eine gewisse Aktualität und Zukunftsnähe à la Was-soll-werden-Wenn enthalten; nicht erst dieses Jahr, in dem wegen des 200. Marx-Geburtstages besonders an Das Kapital erinnert und gemahnt wird, werden alte und auch neue ausufernde Theorien und Ideen, die es zwischen Macht & Masse gab und gibt, auf ihre Bühnentauglichkeit befragt.
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Das Hauptmann-Stück hat einen derart hohen personellen Aufwand, dass es (höchstwahrscheinlich und trotz alledem) allein schon daher nicht zu oft auf deutschen Bühnen aufzufinden ist - das Schauspiel Köln empfand den Kraftakt allerdings jetzt machbar also lohnenswert:
Am aufregendsten sicherlich: das konstruierte Bühnenbild von Olaf Altmann, der eine hydraulisch heb- und senkbare Breitwand aus Hunderten von stilisierten "Kettfäden" (gleich einem Riesen-Webstuhl), die zugleich als Riesen-Jalousie gebraucht sein konnte, bauen ließ. Hierzwischen und hierauf vollzogen einige der sportlichsten Protagonisten - ganz zuvörderst nennen wir Nikolaus Benda! - wahre Hochseilakte, was an sich bereits ein Hingucker par exzellence gewesen war!
Gesprochen wir z.T. in vorgegeb'ner Mundart, aber auch hochdeutsch und - fern von Hauptmann - etwas hergefritzt bzw. hergekatert; falls Sie mich verstehen sollten. Außer dem Authentischen (am Text) sollte das wohl eine gewisse Heutig- oder zeitgemäße Dringlichkeitenkomponente demonstrieren.
Der soziale resp. asoziale Tiefgraben zwischen der dargestellten Ober- und der Unterschicht verlief rein äußerlich, d.h. es wurden keine mit- bzw. nachleidenden Regungen vermittels etwaig vermeintlicher (aber in dieser Inszenierung willentlich vermiedener) Gefühlsausdeutungen der Rollen sowie ihrer Rollenträger bei uns Live-Erlebenden dann ausgelöst - "die oben" waren halt die Reichen, die auf der Terrasse und bei Vogelzwitschern Kaffee trinken, und "die unten" eine Ansammlung verlodderten und hochdebilen Lumpenproletariats; der dahingehend aufgemachte Gegensatz verlief dann doch etwas zu grobschlächtig.
Ursula Werner, die große Ex-Diseuse des Berliner Maxim Gorki Theaters, brillierte in ihrem jeweils kurzen Doppel-Gastauftritt als Weber Ansorge sowie Frau Hilse.
Denis "Kooné" Kuhnert choreografierte schöne Einzel- und Beruhigungsbilder für ein durch und durch spielwütiges und gleichsam -freudiges Ensemble!
Durchaus kurzweilig .
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Die Weber am Schauspiel Köln | Foto (C) Krafft Angerer
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Andre Sokolowski - 16. Mai 2018 ID 10699
DIE WEBER (Depot 1, 16.05.2018)
Regie: Armin Petras
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Patricia Talacko
Musik: Kornelius Heidebrecht
Choreografie: Denis Kooné Kuhnert
Dramaturgie: Sibylle Dudek
Mit: Nikolaus Benda, Johannes Benecke, Thomas Brandt, Sophia Burtscher, Nicolas-Frederick Djuren, Stefko Hanushevsky, Benjamin Höppner, Yvon Jansen, Ronald Kukulies, Guido Lambrecht, Robin Meisner, Peter Miklusz, Miguel Abrantes Ostrowski, Katharina Schmalenberg, Kristin Steffen, Jonas Relitzki, Marlene Tanczik, Ursula Werner und Manjusha Hirschberg | Anna Lucia Gualano
Premiere am Schauspiel Köln: 2. Februar 2018
Weiterer Termin: 28.06.2018
Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspiel.koeln
http://www.andre-sokolowski.de
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