LA VERONAL
Siena
|
|
Bewertung:
"Aus Städten werden Stücke. Moskau (2011), Kopenhagen (2012), Portland (2013), Siena (2013). Der in Deutschland noch zu entdeckende spanische Choreograph Marcos Morau und sein virtuoses 10-köpfiges Ensemble La Veronal haben das unbestreitbare Talent, geografische Regionen, ihre Historie, Kultur und Geister in dramatische Aufführungen zu verwandeln.
Die italienische Stadt Siena ist hier ein konkreter Ort, ein nächtlich verlassenes Museum. Die Bilder an der Wand beginnen zu leuchten, eine Fechtmannschaft erscheint, sie tanzt, spielt mit Körpern und Kunstgeschichte, ein Wächter sorgt für Ordnung in einem Raum ohne Regeln. Italienische Schlager und Opernarien, Hitchcock-Musik und eine obskure Tonspur sorgen für noch mehr Doppelbödigkeit. Das eigenwillige Tanzvokabular ist weich und fließend, akrobatisch und humorgetränkt. La Veronal schafft eine düster-bizarre Welt, die mit nichts vergleichbar ist." (Quelle: tanzimaugust.de)
*
Siena - wie heute offensichtlich wurde - zählte wohl dann mehr zu den Blockbuster-Produktionen, die beim diesjährigen TANZ IM AUGUST (mit)liefen. Schon der Aufführungsort in der Schaubühne am Lehniner Platz implizierte, dass da (außer der Schaubühne) auch noch andere Ko-Produzenten mit im Boot gesessen hatten, was der Handzettel auf seiner letzten Seite kleingedruckt auch prompt dann auswies; also: An Finanzen scheiterte die sehenswerte Produktion dann wahrlich nicht...
Das exorbitante Bühnenbild (La Veronal & Enric Planas) zeigt ein stilvolles Saalinneres einer Gemäldesammlung (in Siena?) - da hängt ein cinemaskopischer Barock- und Öl-Schinken, wo eine sich räkelnde "schlummernde Venus" zu sehen ist; das ist bestimmt ein sehr berühmtes Bild von Goya oder sonstwem, aber die Ausführenden (La Veronal) zeigen nicht Lust und Laune, uns als Rezipienten näherhin oder konkret mit der Materie irgendwie vertraut zu machen. Dankenswerter Weise werden deutschsprachige Übertitel der zumeist auf Englisch, später dann auch was auf Spanisch abgespulten Aus-dem-Off-Texte zum Nachlesen gereicht.
Sowas wie eine Handlung stellt sich freilich - mit bzw. ohne Kenntnisnahme des Gesagten/Aufgesagten - ohnehin in etwa ein:
Und so assoziieren wir sofort, nachdem wir zu Beginn eine diesen Barock- und Ölschinken betrachtende Besucherin auf einer Bank entdecken, zu Kim Novak, die in Hitchcocks Vertigo so ähnlich einsam und verlassen dasitzend zu sehen war, und - in der Tat - zum Schluss dieser Performance wird dann auch, in mehreren Zitaten, Bernard Herrmanns mysteriöse Filmmusik (konkret aus dieser so berühmten Szene) als ein stimmungsvoller Raumfüller benutzt.
Auch treten nach und nach acht Fechterinnen auf; zumindest stecken sie in Outfits (von Octavia Málette), die diesem vermuteten Gedanken starken Vorschub leisten.
Zweimal ist das Saalesinnere, ganz schlagartig, in glutvoll-lichtem Rot getaucht, ganz kurz nur; doch die Wirkung ist frappant! Später dann flackert es bedrohlich - war in Siena nicht auch mal (um 1700 oder so?) ein Erdbeben; wahrscheinlich sollte es dann das oder auch "Kriegseinwirkungen von draußen" schockhaft demonstrieren.
Ständig fährt 'ne Totenbahre auf vier Rädern hin und her.
Im Stil und Sinne der Surrealisten geht es nunmehr fort und ziemlich durcheinander.
Unglaubliche Paar-Choreografien - so noch nie zuvor erlebt; da wird mit Gliedmaßen der jeweils Anderen ("nur" Frauen, "bloß" von einem Mann versekundiert, wirken in Siena mit!!) gespielt, gezaubert; manchmal meint man, Frauen mit 5 Beinen oder gar 2 Köpfen ausgemacht zu haben... Irre gut!!
Einziger "Makel" der Gesamtdarbietung: Dass sie ewig nicht zum Ende kommt. Drei- oder viermal denkt man dann, so eine Art von "Schlussakkord" live zu erleben - aber jedesmal fällt Marcos Morau irgendwie noch etwas Anderes zum Thema ein; verausgabend und sinnlos.
Siena muss schon schön sein.
|
La Veronal | Siena - Foto (C) Jesús Robisco
|
Andre Sokolowski - 22. August 2014 ID 8032
SIENA | Schaubühne am Lehniner Platz, 22.08.2014
Leitung: Marcos Morau
Choreographie: Marcos Morau in Zusammenarbeit mit den Performern
Text und Dramaturgie: Pablo Gisbert – El Conde de Torrefiel
Tänzer: Inma Asensio, Laia Duran, Cristina Facco, Cristina Goñi, Anna Hierro, Ariadna Montfort, Lorena Nogal, Manuel Rodríguez, Marina Rodríguez und Sau-Ching Wong
Regie-Assistenz: Tanya Beyeler
Lehrer: Cristina Facco
Raum und Licht: La Veronal und Enric Planas
Fotografie: Jesús Robisco, Edu Pérez und Quevieneelcoco
Eine Co-Produktion von La Veronal, Mercat de les Flors Barcelona und Hellerau European Center for the Arts Dresden
Weitere Infos siehe auch: http://www.tanzimaugust.de
Post an Andre Sokolowski
http://www.andre-sokolowski.de
TANZ IM AUGUST
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|