Warten auf
das Geld
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(C) GHT
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Bewertung:
Es ist was los in Zittau. Besonders seit Schauspielintendantin Dorotty Szalma das Zepter übernommen hat, geht der Blick nach Osten, was auch naheliegt im Dreiländereck mit Tschechien und Polen. Diesmal gab es wieder eine Uraufführung, die dritte bereits in dieser Spielzeit, und sogar eine preisgekrönte: Kriegsmutter brachte die Intendantin von ihrem Jury-Einsatz beim 9. Osteuropäischen Dramenwettbewerb in Georgien mit, wo das Stück einen der beiden ersten Preise gewann. Eine Riege georgischer Kulturministeriellerinnen war zu diesem Anlass ebenso dabei wie der für unsereins mit 25 Jahren erschütternd junge Autor Data Tavadze.
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Es wird in der Laborsituation eines abgelegenen Versuchsgeländes zur Erforschung der Heuschreckenplage von Menschen im Krieg erzählt, ohne ihn zeigen zu müssen. Sina und ihre Mitarbeiterin Manana sollen dort herausfinden, warum aus harmlosen Grillen unter Stress und Hunger gefräßige Heuschrecken werden, aus jenen aber immer nur neue Heuschrecken - eine Analogie drängt sich auf. Doch als der Krieg beginnt, werden die Gelder gestoppt, die Frauen hängen in der Einöde fest. Da scheint es fast ein Glück, dass Sinas Sohn Irakli eingezogen wird: Als Soldatenmutter hat sie Anspruch auf eine Alimentation, die zur Not auch für zwei reicht.
Plötzlich taucht Tina auf (ihrer Erzählung nach Freundin des Sohnes und werdende Mutter von Sinas Enkel) und begehrt zu bleiben. Erst verweigert sich die egozentrische Forscherin, dann aber zieht Manana davon und lässt die beiden Frauen allein, die nun miteinander auskommen müssen. Dass diese nicht so ungleich sind, wie man anfangs vermutet, wird klar, als Sina aus ihrer Jugend erzählt. Auch da war Krieg, und für Soldatenfrauen gab es Sold...
Erst hat die Ältere die Oberhand, aber mehr und mehr erobert sich Tina das Terrain, zumal die Schwiegermutter an Wahnvorstellungen leidet. Wichtigster Fixpunkt im Leben der Zwei wird das Erscheinen des Kuriers, der monatlich das Geld bringt. Sie wissen: Solange der Bote kommt, lebt Irakli noch.
Als eines Tages plötzlich das Zwanzigfache der gewöhnlichen Summe überbracht wird, bricht das fragile Konstrukt zusammen: Wofür so viel? Beförderung? Heldenprämie? Witwensold?
Tina erkennt in dem Geld die Chance wegzukommen, aber die Tür ist verschlossen, und der Schlüssel flog aus dem Fenster. Da weiß Sina schon, dass die Geschichte von der schwangeren Schwiegertochter nur eine Erfindung von Manana war, die fort wollte, aber Sina nicht alleine lassen konnte. Der Flüchtling Tina kam da gerade recht, um in die Rolle der Freundin zu schlüpfen.
Eine bedrückende Kriegsphantasie wird von jener erzählt, mit Irakli als Mittelpunkt. Dann verbrennt Sina mit Hilfe ihres ihr wieder erschienenen Sohnes nachts das viele Geld, während die eine Fehlgeburt erlitten habende Tina schläft. Nun hat die keinen Grund mehr wegzulaufen.
Als ein Staatsvertreter erscheint, um sich vom Vorhandensein des Geldes zu überzeugen und angesichts dessen Vernichtung beide ins Gefängnis bringen will, wird er von Mutter und falscher Schwiegertochter gemeinsam umgebracht. Der Krieg ist in der inzwischen eingeschneiten Einöde angekommen, das Fleisch des Beamten wird ein paar Monate zum Überleben reichen für die Zwei. Mit der Aufzählung einer langen Reihe von Kriegen endet das Stück.
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Dem Autor gelingen erstaunliche Sätze zum Krieg, Sätze, die wohl nur jemand finden kann, der aus eigenem Erleben schöpft. Sein Ansatz erinnert zuweilen an Beckett, ohne jenen zu plagiieren, da verzeiht man auch einige dramaturgische Unplausibilitäten zum Ende hin. Kammerspielartig wird über die Dialoge vom Krieg erzählt, es braucht keinen Schlachtenlärm dazu, die zurückhaltend-szeneriegerechte Musik von Slawomir Kupczak und die schäbig-raffinierte Bühne von Jan Kozikowski ermöglichen eine Umsetzung auf meist leise Art, das Regieteam vom polnischen Partnertheater leistete eine respektable Arbeit.
Von Sabine Krug, die mit der Sina das Stück zu großen Teilen prägte, hätte ich mir trotz wirklich beeindruckendem Spiel manchmal etwas weniger Dramatik gewünscht; der Text ist stark genug. Besser gelang das Katinka Maché, die der Tina Abgeklärtheit verlieh und eine zerbrechliche Trotzigkeit. Stefan Sieh als Kurier wirkte als Staatsvertreter hölzern, gefiel aber zuvor als Kurier und Sohn. Die Manana war in der Handlung auch dank Renate Schneider zu Beginn sehr präsent, die Dramaturgie ließ ihr dann aber nur noch einen kleinen Auftritt.
Knapp hundert Zuschauer auf der gefüllten Hinterbühne applaudierten lang und heftig; danach war im Foyer ein schönes Sprachgemisch zu hören - so wie es sein soll im Dreiländereck. Die Trinksprüche erfolgten auf Georgisch, leider musste der Rezensent nach dem ersten gehen, der letzte Zug in die Landeshauptstadt fährt schon viertel Elf. Aber der Ausflug in die Oberlausitz hatte sich gelohnt, ganz ohne Zweifel.
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Sabine Krug und Renate Schneider in Kriegsmutter am Gerhart-Hauptmann-Theater - Foto (C) GHT/Pawel Sosnowski
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Sandro Zimmermann - 21. Februar 2015 ID 8455
KRIEGSMUTTER (Theater Zittau hinterm Vorhang, 20.02.2015)
Regie: Piotr Jędrzejas
Musik: Sławomir Kupczak
Ausstattung: Jan Kozikowski
Dramaturgie: Kerstin Slawek
Besetzung:
Sina ... Sabine Krug
Tina ... Katinka Maché
Kurier ... Stefan Sieh
Manana ... Renate Schneider
Uraufführung war am 20. Februar 2015
Weitere Termine: 1., 12., 25. 3. / 18. 4. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.g-h-t.de
Post an Sandro Zimmermann
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