4 Ronalds,
1 Mutter
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Ronald M. Schernikau verschickte oft an seine Adressaten Ansichtskarten, wo er selbst darauf zu sehen war - auch diese hier; er sandte sie dem Schreiber dieser Zeilen im März 1989... | Foto: Archiv
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Bewertung:
Ronald M. Schernikau (1960-1991) - der letzte BRD-Staatsbürger, der zum DDR-Staatsbürger werden wollte und es bis zum Personalausweis tatsächlich schaffte - war zeitlebens schon so eine Art Legende. (Sein fast tausend Seiten starkes Opus Magnum, das posthum erschien, heißt übrigens genauso.) Er war klug und weise, ungeheuer talentiert und kommunikativ bis zum Exzess. Ich kenne kaum wen, den ich kannte, den er kannte, der sich seiner suggestiven Ausstrahlung entziehen konnte oder wollte. So ein fast schon hartnäckiges Interesse an den Menschen um ihn her hatte ich vorher selten wahrgenommen. Wen er einmal menschlich "auf dem Kieker" hatte, den verfolgte er geradezu - selbst wenn man sich ihm (so wie's mir am Anfang ging; wir waren zwei Jahre lang Sitzbanknachbarn an dem damaligen Institut für Literatur Johannes R. Becher in Leipzig, jener legendären "Schmiede" für angehende Schriftstellerinnen und Schriftsteller der DDR), aus was weiß ich für merkwürdigen Gründen, sperrte oder ihn halt nicht an sich (noch nicht!) heran ließ...
Als er mir die schöne Ansichtskarte von sich [s.o.] schickte, schlug er mir ein Datum vor, an dem wir miteinander über einen meiner neuen Texte sprechen könnten (bei 'nem ersten Treffen, das ich nach dem Studium mit ihm hatte, brachte er mir quasi über Nacht den Blankvers bei; er las ein Stück von mir, las es mir laut und rhythmisch vor und sagte dann, das alles wäre Blankvers, woraufhin er ein paar Federstriche in dem Manuskript gemacht hatte und meinte, so, ab jetzt müsste ich halt all das, was ich zuvor in Prosa "dachte", justament in Verse übersetzen, und dann zählte er mit mir ganz laut "und Eins und Zwei und Drei und Vier und Fünf" und - fertig war mein erstes Blankvers-Stück) - - als ich am nächsten Vormittag dann wieder von ihm ging, konnte ich freilich noch nicht ahnen, dass er wenig Jahre später schwer erkrankte; und wir sahen uns daher nie wieder...
Heute ist er mehr denn je so was wie eine Kult- und Leitfigur der linken Schwulenszene, die ihn abgöttisch verehrt.
Er war ja wirklich wunderschön, mein Gott!
Sein Coming-Out-Büchlein Kleinstadtnovelle kennen alle, insbesondere die Jungen resp. "Nachgeborenen" der links-schwulen Community.
In der bereits erwähnten tausendseitigen Legende steht zudem dann Alles (aber wirklich Alles), was man über Schernikau erfahren oder wissen sollte, drin. Es ist in seiner (schon rein äußerlichen) Bibelartigkeit freilich ein sehr, sehr artifizielles Buch. Eine Lektüre - wenn man sich geduldig auf sie einlässt - kostet Überwindungen und Kraft; die Anstrengung müssten sich freilich Alle, die ihn so verhimmelnd anbeten und wie 'nen Popstar "lieben", zwingend antun, dass sie annähernd begreifen und verstehen könn(t)en, wen sie da, völlig zurecht, zu einem ihrer Götter stilisieren.
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"Gegen die Erinnerungsseligkeit des 25. Mauerfalljubiläums geht der Regisseur Bastian Kraft ('Der Besuch der alten Dame') in einem collageartigen Ronald-Schernikau-Abend dieser widersprüchlichen und widerständigen Figur nach", heißt es verkürzt auf www.deutschestheater.de.
Das allgemeinbildende und v.a. künstlerische Resultat des zweifelsohne ehrlichen und ehrgeizigen Unterfangens ist ernüchternd-platt. Die Schönheit von Ost-Berlin heißt das ganz keck als Uraufführung deklarierte theatralische Produkt, was sich in einer locker-losen Ansammlung von einem vierfach aufgesplitteten Protagonisten inkl. seiner Mutter, die natürlich (Haupt-)Inhalt und Stoff der Schernikau'schen Weltliteratur geworden war, sowie entsprechend rausgepickter Textstellen von hie und da verliert. Zwar schon ein lieb gemeintes Potpourri des guten Willens und zum Zeichen allergrößter Sympathie(n) - mehr jedoch wohl nicht.
Die großartige Margit Bendokat vermittelt noch am ehesten in Sachen "Tiefe", ihre schauspielernde Interpretation der Dichtermutter (sie [Irene Binz] und Thomas Keck, der langjährige Lebensgefährte Ronalds, existieren und fungieren als die scheinbar einzig rechtmäßigen Werksverwalter ihres so berühmt gewordnen Ahnen) ist schon anrührend und überzeugt in ihrer durchaus distanzierten Dimension.
Wogegen zu den vier als leichtfüßige Ronald-HoppserInnen [Namen s.u.] Aufgesplitteten nicht viel zu sagen wäre außer vielleicht: Reduzierungen auf "links" und "schwul" gelungen!
Und als proletarisch angehauchtes Gay-Event tat diese Chose in der Tat dann ihren Zweck ganz augenscheinlich und gefühlter Maßen irgendwie erfüllen.
Nein, nichts gegen Schwule, auch nichts gegen Linke (bin ja selber beides)!!
Närrische Begeisterung.
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Vorabfoto zur Ronald M. Schernikau-Collage Die Schönheit von Ost-Berlin am Deutschen Theater | (C) Arno Declair
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Andre Sokolowski - 7. November 2014 ID 8233
DIE SCHÖNHEIT VON OST-BERLIN (Kammerspiele, 07.11.2014)
Regie: Bastian Kraft
Bühne: Peter Baur
Kostüme: Inga Timm
Musik: Ingo Schröder
Dramaturgie: John von Düffel
Besetzung:
Die Mutter ... Margit Bendokat
Ronald M. Schernikau ... Elias Arens, Thorsten Hierse, Wiebke Mollenhauer und Bernd Moss
Uraufführung war am 7. November 2014
Weitere Termine: 9., 18., 27. 11. / 6., 16., 28. 12. 2014
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de
Post an Andre Sokolowski
http://www.andre-sokolowski.de
Zu KRETHI UND PLETHI
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