„Wo sind
wir hier?“
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Verräter - Die letzten Tage von Falk Richter am Maxim Gorki Theater, Berlin | Foto (C) Esra Rotthoff
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Bewertung:
Ähnlich wie Yael Ronen mit dem Exil Ensemble spielt auch Falk Richter in seiner neuen Gorki-Produktion Verräter - Die letzten Tage mit den Biografien der mitwirkenden SchauspielerInnen. Allerdings geht Richter in seinen Stücken bei weitem weniger subtil vor. Seine Texte greifen in letzter Zeit oft direkt Personen des rechtsnationalen Spektrums um AfD und Pegida an. Der Autor und Regisseur benutzt dabei ganz bewusst deren Hass-Rhetorik gegen Minderheiten wie Homosexuelle oder Ausländer. Das hat ihm im Fall seines Stücks Fear an der Berliner Schaubühne bereits eine Klage der AfD-Politikerin Beatrix von Storch eingebracht, die allerdings zugunsten Richters abgewehrt wurde. Auch in Small Town Boy am Maxim Gorki Theater redete sich der Schauspieler Thomas Wodianka gegen die neuen Rechten, CDU-Politikerinnen und Wladimir Putin in Rage.
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Sein neues Stück behandelt den von den Rechten immer wieder ins Spiel gebrachten Begriff des Verräters am Volk oder den von rechts proklamierten abendländischen Werten. Richters Befürchtung geht dahin, dass die Tage der freien Welt gezählt scheinen und „der 'freien Westen' immer tiefer in ein Phantasma der gesellschaftlichen Restauration von autoritärer Stärke und altväterlicher Macht“ driftet. Die explizite und patriarchale Rhetorik eines Trump, Erdogan oder Putin liefern ihm dafür den Beweis. Richter hat für seine Recherche auch den französischen Philosophen Didier Eribon und dessen autobiografische und politische Analyse Rückkehr nach Reims gelesen. Darin erklärt der aus einer Arbeiterfamilie stammende schwule Autor das Erstarken der nationalen Rechten auch aus der Abwehr einer sexuellen und sozialen Scham sowie des ins gesellschaftliche Unterbewusstsein verdrängten Klassenkampfs, der nun von rechts als Kulturkampf zurückgekehrt ist.
Dazu lässt Richter sein Ensemble zum Beginn des Abends von der eigenen Scham und dem Verrat an der sozialen Herkunft, der Familie oder dem Stehen zur eigenen sexuellen Orientierung erzählen. So berichtet z.B. Mareike Beykirch von ihrer Kindheit in einem kleinen Ort im Harz, in dem nach der Wende Arbeitslosigkeit und Hartz IV Einzug hielten, wodurch die sozialen und familiären Strukturen nachhaltig zerstört wurden. Sich ihrer Mutter zu schämen, ihre Entfremdung von dem Ort mit seinen leeren, braunen Feldern und der harten anhaltinischen Sprache, empfindet sie auch ein wenig als Verrat. Mehmet Ateşçi schämt sich während eines Türkeiurlaubs mit seinem Freund in der Istanbuler Putschnacht aus Angst vor Entdeckung nicht klar zu seiner Sexualität gestanden zu haben. Und auch der Schauspieler Knut Berger, der mit einem Mann zusammenlebt, mit dem er zwei Kinder erzieht, erzählt, dass seine Ruhrpolnische Familie, um als deutsch zu gelten, einst den Namen geändert hatte.
Soweit ist Richters Stück mit den biografischen Splittern seiner MitspielerInnen auch künstlerisch nah am politischen Thema dran. Es untersucht die Sprache als Transportmittel von Hass und Vorurteilen oder was sich mit ihr beschreiben lässt und was nicht. Wie sie bewusst ausgrenzt und verfälscht. Dazu spielt das Ensemble passende Live-Musik wie etwa Mareike Beykirchs Punksong Wer hat uns verraten? Christdemokraten oder bekannte Popsongs wie In a Manner of Speaking von Tuxedomoon und Enjoy the Silence von Depeche Mode mit den Liedzeilen "Words like violence / Break the silence oder Words are very unnecessary". Knut Berger vermisst eine Sprache, in der er vorkommt. Vieles unterliege einem Sprechverbot, was er auch als „Verrat an der Poesie“ empfindet.
Dass die Inszenierung dann doch auch wieder in die aufgesetzte Attitüde des Hate-Speech und der bewussten Provokation verfällt, dabei aber immer auch wieder Gesagtes zurücknimmt oder zur Diskussion stellt, tut dem anfänglichen Fluss des Abends nicht besonders gut. Selbstironische Einsprengsler wie die Sing-Sang-Nummer des Hamburger Thalia-Schauspielers Daniel Lommatzsch, der als Witzfigur eines deutschen Theatermachers die so anderen Biografien seiner MitspielerInnen so interessant findet, dass er z.B. ein LaLaLand-Musical mit der Israelin Orit Nahmias über jüdische Kollaborateure in deutschen KZs machen will, wirken gar schon etwas grenzwertig. Çiğdem Teke wartet noch mit dem ironisch gemeinten Wunsch auf, nicht allein nur als lesbische Schauspielerin auf sich selbst festgelegt zu werden, sondern auch mal eine Liebesszene mit einem Mann zu spielen.
Der Dialog als gesellschaftliche Art der Auseinandersetzung hat nach Falk Richters Meinung ausgedient und ist in die anonymen Kommentarzeilen der sozialen Netzwerke verlegt worden. Auf düster- apokalyptischer Bühne mit einer Art verkohltem Waldboden, wohl als Sinnbild der verirrten deutschen Seele gemeint, machen sich nun finstere Gestalten ans Holzhacken. Daniel Lommatzsch referiert dazu als Götz-Kubitschek-Verschnitt über den Weg des Mannes und die angestammte Rolle der Frau, in die er sie wieder zurückdrängen will. Dieser Art der „neuen Terminologie“, die doch das Alte meint, will der Abend den Kampf ansagen, verzettelt sich dann aber doch in kabarettistischen Solonummern und bietet am Ende wieder nur das Idyll als Alternative, wie es Falk Richter beispielsweise mit der Utopie des Urban Gardening bereits in Fear proklamiert hat. Hier ist es die Hoffnung, dass wie in Angkor Wat die Natur alte Herrscherreiche wieder überwuchern wird, oder die
polyamoröse Lebensart, eine Art von kollektiver Identität, der man mit gemeinsamem Kuscheln in einer Videoprojektion frönt und I "wanna dance with somebody / With somebody who loves me" singt.
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Stefan Bock - 2. Mai 2017 (2) ID 10000
VERRÄTER - DIE LETZTEN TAGE (Maxim Gorki Theater, 28.04.2017)
Regie: Falk Richter
Bühne/Kostüme: Katrin Hoffmann
Musik: Nils Ostendorf
Video: Aliocha Van Der Avoort
Licht: Carsten Sander
Dramaturgie: Jens Hillje, Mazlum Nergiz
Mit: Mehmet Ateşçi, Knut Berger, Mareike Beykirch, Daniel Lommatzsch, Orit Nahmias und Çiğdem Teke
Uraufführung war am 28. April 2017
Weitere Termine: 11., 13.05.2017
Weitere Infos siehe auch: http://gorki.de
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
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