Neuauflage eines alten Fritz-Kater-Stücks über ostspezifische Wendeprobleme
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Sterne über Senftenberg von Fritz Kater | (C) Neuen Bühne Senftenberg
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Bewertung:
Bereits im September 2016 hat sich die Neue Bühne Senftenberg mit "Wir sind 70!" ein Theaterfest zum Jubiläum ausgerichtet. Etwas verspätet kommt dazu nun auch noch ein separates Stück, das man beim Autor Fritz Kater [im sonstigen Leben Theaterregisseur und Intendant des Schauspiels Stuttgart mit Namen Armin Petras] bestellt hatte. Sterne über Senftenberg ist eine Art Fortschreibung des 2003 in Leipzig von Petras selbst uraufgeführten Stücks Sterne über Mansfeld. Darin sind diverse Wendeschicksale verschiedener, in der Region des ehemaligen Kupferbergbaus lebender Personen miteinander verwoben. Kater erzählte von Wünschen, neuen Zielen und Perspektiven im Umbruch sowie dem tragischen Scheitern von Träumen und Beziehungen.
Im neuen Stück, das der Ex-Regieassistent von Armin Petras am Berliner Gorki Theater und heute selbst vielbeschäftigte Regisseur Dominic Friedel in der Studiobühne des Senftenberger Theaters zur Uraufführung brachte, sind dieselben ProtagonistInnen eher lockerer ost-verortet in einer Region, die mit dem Wandel zur gestalteten Kulturlandschaft aber deutlich an die ehemaligen Gebiete des Braunkohletagebaus rund um Senftenberg und Cottbus erinnert. Und auch sonst kann man die Handlung ganz gut mit dem zum Theaterfest uraufgeführten Stück Birkenbiegen des in Cottbus geborenen Autors Oliver Bukowski vergleichen. Hiergebliebene treffen auf Rückkehrer und Zugezogene, die sich mit alten Wunden und neuen Problemen auseinandersetzen müssen.
Wie im Mansfeld ist Polizist Christian (Roland Kurzweg) auch in der Lausitz mit dem Fernrohr immer auf der Suche nach den Sternen, die er seiner Nichte Janica (Marianne Helene Jordan) auf dem Dach eines Bühnenkubus, der am Beginn noch mit Papier eingeschlagen ist, zeigen will. In jenem Kubus steht nach dem Abreißen der Papierbahnen Janicas Vater, der Ex-Rockmusiker Thomas (Robert Eder), der seine E-Gitarre immer wieder einstöpselt und den rauen Sound des Abends gibt. Thomas war vor dem Ende der DDR mal kurz ganz nah dran an einem Plattenvertrag, wie der Schlagzeuger von Rockhaus, einer bekannten Ostband, der nun in einer Stones-Revival-Band spielt. Früher hat Thomas etwas gewagt, wie seine Frau Betty (Eva Geiler) am Küchentisch erzählt - heute verkauft er Versicherungen, um die Schulden für das Haus abzubezahlen. Die Idee einer Go-Kart-Bahn scheitert nicht nur an den Banken, sondern auch an über 600 fehlenden alten Autoreifen.
Ein weiterer Wendeverlierer liegt schon zu Anfang im Straßengraben. Benjamin, ein Parteiarbeiter im Ruhestand (Sybille Böversen), hat versucht sich das Leben zu nehmen und wird vom zugereisten Pastor (Sebastian Volk) gefunden, der im Osten auf Missionarstour ist. Das rund um den drehbaren Kubus sitzende Publikum zieht der junge idealistische Pastor immer wieder mit ein. So fragt er z.B. nach einem Handy, dem fehlenden Glauben oder der Wahrheit. Finden wird er nur Isabell, eine junge Frau auf der Suche nach Liebe (Katrin Flüs), die von einem Jesus an der Fleischtheke im Supermarkt phantasiert, der mit christlichen Litaneien aber in diesem Leben nicht zu helfen ist.
So hat hier jeder sein Päckchen zu schultern, nur der junge Pastor versucht noch die Last des alten Parteigenossen, dessen Gott eine versteckte Stalinbüste ist, mit zu tragen. Unermüdlich fordert er den am Bein Versehrten zum Weiterlaufen auf, aber Benjamin sackt immer wieder in sich zusammen. Er hat den einzigen Schuss der Wendeunruhen abbekommen. Ein Betriebsunfall der Geschichte. Den Pastor bezeichnet Benjamin als Reaktionär, einen der das Rad der Geschichte zurück drehen will. Einziger Hoffnungsschimmer bleibt die junge Janica, die den Absprung vom Graffiti-Sprayen an die Londoner Kunsthochschule schafft, trotz eines fast tödlich ausgehenden Zugunglücks.
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Soweit ist die Senftenberger Story fast identisch mit der aus dem Mansfeld, und man fragt sich schon, ob dieser als Uraufführung angesetzte Abend nicht nur eine örtlich umgesetzte Mogelpackung ist. Auch die recht sprunghafte Inszenierung von Dominic Friedel sorgt da nicht wirklich für Klärung. Das Neue ist dann aber nicht etwa das Weglassen des Chors der älteren Damen, sondern die Einführung der neuen zukunftsweisenden Figur, des Jungen Jeremias, den die aus London zurückgekehrte Janica mit in die alte Heimat bringt. Ihren Sohn, den sie mit einem Jamaikaner zeugte, spielt der 13jährigen Dae Eun Choi, Kind einer Koreanischen Musikerin und eines Senftenberger Schauspielers.
Der knapp 100minütige Inszenierung wird nicht nur von vereinzelten Versen des DDR-Literaten Wolfgang Hilbig und der an Metaphern reichen Sprache Fritz Katers aufgewertet. Am Ende gibt es, nachdem der Bühnenkubus wieder mit Spanplatten verkleidet ist, auch noch einen Blick in die Zukunft des freiwilligen Nierenspenders Christian, der Altenpflegerin Betty sowie von Mutter Janica und Sohn Jeremias. Regisseur Friedel lässt sie um den Kubus rotieren und immer wieder gemeinsam ihre Texte ins Publikum sprechen. „Es gibt keine Wahrheit. Keine Lüge. Nur Aktion. Aber die muss man schon selber machen.“ sagt Jeremias. Oder etwa: „Wir müssen wieder magische Orte schaffen.“ Zumindest dieses vage Versprechen des Theaters kann hier in Teilen erfüllt werden.
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Sterne über Senftenberg von Fritz Kater | (C) Neuen Bühne Senftenberg
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Stefan Bock, 10. April 2017 ID 9962
STERNE ÜBER SENFTENBERG (Studiobühne Senftenberg, 08.04.2017)
Regie: Dominic Friedel
Bühne und Kostüm: Peter Schickart
Dramaturgie: Maren Simoneit
Besetzung:
Thomas, früher mal Rockmusiker ... Robert Eder
Christian, sein Bruder, Ex-Polizist, Frührentner, Tauchlehrer ... Roland Kurzweg
Pastor, nicht von hier ... Sebastian Volk
Benjamin, Parteiarbeiter i. R. ... Sybille Böversen
Isabell, auf der Suche nach Liebe ... Katrin Flüs
Betty, Frau von Thomas ... Eva Geiler
Janica, ihre Tochter ... Marianne Helene Jordan
Jeremias, Janicas Sohn ... Dae Eun Choi
Uraufführung an der Neuen Bühne Senftenberg: 8. April 2017
Weitere Termine: 19.04. / 22., 23.05.2017
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-senftenberg.de/
Post an Stefan Bock
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