Etwas zu handzahm
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Bewertung:
Das zum Ende der letzten Volksbühnensaison abgesagte Stück Cruel to be Kind von René Pollesch eröffnete gestern Abend - nun unter dem Titel House for Sale - die neue Spielzeit am Rosa-Luxemburg-Platz. Von der ursprünglichen Inszenierung zum Shaekespeare-Zitat „I must be cruel only to be kind” (lt. Schlegel zu deutsch: „Zur Grausamkeit zwingt bloße Liebe mich.“), was aus dem Hamlet stammt, ist nur der Song "Cruel to Be Kind" des englischen Singer-Songwriters Nick Lowe aus dem Jahr 1979 übriggeblieben.
René Pollesch hat seine Inszenierung in neuer, rein weiblicher Besetzung geprobt und mit den Drei Schwestern von Anton Tschechow verschnitten. Es ist ein Abend mit dem üblichen philosophischen Pollesch-Mix aus Liebe und Leben in Zeiten des Kapitalismus geworden. Hinzugekommen ist der Glaube und mit ihm der Verrat und die Gewalt. (Zitat: „Mir scheint, der Mensch muss gläubig sein oder muss nach einem Glauben suchen, sonst ist sein Leben leer, leer…“)
Ziemlich leergeräumt ist auch die Bühne - bis auf einen roten Vorhang im Hintergrund. Herbstliches Laub bedeckt passend zur anbrechenden Jahreszeit den Boden. In die Mitte hat Bühnenbildner Bert Neumann ein kleines Holzhaus gestellt, wie es einige Besucher bereits von René Polleschs Münchner Inszenierung Gasoline Bill (Autorentheatertage im DT) her kennen. Zu Beginn überfallen die beiden bewährten Pollesch-Darstellerinnen Sophie Rois und Christine Groß zusammen mit der Schauspielerin Mira Partecke, die auch schon über Pollesch-Erfahrungen verfügt, als Cowgirls in Weiß die Bühne. Volksbühnenurgestein Bärbel Bolle nimmt dagegen erstmal auf einem weißen Gartenstuhl Platz und harrt der Dinge, die da kommen...
Was folgt, ist eine herrlich schräge Persiflage auf eine Szene aus der US-Serie Starsky & Hutch, in der Hutch (in diesem Fall: Sophie Rois) dem finsteren Knastbruder Big Earl (herrlich knarzig: Bärbel Bolle) für Informationen erst den Bauchnabel zeigen und dann auch noch den Drachen machen muss. Ansonsten verfallen die Schauspielerinnen immer wieder in die Rollen von Tschechows Drei Schwestern, von denen wir hier aber zunächst nur zwei zu sehen bekommen. Sophie Rois mimt die überforderte, ständig müde Olga und Christine Groß die Mascha (klänge irgendwie schwul, wie Big Earl aus seinem Stuhl vermeldet). Als fiese Schwägerin Natalja tritt Mira Partecke in Erscheinung, und Bärbel Bolle sitzt als scheinbar nutzlose alte Kinderfrau Anfissa weiterhin im Lehnstuhl.
Gemeinsam beschwören sie als in der Vergangenheit lebende Tschechow-Figuren das Reich ihrer Kindheit, machen Jokes über slawisches Klima, Déjà-vus um das Geld, das man nicht hat. Das Haus ist schlecht eingerichtet und die Bildung auch nicht mehr das, was sie mal war. Trotz Marx' Das Kapital blieb die Revolution aus. Folglich ist Bücherschreiben wohl auch keine Lösung mehr. Sie hängen in der Zeitschleife fest und wiederholen sich. Motto: Wiederholung erfordert die größte kreative Kraftanstrengung. Die Schwestern beschließen irgendwas Subversives zu tun, entweder zu heiraten oder sich zu radikalisieren. Man träumt von der Grenzüberschreitung als marodierende Schauspieler.
Pollesch kommt hier wieder vom Hölzchen aufs Stöckchen und zu Naziaufmärschen in New Jersey, gegen die nur Baseballschläger helfen. Gewalt kommt besser als Satire. Es gibt schließlich auch genug schlechte Konzerte gegen Rechts. Das Haus dreht sich, und es ertönt "I Live on a Battlefield", ein weiterer Song von Nick Lowe. Pollesch vermengt nun geschickt Gewalt, Liebe und die subversive Kraft des Glaubens miteinander. Und zwar nicht die intolerante Gewalt der Liebe der Kirche, sondern die eines ihrer Gründerväter, wenn man soll will, des Apostels Paulus. Hieraus drehen die gut aufgelegten Diskutantinnen schließlich die Schleife hin zum postkommunistischen Philosophen Slavoj Žižek und seinen Ausführungen zum Christentum zwischen Perversion und Subversion. Paulus als ersten Leninist sozusagen.
Das sind so Weiterentwicklungen zu Walter Benjamins Theologieansatz aus seinen Thesen über den Begriff der Geschichte. Es geht um den subversiven Kern der christlichen Erfahrung. Dazu wird das Gleichnis vom ungerechten Verwalter eines reichen Herrn aus dem Evangelium Lukas, Kapitel 16, herangezogen, der in Anbetracht seiner Schuld die Schuldscheine der Gläubiger seines Herrn um den von ihm zu Unrecht erhöhten Betrag mindert. Das Fälschen der Schuldscheine wäre hier sozusagen das Subversive. Daraus ergibt sich aber als Grundlage des Christentums nicht die Gerechtigkeit, sondern der Betrug. Umschluss, Kurzschluss, wie man will: Liebe und Religion sind schließlich auch nur Betrug. „From my cold dead hands" - der Gottesbeweis mündet in einen kleinen Ringkampf zu Countrymusik.
Das Haus und die Diskursschleifen drehen sich noch ein wenig weiter mit blindem Automatismus, Bindung an singuläre Objekte etc. etc. - Buzzword-Bingo, um sich auch mal umständlich auszudrücken. Überhaupt wird wieder einiges an theoretischen Nebelgranaten gezündet. Man meint manchmal, Pollesch nehme sich hier tatsächlich mal selbst auf die Schippe. Die Kostüme (Tabea Braun) wechseln vom Westernoutfit passend zur Musik zum Batikgewandt. Zum Schluss gibt es noch einen weiteren 70er-Jahre-Hit zur Gitarre. Elvis Costellos "Peace, Love and Understanding", ein Song aus der Zeit, als man noch auf der Suche nach Licht in der Dunkelheit des Wahnsinns war. „What's So Funny 'bout?” Ja, es wird viel gelacht, und man fühlt sich die 90 Minuten hindurch gut unterhalten. Aber - außer bei Bärbel Bolle natürlich - wirkt in diesem neuen Pollesch alles etwas zu handzahm.
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Stefan Bock - 11. September 2014 ID 8081
HOUSE FOR SALE (Volksbühne Berlin, 10.09.2014)
Regie: René Pollesch
Bühne: Bert Neumann
Kostüme: Tabea Braun
Licht: Lothar Baumgarte
Musikarrangement: Roman Ott und Lars Gühlcke
Soufflage: Tina Pfurr
Dramaturgie: Anna Heesen
Mit: Bärbel Bolle, Christine Groß, Mira Partecke, Sophie Rois und Tina Pfurr
Uraufführung war am 10. September 2014
Weitere Termine: 12., 13., 16. 9. / 16., 31. 1. 2014
Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne-berlin.de
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