Die Putzfrau
als soziale
Plastik
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Stück Plastik von Marius von Mayenburg in der Schaubühne am Lehniner Platz | Foto (C) Arno Declair
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Bewertung:
Nach Joseph Beuys ist jeder Mensch ein Künstler, der durch kreatives Handeln auf die Gesellschaft einwirkt. Beuys sprach von der Theorie der „Sozialen Plastik“. Im neuen Theaterstück von Schaubühnen-Hausautor Marius von Mayenburg soll der Zuschauer auch Teil einer komplexen Videoinstallation werden, sagt zumindest die Stimme des Schauspielers Sebastian Schwarz beim Einlass aus dem Off. Er spielt in Mayenburgs Stück Plastik, das der Autor nun selbst im Haus am Lehniner Platz zur Uraufführung brachte, den zynischen, nihilistischen Künstler mit sexistischen Allmachtphantasien Serge, der nach Depressionen - er spricht vom selbst herbeigeführten Burnout durch den künstlerischen Sieg des Körpers über die Psyche - in der Putzfrau Jessica seine Muse und Rettung findet. Jessica (Jenny König) arbeitet bei dem schwer berufstätigen Ehepaar Ulrike (Marie Burchard) und Michael (Robert Beyer), die fürs Putzen keine Zeit mehr finden. Die junge Jessica aus Halle ersetzt die gefeuerte Danuta aus Polen. Allerdings zielt Mayenburg nicht vordergründig auf den Ost-West-Konflikt, sondern auf die Borniertheit und vorurteilsbehaftete Wahrnehmung des bürgerlichen Mittelstands gegenüber Menschen in sogenannten prekären Arbeitsverhältnissen.
Auf der Bühne, die das Globe-Setting der Richard III.-Inszenierung von Thomas Ostermeier nutzt, hat Nina Wetzel eine an Seilen hängende, erhöhte Wohnküche gebaut, die man nach Bedarf heben und senken kann. An den Seiten sind Bildschirme montiert, auf denen besagte Videoinstallationen von Sébastien Dupouey in Dauerschleife laufen. Wände und Boden sind mit weißer Plastikplane ausgelegt und bilden so einen regelrecht aseptischen Raum, den Jessica mit Putzwagen und Feudel bearbeitet. Dazu singt Jenny König, die sonst eher sparsam mit Text bedacht ist, immer wieder Pop- und Rockhymnen wie "Rolling in the Deep" von Adele, "Final Countdown" von Europe oder "Sweet dreams" von den Eurythmics in ihr Microport. Sie ist in ihrer Rolle als Jessica geradezu großartig. Mal gleichmütig, mal verständnisvoll und in jedem Fall immer souverän reagiert die „Putzperle“ auf die Zwangsneurosen ihrer bildungsbürgerlichen Arbeitgeber. Neben ihrem Putzjob fungiert Jessica nämlich noch als geduldiger Kummerkasten für die Ängste und Sex-Probleme der Familie.
Und diese Familie zeichnet Marius von Mayenburg als einen einzigen Albtraum. Ulrike hat wegen Erfolglosigkeit ihre eigenen künstlerischen Ambitionen aufgegeben und dient nun Serge als inspirierende Assistentin. Ehemann Michael ist Chirurg und bemüht sich seit Jahren um ein Engagement bei Ärzte ohne Grenzen. Da in Sachen Sex nicht mehr viel passiert, versucht Michael, obwohl er gar nicht wirklich will, so die Achtung von Jessica zurückzuerobern, die ihm aber immer wieder nur vorwirft, sich aus der Verantwortung zu flüchten. Ihr verkorkstes Leben überträgt sich auch auf den 12jährigen Sohn Vincent (Laurenz Laufenberg), der in der Schule gemobbt wird und jede Menge Komplexe mit sich rumschleppt. Sein Lieblingsspielzeug ist die Handykamera, mit der er auch schon mal Jessica beim Duschen filmt. Als Erziehungsberechtigte haben die sich ständig zoffenden Eltern jedenfalls komplett versagt.
Das Stück erinnert in seinen verrückten Dialogen an die überdrehten, schwarzhumorigen Gesellschafts-Farcen von Felicia Zeller (Gespräche mit Astronauten und X-Freunde) oder Oliver Bukowski (Ich habe Bryan Adams geschreddert). Mayenburg schließt hier aber auch wieder an seine früheren Stücke Feuergesicht und Das kalte Kind an. Allerdings fehlt Stück Plastik etwas von deren verstörender Wucht. Dafür brilliert der Autor mit einer äußerst komischen Dramaturgie des Missverstehens. Das treibt dann durch das komödiantische Talent der Schauspieler immer wieder herrlichste Blüten, wenn etwa Michael Jessica zu erklären versucht, dass Ulrike ihr Schweißgeruch stört, oder die Eltern ihren pubertierenden Sohn über seine erwachende Sexualität aufklären wollen. Die fehlende soziale Kompetenz der Beiden verstrickt sie jedenfalls immer wieder in herrliche Widersprüche zu dem, was sie sagen wollen und was letztendlich dabei wirklich rüber kommt.
Die herablassenden Demütigungen, mit der sie Jessica behandeln, schlagen schließlich selbst auf das Paar zurück, als Serge die Küche der Familie für sein neues Kunstprojekt okkupiert. Im Putzen und Kochen hat er sein neues authentisches Thema gefunden. Die Putzfrau Jessica als Soziale Skulptur. Nach dem Motto 'Wo ich bin, ist Kunst, und Kunst ist öffentlich' zerrt Serge das letzte bisschen Privatleben auf seine Bühne. Ein paar nette Seitenhiebe ans Theater gibt es da auch noch. Ab jetzt kippt Mayenburg die Farce ins vollkommen Absurde. Eine bitterböse Abrechnung mit der verlogenen kleinbürgerlichen Selbstherrlichkeit, bestehend aus Spießigkeit, gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnissen und Standesdünkeln. Ultimative Kunst, die sich selbst betrachtet und nebenbei den schönsten Suppenkasper-Slapstick hervorbringt, bis alles in sich zusammenbricht.
Es bieten sich aber noch jede Menge andere Analogien. Das ergibt sich teilweise erst aus dem Schluss, der in eine Art Umkehr der Putzfrauenfarce Die Präsidentinnen von Werner Schwab mündet. Die Mariedl hatte Mayenburg bereits in seiner philosophischen Satire Perplex drin. Damals zeigte er auch schon einen Hang zu Nietzsche. Passend dazu die Videobilder mit den Gemälden Der Wanderer über dem Nebelmeer, in der Schwarz wie ein Zarathustra vom Berge posiert und Eismeer von Caspar David Friedrich, ein romantisches Bild für das Scheitern der Gesellschaft. Ansonsten scheint Mayenburg viel Byung-Chul Han gelesen zu haben. Zumindest sind dessen Theorien von der Selbstoptimierung durch Dauerstress, Müdigkeit und den Versagensängsten und Depressionen im Stück erkennbar. Mit seiner Komödie in der Hochburg der bürgerlichen Wohnhölle am Kudamm stellt Mayenburg der kapitalistischen Gesellschaft ein ziemlich gepfeffertes Armutszeugnis aus. Nach dem Lachen muss allerdings noch der Rückschluss zu den Ursachen erfolgen.
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Stück Plastik von Marius von Mayenburg in der Schaubühne am Lehniner Platz | Foto (C) Arno Declair
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Stefan Bock - 26. April 2015 ID 8601
STÜCK PLASTIK (Schaubühne am Lehniner Platz, 25.04.2015)
Regie: Marius von Mayenburg
Bühne und Kostüme: Nina Wetzel
Musik: Matthias Grübel
Video: Sébastien Dupouey
Dramaturgie: Maja Zade
Licht: Erich Schneider
Besetzung:
Ulrike ... Marie Burchard
Michael ... Robert Beyer
Vincent ... Laurenz Laufenberg
Serge Haulupa ... Sebastian Schwarz
Jessica Schmitt ... Jenny König
Uraufführung im Rahmen von F.I.N.D. #15 war am 25. April 2015
Weitere Termine: 20., 23. - 25. 5. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.schaubuehne.de
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
Uraufführungen
Siehe auch: The Civil Wars (bei F.I.N.D. #15)
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