Oshi-Deutsch
Die DDR-Kinder von Namibia
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Oshi-Deutsch – Die DDR-Kinder von Namibia am Theater Osnabrück | Foto (C) Uwe Lewandowski
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Bewertung:
Ein besonders ambitioniertes Projekt hat das Theater Osnabrück in Kooperation mit dem Regisseur Gernot Grünewald und dem National Theatre of Namibia, vertreten durch Sandy Rudd, erarbeitet. Das Stück Oshi-Deutsch – Die DDR-Kinder von Namibia ist nun als Resultat dieser Zusammenarbeit auf die Bühne des emma-Theaters gebracht worden. Thematisch wird ein Kapitel der jüngeren DDR-Geschichte beleuchtet, das den meisten Deutschen wohl unbekannt sein dürfte, wurde es doch eher unter Verschluss gehalten. 1978 tobt ein Bürgerkrieg zwischen Namibia und Südafrika, woraufhin ab Ende 1979 auf Anweisung der Südwestafrikanischen Volksorganisation, der SWAPO, sukzessive 400 namibische Kinder im Kleinkindalter in das Jagdschloss Bellin bei Güstrow gebracht werden. Angekommen im sozialistischen Bruderstaat sollen diese Kinder eine „Schutzausbildung“ absolvieren, um eines Tages ihr namibisches Heimatland zu befreien und (wieder)aufzubauen. Einer Elite-Einheit der FDJ gleich wuchsen im internatsähnlichen Schloss nun - isoliert von gleichaltrigen DDR-Kindern - Jungpioniere heran, denen Führungspositionen in ihrer Heimat nach Abschluss der Ausbildung im Sinne der SED-Regierung zugedacht waren. Da die Geschichte sich bekanntermaßen anders ergeben hat als zunächst gedacht, wurden diese Kinder 1990 überstürzt nach der Erklärung der Unabhängigkeit Namibias und in das ihnen unbekannte Heimatland zurückgebracht, als es zum politischen Zusammenbruch der sozialistischen Staaten kam.
Hier angekommen ereilte sie das gleiche Schicksal wie viele (andere) Kriegsvertriebene und Migranten, die zwischen zwei Kulturen aufwachsen: Sie waren orientierungs- und v.a. heimatlos. In ihrem Herkunftsland wurden sie nach anfänglicher Willkommenskultur aufgrund ihrer Sozialisierung als fremd wahrgenommen, in der DDR waren und sind sie dies ohnehin. Zur Verfügung gestellte Finanzierungshilfen kommen nie bei den Kindern an, und Oshiwambo, ihre Muttersprache, haben sie nie gelernt, dafür aber Traditionen eines afrikanischen Landes, das es so nicht (mehr) gibt. Ein Ankommen scheint kaum möglich. Das ständige Auf und Ab ihres Weges, das völlig vom Glück abhängig zu sein scheint, wird durch Spiel das „Schlangen und Leitern“ symbolisiert. Die Identitätskrise der jungen Menschen wird zum zentralen Moment auf der Bühne.
Die hiermit einhergehende Ambivalenz wissen das Produktionsteam und die Beteiligten auf der Bühne hervorragend und überzeugend herauszuarbeiten. Ein rasanter Wechsel von Dialogen zwischen den Jungpionieren und ihren Erziehern sowie Videoinstallationen und musikalischer Untermalung vom Bühnenrand aus (Elemotho, Samuel Brudey Batola) gestalten zugleich Zusammenspiel als auch die innere Zerrissenheit der Protagonisten. Alltägliche Situationen im durchexerzierten Tagesablauf in Bellin werden aufgezeigt: Ausbildungsinhalte, xenophobe Anwandlungen der Menschen in ihrem Umfeld gegen Ende der 80er Jahre, Heimweh und Sehnsucht nach der vertrauten Familie, der die Kinder entrissen wurden u.ä. geben einen umfassenden Einblick in Leben, Freude und Leid der jungen Namibier. Auch die Ausbildung der älteren Kinder, die in der „Schule der Freundschaft“ in Staßfurt unterwiesen wurden und in einem abgeschotteten Stadtteil lebten, bleibt nicht unerwähnt. Besonders bemerkenswert ist, dass die Jungpioniere von den Kindern der Personen gespielt werden, die tatsächlich Teil dieses Erziehungsprojektes waren.
An Authentizität ist das Stück kaum zu überbieten. Auch die eingeflochtenen Gespräche und die Bühnengestaltung – besonders markant treten hier die Sprossenwände zur körperlichen Ertüchtigung der Kinder hervor – beruhen allesamt auf Angaben im Zuge von Interviews und den historischen Recherchen Grünewalds. Die Videosequenzen und projiziertes Bildmaterial untermalen die gesamte Darstellung immer wieder und rundet den dokumentarischen Aspekt ab.
Die Inszenierung erweist sich trotz der aufwühlenden Thematik als überraschend unpathetisch, was sie zu etwas ganz Besonderem macht. Alle Protagonisten überzeugen in ihren Rollen und lösen tiefes Mitgefühl im Publikum aus, ohne dabei die Schilderungen zu überzeichnen. Ganz im Gegenteil, die Regisseure Grünewald/Rudd und die Dramaturgen Ndinomholo Ndilula und Marie Senf haben sich sogar einen ganz besonderen Kunstgriff einfallen lassen, der die jungen Darsteller ganz nüchtern von der Geschichte ihrer Eltern berichten lässt: Sie werden immer wieder durch Kopfhörer instruiert, welche propagandistischen Parolen sie aufsagen sollen. Indoktriniert durch den real existierenden Sozialismus. Die Unstimmigkeit in den Aussagen der ehemaligen Erzieherinnen und den Kindern aus den Gruppen wirken hier bedrückend und ernüchternd – Leugnung und Verdrängung, um sich etwaiger Verantwortung zu entziehen. Die Darsteller zeigen auf beeindruckende Weise, welch geringen Wert ein einzelner Mensch in einem System hat, dessen Wunschvorstellung ein geordnetes Kollektiv der Genossen ist, und verleihen so den Betroffenen gekonnt eine Stimme. Diese klagt nicht an, sie erduldet aber auch nicht ohne weiteres, sondern möchte schlichtweg gehört werden.
Tiefe Rührung machte sich angesichts dieser schauspielerischen Leistung im Publikum breit. Drei der jungen Namibierinnen bedanken sich für die Möglichkeit, sich auf diese Art und Weise mit der Vergangenheit ihrer Mütter, auf deren Werdegänge sie sehr stolz seien, auseinander zu setzen. Es handelt sich um eine gelungene Aufarbeitung von Biographie und Geschichte zugleich, die den lange anhaltenden Applaus am Ende mehr als verdient hat.
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Oshi-Deutsch – Die DDR-Kinder von Namibia am Theater Osnabrück | Foto (C) Uwe Lewandowski
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Sina-Christin Wilk - 29. Mai 2016 ID 9349
OSHI-DEUTSCH - DIE DDR-KINDER VON NAMIBIA (emma-theater, 27.05.2016)
Inszenierung: Gernot Grünewald und Sandy Rudd
Bühne: Michael Köpke
Kostüme: Cynthia Schimming
Dramaturgie: Ndinomholo Ndilula und Marie Senf
Projektleitung: Anja Deu und Sandy Rudd
Musik: Elemotho und Samuel Brudey Batola
Mit: Helouis Goraseb, Ndinomholo Ndilula, Beatrix Munyama, Anne Hoffmann, Rébecca Marie Mehne, Oliver Meskendahl, Sabrina Kaulinge, Shakira Ntakirutimana, Gia Shivute, Adam Eiseb und Mbitjita Tjozongoro
Uraufführung am Theater Osnabrück: 27. Mai 2016
Weitere Termine: 1., 8., 10., 14., 16., 17., 21. 6. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-osnabrueck.de
Post an Sina-Christin Wilk
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