Hübsche, kleine Tragikomödie
JEDE STADT BRAUCHT IHREN HELDEN von Philipp Löhle
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Bewertung:
Eigentlich dachte man, die Zeit für Helden in Strumpfhosen sei längst vorbei. Aber weit gefehlt. Theaterautor Philipp Löhle lässt - nach einigen Stücken, in denen er noch Sympathien für moderne Antihelden (Marke Genannt Gospodin oder Die Überflüssigen) hegte - den echten Super Hero in seinem neuen Stück Jede Stadt braucht ihren Helden, das er für das Deutsche Theater Berlin geschrieben hat, wieder auferstehen. Die Uraufführung in der Box des DT besorgte (wie schon bei Löhles Globalisierungsstück Das Ding) Regisseurin Daniela Löffler.
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„Ich weiß zwar nicht, wer hier gegen wen kämpft, aber Krieg kommt von kriegen, und irgendjemand kriegt seiner Meinung nach zu wenig.“ Das in etwa ist der Grundtenor des Stücks, in dem Autor Löhle die heutige Welt zunächst mal in allen Schattierungen alltäglicher Gewalt ausmalt. Dazu lässt Daniela Löffler die DarstellerInnen immer wieder über den Überfall in eine Spielbank, ein herbeigeführtes Zugunglück, diverse Wohnungsdiebstähle, gewaltsame Streitigkeiten zwischen Ex-Ehepartnern oder Mord und Totschlag an einer Bearbeiterin im Jobcenter bzw. dem Mitarbeiter eines Landratsamts berichten. Die Psychologie der Aggression als eine Form der Kommunikation bekommt der Zuschauer in Löhles Text gleich mitgeliefert. Ein andauernder Dialog mit dem Schmerz, bis die Schmerzgrenze für einen der Partner überschritten ist. Wobei Gewalt natürlich nicht nur körperlich, sondern auch psychisch durch Ausgrenzung, Ablehnung, Demütigung oder Ignoranz ausgeübt werden kann.
Nun hat Löhle aber bei weitem keine düstere Anthologie der Welt des Schmerzes verfasst. Die eingestreuten Prosatexte - u.a., wie es eigentlich in der Menschheitsgeschichte zur Herausbildung des Eigentums kam - bilden hier den Verweis oder auch eine Art gedankliche Metaebene zur Wirklichkeit. Ansonsten arbeitet der Autor wie immer mit Elementen der Komik und Ironie und verpackt seine Kritik an den herrschenden Eigentumsverhältnissen und Verteilungsungerechtigkeiten unserer Gesellschaft in eine hübsche, kleine Tragikomödie über zwei Mitarbeiter einer Firma für Sicherheitstechnik, die sich ihre schmale Kasse mit kleineren Gaunereien und Diebstählen nach dem Prinzip "erst Schloss einbauen, dann wieder knacken" aufbessern. Dabei scheint dann beim letzten Bruch einiges schief gelaufen zu sein.
Jedenfalls hat Daniel (Timo Weisschnur), einer der beiden Kleinganoven, auf der Flucht seine Jacke mit dem Wohnungsschlüssel verloren und steht nun selbst etwas hilflos vor seiner verschlossenen Wohnungstür. Eine tolle Gelegenheit mit der Nachbarin Ella (Wiebke Mollenhauer) anzubändeln, die Daniel ganz offensiv zum Kaffee zwecks Kennenlernen einlädt. Da Chef Jörg (Christoph Franken) die Tür mangels passendem Werkzeug einfach eintritt, steht Ella nun selbige immer offen, was die junge Frau auch weidlich ausnutzt, nicht ohne Nachbar Daniel auch als Sicherheitsfachmann für ihre Kunstgalerie zu engagieren. Zu sichern gäbe es dort u.a. ein angeblich sehr wertvolles diamantbesetztes Hühnerei vom Superkünstler Rush - wer auch immer das sein mag.
Die ziemlich misstrauische Alma (Lisa Hrdina), eine Kollegin von Jörg und Daniel, vervollkommnet schließlich das Personal in Philipp Löhles Heldenstück zum Quartett Infernale. Sie trifft in Daniels leerer Wohnung auf die etwas undurchsichtige Ella und entwickelt, nachdem sie auch noch Zeugin wird, wie ein brutaler Tarantino-Typ im Anzug (UdK-Student Eric Wehlan) ihren Chef Jörg malträtiert, eine regelrechte Paranoia. Dazu beginnt Alma sich nach und nach einen eigenen Super Hero zu imaginieren, wobei nun die Fantasie kräftig mit ihr und der Inszenierung durchgeht. Der abends ständig abwesende Daniel mutiert in den Augen Almas zum Retter Veto in enganliegenden Strumpfhosen, Umhang und Glitzer-V auf nackter Brust. Und das von Jens immer wieder wie ein Mantra vorgetragene Motto, das alles gut würde, nimmt nun tatsächlich Gestalt an.
Regisseurin und Ausstatterin (Sigi Colpe) packen das in schöne, überdrehte Bilder. Von der Decke hängen schwarze Müllsäcke, die nach und nach aufgeschlitzt, passende Requisiten, Styroporkugeln oder anderes freigeben. Das spielfreudige Ensemble hängt sich mit Körper, Stimme und viel Elan mächtig rein. Superheld Daniel stemmt sich gegen einen Zug aus Müllsäcken, rettet Leben, verteilt Deo, Klopapier und Hustenbonbons. Dazu schmachtet Eric Carmen sein "All By Myself" vom Band. Doch die romantischen Träume platzen wie die aufgeblasenen Luftballons und die Würde des Menschen ist wieder antastbar.
Die Handlungsfäden laufen schließlich zielgerichtet in Ellas Galerie zusammen, wo Jens und Daniel im Trockeneisnebel mit Taschenlampen bewaffnet dem Glitzer-Fake-Ei der Erkenntnis auf der Spur sind und die verkappte Zielfahnderin Ella schon auf sie wartet. Dass die Geschichte nicht so ausgeht, wie es sich die beiden verzweifelt herumfunzelnden Einbrecher oder die sich aus Angst vor dem Draußen in ihre Wohnung einschließende Alma vorstellen, ist vorprogrammiert. Auch wenn sie sich schließlich selbst in eine V-Woman verwandelt, wird das Alma nicht mehr aus ihrer Angst-Isolation befreien. Die Realität lässt sich nicht aussperren. Wir sind gemeint und gefordert im alltäglichen Leben. Zumindest das will uns Philipp Löhles Stück über modernes Real-Life-Heldentum sagen.
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Stefan Bock - 24. Mai 2015 ID 8662
JEDE STADT BRAUCHT IHREN HELDEN (Box, 20.05.2015)
Regie: Daniela Löffner
Bühne / Kostüme: Sigi Colpe
Dramaturgie: Ulrich Beck
Mit: Timo Weisschnur, Christoph Franken, Lisa Hrdina, Wiebke Mollenhauer und Eric Wehlan
Uraufführung in der DT-Box war am 20. Mai 2015
Weitere Termine: 10., 26., 29. 6. 2015
Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/
Post an Stefan Bock
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