Baby, das Drama ist weg
René Pollesch nimmt in seinem neuen Stück CAROL REED im Wiener Akademietheater die Bedeutung aus den Dingen raus
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Bewertung:
Wer bei den diesjährigen Wiener Festwochen ein wenig das gute alte Sprechtheaterformat vermisst, ist im Burgtheater immer noch gut aufgehoben. Genauer gesagt in der Nebenstelle für neue Dramatik, dem Akademietheater. Bereits seit einigen Jahren ist hier auch der Diskurstheaterspezialist der Berliner Volksbühne, René Pollesch, aktiv. Vorzugweise mit dem Dream-Team Minichmayr-Wuttke, die nicht erst seit Simon Stones Festwochen-Hit John Gabriel Borkman die kleine Bühne in der Lisztstraße rocken. Was natürlich auch gerade in Wien immer ein Garant für ein volles Haus ist.
Für sein neues Wiener Stück Carol Reed recycelt Pollesch mal wieder sein altes Thema der Repräsentation. Fühlte sich Martin Wuttke mit seinen Mitstreitern im Volksbühnen-Diskurs-Zweiteiler noch im falschen Bühnenbild, so ist die Bühne am Akademietheater schlicht und ergreifend leer. Nur eine Batterie Scheinwerfer und Spotlights scheint ein reges Eigenleben zu führen und fährt an mehreren Prospekten befestigt rauf und runter, als tanze es ein kleines Scheinwerfer-Ballett.
Die Bühnenbildnerin Katrin Brack, heißt es, sei mit dem Bühnenbild durchgebrannt. Die mit mondänen Abendroben aufgedonnerte Party-Gesellschaft steht sichtlich ohne Möbel und Plan da und weiß nicht so recht wie es weiter oder erst einmal richtig losgehen soll, wie die DarstellerInnen-Riege (neben Martin Wuttke und Birgit Minichmayr sind das noch Irina Sulaver und Tino Hillebrand) nicht müde wird immer wieder festzustellen. Ein weiterer Running Gag des Abends ist der sogenannte MacGuffin, „der von Alfred Hitchcock geprägte Begriff für mehr oder weniger beliebige Objekte oder Personen, die in einem Film meist dazu dienen, die Handlung auszulösen oder voranzutreiben, ohne selbst von besonderem Nutzen zu sein.“ (Quelle Wikipedia)
Diese These treibt nun das Quartett in wie bei Pollesch üblicher offener Rollengestaltung, wechselnden Situationen und Kostümen den ganzen Abend über an. Das Scheinwerferballett bietet dazu einen sogar wörtlich genommenen Aufhänger. Wuttke fühlt sich von den eigentlich leblosen Spots beobachtet, sie reagieren auf Ansprache und lassen sich auch mal herzen. Pollesch verknüpft den MacGaffin-Effekt aus der Filmdramaturgie mit dem Liebesleben der ProtagonistInnen, die sich mal völlig verzweifelt vor dem Selbstmord und dann wieder unbeschreiblich glücklich fühlen.
Nun sucht man selbst ständig nach dem Ding, dass die Geschichte in Gang bringen würde. Nur müsste dafür auch die Bedeutung aus den Dingen rausgenommen werden. Die unentwegte Aufladung mit Bedeutung ist es, was dem Verstehen von Darstellung und eigentlichem Gefühl im Wege steht. Man ist nicht das, was man zu sein scheint oder vorgibt zu sein. Also das typische Repräsentationsproblem des Theaters. Das Quartett führt das an einigen witzigen Beispielen auf, wie einem vergeblichen Opernbesuch von Mussolini und Hitler, der die Weltgeschichte auch nicht zu ändern vermochte, oder der Polizeiaktion beim Räumen des alternativen Wohnprojekts „Pizzeria-Anarchia“ in der Leopoldstadt. Man müsse sich Hilfsmittel zulegen, sein wahres Ich zu zeigen, oder was man nicht ist.
Diese Endlos-Diskursschleife zieht sich nun über knapp 90 Minuten hin, nur unterbrochen durch die üblichen Musikeinspielungen wie dem Super-Hit Trouper lights are gonna find me von den in Österreich immer noch sehr beliebten ABBA oder dem Barbarella-Soundtrack It's a wonder, Wonder woman, zu dem alle in orangenen Raumanzügen an einem riesigen Joint ziehen. Weiter geht’s im 60th Glitzeroutfit, nur hat das Team mit dem Joint im Dauerbodennebel nicht nur sämtlichen Sinn aus der Sache rausgeblasen, sondern sich auch noch in einen wahren Dauer-Laberflash hineinmanövriert.
Dass es nebenbei auch um den im Wiener Untergrund spielenden Agententhriller Der dritte Mann vom titelgebenden Regisseur Carol Reed gehen könnte, ist ebenso nebensächlich wie die im Programmheft angegebenen Theorietrigger Lacan in Hollywood von Slavoj Žižek oder die französische Liebeskomödie Ein Elefant irrt sich gewaltig von Yves Robert, auf die natürlich immer mal wieder in Szenen angespielt wird. Pollesch frönt hier seiner Liebe zum Kino, wie Wuttke und Minichmayr ihrer zu darstellerischer Übertreibung und Slapstick. Da wird selbst noch ein Schluckauf Wuttkes zum Ereignis. Wir hätten es gern langweilig und aufregend zugleich, ist der Tenor Polleschs nicht erst seit diesem Stück. Trotz allem Witz ist das Drama raus, Baby, und die gerauchten Kippen liegen im großen Ascheeimer auf der Bühne. Man darf trotzdem auf René Polleschs nächsten Berliner Streich Dark Star, der bald in diesem und letzten Volksbühnen-Monat Premiere hat, gespannt sein.
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Stefan Bock - 2. Juni 2017 (2) ID 10060
CAROL REED (Akademietheater, 01.06.2017)
Regie: René Pollesch
Bühnenbild: Katrin Brack
Dramaturgie: Eva-Maria Voigtländer
Kostüme: Tabea Braun
Licht: Michael Hofer
Mit: Birgit Minichmayr, Irina Sulaver, Martin Wuttke und Tino Hillebrand
Uraufführung am Burgtheater Wien: 29.04.2017
Weiterer Termin: 28.06.2017
Weitere Infos siehe auch: http://www.burgtheater.at
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