DARK STAR
René Pollesch und seine Drei Amigos surfen zum allerletzten Mal in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zum Sound der Beach Boys auf der kalifornischen Psychedelic-Welle
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Bewertung:
Die Beach-Boys-Legende Brian Wilson ist am 20. Juni 75 Jahre alt geworden, und René Pollesch (die Diskurs-Legende der Volksbühne) hat ihm ein Stück zum Geburtstag geschrieben. So möchte man meinen, wenn man die heiligen Hallen zu einem der vielen Endspiele dieser letzten Spielzeit im Haus am Rosa-Luxemburg-Platz betritt und mit dem easy Surf-Sound aus dem sonnigen Kalifornien der 1960er Jahre begrüßt wird. Dazu dreht eine kleine Raumkapsel mit Volksbühnenstar Martin Wuttke an Bord ihre Dauerschleife auf der großen leeren Bühne mit dem schwarzen Glitzervorhang von Bert Neumann. Wuttke kreiselt zu God Only Knows und zieht genüsslich an einem Joint. Die bewusstseinserweiternden Drogen gehörten zum Lebensstil der kalifornischen Hippies wie die psychedelische Musik. Die Beach Boys spielten da schon eher Mainstream-Pop für die surfenden College-Boys. Was Alkohol und Drogen betraf, standen sie ihren Musiker-Kollegen aus San Francisco oder L.A. allerdings in nichts nach.
René Pollesch zieht die Kreise aber noch etwas weiter. Inhaltlich gesehen geht es neben dem Gesetz der Serie (wir erinnern uns an den Volksbühnen-Diskurs: es beginnt erst bei drei) vor allem um den Zusammenhang der Hippies mit den Computer-Nerds und Technologie-Freaks aus Palo Alto im kalifornischen Silicon Valley. Und das sind Diskurswellenbewegungen der ganz besonderen Art, die unsere drei Amigos aus den beiden ersten Pollesch-Teilen zum dritten und letzten Mal hier zusammengeführt haben. Und neben Martin Wuttke sind wieder Milan Peschel und Trystan Pütter mit an Bord. Letzterer führt sich dann am Seil hängend gleich als großer Wellenreiter zum Good-Vibrations-Sound der Beach Boys ein. Surfen ist ein großer Aufhänger des Abends und die Pazifikküste die „letzte Grenze der westlichen Welt“, an deren Mauer im 20. Jahrhundert die Welle bricht und als Welle der technologischen Expansion zurückschwappt. Ideen werden zur Ideologie.
Lose angelegt ist die Handlung an die Science-Fiction-Parodie Dark Star von John Carpenter aus dem Jahr 1974, die gleichzeitig eine Hommage an Stanley Kubricks Kultfilm 2001: Odyssee im Weltraum ist. Seit 20 Jahren schwebt das Raumschiff Dark Star auf der Suche nach instabilen Planeten durchs All, um diese zu zerstören und fremde Galaxien zu kolonisieren. Dazu hat Barbara Steiner neben dem kleinen Raumgleiter ein containerartiges Raumschiff gebaut, in dem sich die Dark-Star-Besatzung immer wieder zum Philosophieren zurückzieht. In guter Castorf-Manier werden die Bilder aus dem Inneren via Live-Kamera auf die Außenhaut des Containers übertragen. Auch die intelligente Bombe Nr. 20 gibt es, mit der man versucht zu kommunizieren, um ihre Explosion zu verhindern, was allerdings ins Diskurschaos führt und die Vorstellung, dass entgegen der Erschaffung auch die Zerstörung von Welten ein interessantes Potential haben kann, wenn man das eigene Ende, mit dem Ende der Welt synchronisieren kann. Dr. Strangelove lässt grüßen.
Und Pollesch baut nach eigenem Gusto noch weitere Verweise ans Science-Fiction-Kino ein. Die frühe Pollesch-Ikone Christine Groß spielt einen Bordcomputer namens „Mutter“, den Filmcracks sicher aus Ridley Scotts Horrorstreifen Alien kennen, zu dem Carpenter-Mitstreiter Dan O’Bannon das Drehbuch schrieb. So schließt sich der Kreis und öffnen sich Diskursräume, in die die drei Space-Cowboys zu Wouldn't It Be Nice stoßen. Es surfen mit: Boris Groys, Donna Haraway und Diedrich Diederichsen, dessen Theorien über Kalifornien und das Verschwinden des Außen als einer der Diskursanreger dient. Recht selbstironisch nimmt man sich im Blick zurück aus dem All auf den blauen Planeten als völlig losgelöst von der Welt war, in einem Außen, das es scheinbar nicht mehr gibt. „Die Suche nach dem Außen, der Wille zur Expansion“ sei ungebrochen, führe aber nur in „psychedelische Innenwelten“, dem Ausbau des eigenen Kopfes. Daher: „Don`t look back!“
Die bewusstseinserweiternde Droge heißt heute Internet. Dazu gibt es Witze zu Trump, einem Hippie auf Twitter. Und es führe „eine direkte Linie von der Manson-Family zu Facebook“. Aber es gibt auch wieder Seitenhiebe in Richtung Dercon. Etwa wenn Wuttke „Die Saison 17/18 findet nicht statt. Ist das von Baudrillard?“ fragt, oder den künftigen Intendanten angelehnt an das ballförmige Alien-(„Exoten“)-Maskottchen der Dark-Star-Crew „belgisches nichtsnutziges Hüpfgemüse“ nennt. Auch versucht Wuttke mit allerhand Scherzartikeln für gute Stimmung zu sorgen. Allerdings sind die Good Vibrations der Beach und unserer drei Outer-Space-Boys bald aufgebraucht und es macht sich eine Art Weltraumkoller im Inneren des Raumschiffs breit. Man bekommt sich zunehmend in die Haare und Bord-Computer „Mutter“ beginnt alle verbalen und gestischen Beleidigungen zu löschen.
Melancholie macht sich breit und die Zweifel am Fortbestehen der Liebe kulminieren in Wuttkes Frage: „Wo geht ihr denn jetzt hin?“ Nach etwas diskursivem Leerlauf erklingen dann aber zum Verglühen im Sternennebel mit I get Around wieder etwas fröhlichere Schlussakkorde im nun wirklich allerletzten Pollesch-Streich an der Volksbühne ever. Es kann an diesem Ort keine neue Premiere mehr geben, oder nur noch bombensichere, wie man witzelt. Wir werden das trotzdem vermissen. Um René Pollesch selbst muss man sich indes keine Sorgen machen. Er inszeniert ja längst an anderen Orten wie Hamburg, Wien, Zürich und demnächst, wie es heißt, auch am Deutschen Theater in Berlin.
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Stefan Bock - 21. Juni 2017 ID 10098
DARK STAR (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 19.06.2017)
Regie: René Pollesch
Raum: Bert Neumann
Bühne: Barbara Steiner
Kostüme: Nina von Mechow
Licht: Frank Novak
Kamera: Ute Schall
Ton: Gabriel Anschütz, Klaus Dobbrick
Tonangel: William Minke
Soufflage: Tina Pfurr
Dramaturgie: Anna Heesen
Mit: Christine Groß, Milan Peschel, Trystan Pütter und Martin Wuttke
Uraufführung war am 9. Juni 2017.
Letzter Termin: 22.06.2017
Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne-berlin.de
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