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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Betört vom

Zauber der

eigenen

Stimme


ICH KANN NICHT MEHR
von René Pollesch


Ich kann nicht mehr von René Pollesch am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Thomas Aurin

Bewertung:    



René Pollesch - Altmeister der Reflexionsbude, hat auch hier über das Denken hinaus geschossen. Wir wissen: Volksbühne Berlin, politisches Theater - und können in Hamburg gespannt sein, wie es ankommt am Deutschen Schauspielhaus.

Es wird auf jeden Fall viel geredet, auch durcheinander, und so viel ist klar, dass man hier nichts verstehen soll und kann. Schnell denkt man an Klamauk, weil am Anfang ist ja wohl jeder skeptisch, Lacher werden gesetzt, Service am Publikum? Nein! Mitnichten! Es ist ein ganz ernst gemeintes Spiel; haushohe Kanarienvögel werden stimmungsvoll über die Bühne geschoben und proben mit 18 weiblichen Guerillakämpferinnen den Aufstand; sie schreien perfekt-gemeinsam: "Ich bin ein Mann! Hast du das kapiert?!"

Alles kommt dann irgendwie dumm daher. Gespräche überlagern sich, weil der Chor der Armee immer lauter wird, Spannung baut sich auf. Und wegen der Geräuschkulisse hört man auch immer nur sich selbst reden, wie im leeren Raum umgeben von Wänden. Da bekommt jeder Angst vor seinen eigenen dunklen Schatten, denkt aber, es sind die der anderen, und labert sinnlos drauf los. Dabei geht es einzig und allein darum, die Leere zu füllen. Leere, wie gesagt, mit zwei "e"!

Ohh, das Höhlengleichnis von Platon wird zitiert! Da bekommen wir gesagt, Menschen machen sich was vor, Sinne sind trügerisch, und die Wirklichkeit sei nur mit geistiger Bildung zu finden. Auch geht es um ein gemeinsames Bemühen, dem Denken eine Richtung zu geben. Gibt es überhaupt Dialoge, wird nicht nur laut gedacht?

Schafft es das kommunistische Kollektiv um Marx, Lenin, Che Guevara und Mao Tse Tung, politisch korrekte Utopien zu verwirklichen, oder ist das pure Nostalgie?

Es gibt da wichtige Bücher wie z.B. Das Grosse Flaggenalphabet. Und zugleich tanzen uns die Damen, ähhh, Männer mit roten Fähnchen eins vor.

Diese Geschichte ist wirklich schön absurd. Man könnte denken, Revolutionäre sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Am Anfang stellte man sich auch vor, wenn Hitler und Mussolini gemeinsam die Zauberflöte gesehen hätten … täten, wäre kein Zweiter (oder Dritter) Weltkrieg passiert.

Da rollen sie wieder an, die Vögel aus der unwirklichen Fantasiewelt, uns Utopie und Freiheit zu verkünden. Sie sind mit Übergröße gut für die trügerische sinnliche Wahrnehmung, auf dass das Licht der Erkenntnis und Klarheit uns anheim falle. Denken Sie doch, meine Damen und Herren, alles wäre nur Kinderkram! Da ist das persönliche Drama und die kleinbürgerliche häusliche Liebe nicht besser.

Kennen Sie das, wenn ihr Partner immer ausgerechnet dann mit Ihnen reden will, wenn sie sich die Zähne putzen? Ich meine, da hört man doch nichts. Oder wenn mein Vater immer in seinem Sessel saß und rauchte, hieß es "Laß ihn in Ruhe, er denkt!"

Also, Drama oder Nicht-Drama, das ist hier die Frage. Und Fragen sind besser als Antworten.

Das revolutionäre Ballett ist auf jeden Fall perfekt choreographiert und 100 Prozent im Gleichschritt, außerdem sind die reizenden Damen im sexy Military-Look ausgestattet worden. Sie müssen dann auch als Projektionsfläche herhalten, mal Kind, mal Nachbar, mal Penner; immer unpassend. Und es knallt nur so mit Texten im Gleichschritt. Die Mutter im kanariengelben Flatterkleid (Kathrin Angerer) stöhnt mit dem allseits wichtigen Satz: "Ich kann nicht mehr!" Aber sie stört 'ne Menge. Wir selbst kennen doch auch das hausgemachte Drama. Und beim Reden kommt nichts dabei heraus. Jeder redet doch nur zu sich selbst. Ich wiederhole mich. Ich höre mich schon selber reden. Das muss doch einen tieferen Sinn haben! Und sei es darum, nur einmal an mich selbst zu denken.

Ja, ich bin betört vom Zauber meiner eigenen Stimme.

Wer jetzt etwas Anspruchsvolleres und Längeres gesucht hat, sollte sich Hamlet angucken.



Ich kann nicht mehr von René Pollesch am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Thomas Aurin

Liane Kampeter - 1. März 2017
ID 9878
ICH KANN NICHT MEHR (Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 25.02.2017)
Regie: René Pollesch
Bühne: Wilfried Minks
Künstlerische Mitarbeit Bühne: Eylien König
Kostüme: Tabea Braun
Licht: Holger Stellwag
Künstlerische Leiterin des Chores: Christine Groß
Dramaturgie: Sybille Meier
Souffleuse: Victoria Voigt
Mit: Kathrin Angerer, Sachiko Hara, Bettina Stucky, Daniel Zillmann. Und im Chor: Svea Bein, Julia Buchmann, Saskia Corleis, Alica Dietzel, Lillo Aline Dönselmann, Hannah Rebekka Ehlers, Laura Ehrich, Laura Eichten, Verena Gerjets, Lucie Anabel Gieseler, Veronika Hertlein, Nina Jacobs, Tabita Johannes, Raffaela Kraus, Helene Krüger, Luise Leschik und Klaudija Parizoska
Uraufführung war am 25. Februar 2017.
Weitere Termine: 04., 09., 30.03. / 16.04.2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielhaus.de


Post an Liane Kampeter

http://www.liane-kampeter.de

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