Der Schweiß
von Schimanski
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mein deutsches deutsches land von Thomas Freyer - uraufgeführt am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Matthias Horn
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Bewertung:
Es ist alles schon gesagt.
Nein, ich will nicht auf den alten Kalauer „aber noch nicht von mir“ hinaus. Es ist wirklich fast alles schon geschrieben worden zu diesem Stück, das vor knapp vier Wochen Premiere hatte, auch in der Süddeutschen, auf nachtkritik.de, im Deutschlandfunk und in der taz wurde – völlig zu Recht – gejubelt. Mir bleiben da nur noch einige Anmerkungen zu Dingen, die ich nicht ganz gelungen fand.
Aber zuvor will ich gern attestieren, dass Thomas Freyer (mein deutsches deutsches land) mit den drei sich gegenseitig überblendenden Zeitebenen, dem steten Wechsel zwischen zwei nur auf den ersten Blick spartanischen Bühnenhälften (Karoly Risz) und den knapp dreißig Rollen, in die die sechs Schauspieler in atemberaubender Geschwindigkeit schlüpften, eine großartige Stückkonstruktion gelungen ist, dass sowohl Musik (Jörg-Martin Wagner), Licht (Andreas Barkleit) als auch Video (vermutlich dem Regisseur Tilmann Köhler zuzuordnen) die Aufführung kongenial begleiteten, dass die Damen der Garderobe (Kostüme: Barbara Drohsin) und der Maske sowie die Techniker hinter der Bühne Schwerstarbeit leisteten, aber auch die Schauspieler dramaturgisch geschickt mit zupackten, dass die offenen Szenenwechsel und die bespielten Übergänge ganz großes Theaterhandwerk waren, dass die Schauspielerinnen Ina Piontek und Lea Ruckpaul (die ihre Rollen in Dresden bislang durchweg zu Ereignissen machte) und die Schauspieler Thomas Braungardt, Matthias Luckey, Jonas Friedrich Leonardi und Kilian Land das Kunststück vollbrachten, das wirklich Schwere unglaublich leicht aussehen zu lassen, undundund...
Nur changierte die eigentliche Handlung des Stücks manchmal derart zwischen Doku-Drama, einschlägigen Hollywood-Klassikern wie Die Unbestechlichen und dem Tatort, dass man den Schweiß von Schimanski förmlich riechen konnte - und seine Bierfahne gleich mit. Zu simpel war das Geschehen in Gut und Böse unterteilt, zu sehr bediente man sich der gängigen Versatzstücke (sogar ein Schuss Liebe ist im Spiel bei den Ermittlern), zu wild war die These vom allmächtigen Verfassungsschutz, der auf Geheiß des Ministers und späteren Bundeskanzlers alles vertuscht, zu sehr erinnerte das Ende der Nazi-Terroristen an das Untertauchen der RAF in der DDR, als dass man den Plot für wirklich glaubwürdig halten könnte. Ich glaube, der Autor überschätzt nicht nur die kriminelle Energie in Politik und Staatsapparat, sondern vor allem die Effizienz der damit befassten Behörden. Wenn man ein wenig in deren Kompetenzdschungel hineinleuchtet, weiß man, dass die einzelnen Gliederungen für sich kaum handlungsfähig sind. „Organverschulden“ ist hierfür die richtige Bezeichnung, doch dieses Thema blieb zumindest für mich unerkannt.
Auch zur Motivation der drei anfangs halbwegs „normalen“ Jugendlichen, in den Untergrund zu gehen und eine Mordserie zu beginnen, erfuhr man trotz ausführlicher Bebilderung nicht viel. Bürgerliche Elternhäuser, Ablehnung statt Hilfe bei den ersten Signalen, Verbote und Hilflosigkeit... - gut, aber allein dadurch wird man nicht zum Mörder. Schon eher durch einen unheilvollen, sich selbst verstärkenden Gruppenzwang, der vom Trio Ruckpaul, Leonardi und Land dann auch präzise gespielt wurde.
Schließlich fand ich auch die klischeegerechte Typisierung des Chefs der Ermittler als sportfixierten und karrieregeilen Hanswurst nicht hilfreich, das schien eher dem Werkzeugkasten der Fernsehunterhaltung entnommen.
Dennoch, trotz aller Mäkeleien: Ein sehenswertes, gelungenes und wichtiges Stück, mit hohem Tempo, perfektem Technikeinsatz und beeindruckendem Spiel. Das sei gern noch einmal wiederholt.
Dramaturg Robert Koall hat in seiner lesenswerten Einführung mit dem großartigen Titel Kollusionsschäden geschrieben, dass das Stück eine Antwort auf das unerträgliche Schweigen sei. Hm. Ich glaube generell nicht, dass Theater Antworten liefern kann. Es ist schon viel erreicht, wenn es die richtigen Fragen stellt. Und das ist hier zweifellos der Fall.
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mein deutsches deutsches land von Thomas Freyer - uraufgeführt am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Matthias Horn
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Sandro Zimmermann - 10. Januar 2015 ID 8349
MEIN DEUTSCHES DEUTSCHES LAND (Kleines Haus 2, 30.12.2014)
Regie: Tilmann Köhler
Bühne: Karoly Risz
Kostüme: Barbara Drosihn
Musik: Jörg-Martin Wagner
Dramaturgie: Robert Koall
Licht: Andreas Barkleit
Besetzung:
Joachim Wolff / Dr. Degen / Günther / Martin ... Thomas Braungardt
Florian / Minister Nöde / Florians Vater / Dagmar / Luchtmann ... Kilian Land
Dominik / Matthias Meischert / Sarahs Mutter / Polizist / Hoffmann ... Jonas Friedrich Leonhardi
Schmissert / Konstantin Pohl / Sarahs Vater / Herr Fleischner / Polizist / Einer ... Matthias Luckey
Miriam Stotzner / Niedenberg / Dominiks Mutter / Frau Riemscheit / Polizistin ... Ina Piontek
Sarah / Journalistin / Psychologin / Polizistin ... Lea Ruckpaul
Uraufführung war am 4. Dezember 2014
Weitere Termine: 12., 24. 1. / 6., 21., 24. 2. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de
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