Lost
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Communication
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Eigentlich schön von Volker Schmidt am Schauspiel Leipzig - Foto (C) Rolf Arnold
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Bewertung:
Gilt ein klingelndes Handy im Theater normaler Weise als No-Go und steckt das Twittern im Tempel der Hochkultur noch immer in den Kinderschuhen, ist das Mobiltelefon nun fast in den Rang des Hauptdarstellers oder zumindest zum wichtigsten Requisit der neusten Studioinszenierung des Schauspiels Leipzig aufgestiegen. Auf theatertexte.de als Stück über die „Generation Rollkoffer“ angekündigt, ist Eigentlich schön vom österreichischen Autor, Regisseur und Schauspieler Volker Schmidt eigentlich eher das Stück zur Generation Smartphone, die sich zusehends in sozialen Netzwerken und anderen Arten der Internet-Kommunikation verliert, immer flexibel auf dem Sprung ist und sich nie festgelegt. Schauspieler und Regisseur Bruno Cathomas hat das Stück nun mit sechs Studierenden des Schauspielinstituts „Hans Otto“ der HMT Leipzig in der kleinen Spielstätte Diskothek zur Uraufführung gebracht.
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Eigentlich schön am Schauspiel Leipzig - Foto (C) Rolf Arnold
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„Blablabla” - Das Ensemble läuft sich zunächst zu elektronischer Beschallung warm und repetiert das Hashtag-Vokabular und die üblichen Slogans des World-Wide-Webs. Auf Facebook, Twitter und Skype herrscht die digitale Dauer-Logorrhoe und verklebt sämtliche Kanäle. Und die Gründe dafür sind natürlich vielgestaltig. Die sechs jungen Menschen um die dreißig in Schmidts Stück sind zumeist irgendwie kreativ unterwegs. Heute Berlin, morgen Konstanz und übermorgen vielleicht New York oder Mumbai. Ihre Fernbeziehungen erschienen ihnen dabei wie reine Zweckbündnisse. Sie sind nur noch zusammen aus der Angst vor Trennung und dem Alleinsein. Und daraus generiert sich nun eine ganze digitale Kommunikationsindustrie nebst ihren bekannten Risiken und Nebenwirkungen, die Schmidt natürlich auch als Schmierstoff für den Fortgang seiner schnellen Beziehungsdramatik nutzt.
Das Paar Magda (Stefanie Schwab) und Eike (Erik Born) lebt in einer solchen Fernbeziehung. Wobei beide es nicht so ganz genau mit der Treue nehmen, sich in Emails und Chats mit dem Partner oder anderen Personen aus dem weiteren Freundeskreis immer wieder in Ausreden, Lügen und ihren Phantasien verstricken. Magda fliegt aus Verzweiflung über ihr tristes Leben nach New York zum kompromisslosen Musiker Kurt (Loris Kubeng), den sie in einem Internetchat kennengelernt hat, Eike im Glauben lassend, sie wäre beruflich in Mumbai. Der nutzt die Gelegenheit, um mit dem etwas naiven angehenden Fotomodel Annika (Lara Waldow) anzubändeln. Ergänzt wird das Quartett über Kreuz noch durch den Wahrheitsfanatiker und schwulen Fotografen Jonathan (Brian Völkner) sowie die beruflich erfolgreiche und alleinerziehende Anne (Andreas Dyszewski in einer herrlich genderübergreifenden Travestienummer), die ihre Einsamkeit durch eine aufgesetzte bürgerliche Fassade mit Haus und Garten kompensiert.
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Eigentlich schön am Schauspiel Leipzig - Foto (C) Rolf Arnold
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Die vertrackte Situation der ProtagonistInnen erzeugt natürlich so manche Gelegenheit für Wortwitz, Verwechselungskomik und Slapstick. Ein gefundenes Fressen für Regisseur Cathomas und seine sechs DarstellerInnen. So wie Autor Schmidt seinen Text auf besondere Weise der schnelllebigen Kommunikation im Netz angepasst hat, treibt das Geschehen auf der von Hugo Gretler mit drei verfahrbaren Videowänden, einem Garderobenständer für das schnelle Umkleiden (Kostüme: Agathe MacQueen) sowie Getränkeautomat und -kühlschrank ausgestalteten Bühne fast pausenlos ins Groteske. Dadurch, dass sich die SchauspielerInnen ständig selbst mit Handykameras filmen, werden die Spielszenen auf den Videoleinwänden noch zusätzlich verdoppelt. Kleine Ruhepunkte setzen kurze Monologe, in denen die Figuren über ihr Leben, Ängste und Träume reflektieren. Niemand fühlt sich hier wirklich wohl in seiner Haut.
Eigentlich schön wird zu Floskel für die Lebens-, Liebes-, und Beziehungslügen aller. In einem großen, finalen Moment der Wahrheit bei der alkoholschwangeren Wohnungseinweihungsfete des wieder zueinandergefunden Paares Magda und Eike platzt der Traum von Glück, Solidität und einem selbstbestimmten Leben wie eine Seifenblase. Da niemand gelernt hat, ehrlich mit dem anderen zu kommunizieren, zerreißt das Netz der digitalen Kommunikation schließlich an der Realität, da es nichts einfangen kann, was wirklich wesentlich ist. Auch wenn sich das vielleicht banal anhört: Likes, Smileys und andere Emotional Icons ersetzen eben auf Dauer keine echten Gefühle. Der Regisseur und die großartigen Leipziger Studierenden setzen das in ein echtes, durchweg dynamisches Spiel um und machen aus dem Stück mehr als nur ein flüchtig gepostetes Selbstdarstellungs-Selfie im Netz.
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Eigentlich schön am Schauspiel Leipzig - Foto (C) Rolf Arnold
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Stefan Bock - 22. März 2015 ID 8521
EIGENTLICH SCHÖN (Diskothek, 20.03.2015)
Regie: Bruno Cathomas
Bühne: Hugo Gretler
Kostüme: Agathe MacQueen
Musik: Jonas Martin Schmid
Dramaturgie: Alexander Elsner
Mit: Erik Born, Andreas Dyszewski, Loris Kubeng, Stefanie Schwab, Brian Völkner und Lara Waldow
Uraufführung war am 20. März 2015
Weitere Termine: 25. 3. / 10. + 14. 4. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspiel-leipzig.de
Post an Stefan Bock
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