Das neue Stück von Wolfram Höll wird (leider) in der Diskothek des Schauspiels Leipzigs nach allen Regeln der Regiekunst von Thirzas Bruncken verhackstückt
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Drei sind wir am Schauspiel Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold
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Bewertung:
Der junge Dramatiker Wolfram Höll hat erst drei Theaterstücke geschrieben und ist bereits zum zweiten Mal für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert. Eine Erfolgsgeschichte, die unmittelbar mit dem Schauspiel Leipzig verbunden ist. Hier haben seit dem Beginn der Intendanz Lübbe einige hoffnungsvolle Talente wie (neben Höll) etwa der Österreicher Ferdinand Schmalz ihre Karriere begonnen. Das Format, junge Dramatik in der Nebenspielstätte Diskothek zu fördern, trägt also erste Früchte. Mit dem neuen Stück von Wolfram Höll wollte man anscheinend auf Nummer sicher gehen und hat die Uraufführung von Drei sind wir nicht einem jungen Regietalent übertragen, sondern in die Hände der mit ungewöhnlichen und sperrigen Texten erfahrenen Regisseurin Thirza Bruncken gelegt. Allerdings hätte man wissen können, dass die als ziemlich kompromisslos bekannte Regisseurin auch nicht gerade zimperlich mit Stücktexten umzugehen pflegt. Nun, der Erfolg scheint dem Schauspiel Leipzig nachträglich Recht zu geben. Dennoch gibt es durchaus einiges an der von Thirza Bruncken vorgelegten Regiearbeit zu kritisieren.
Jungautor Höll baut seine lyrischen Textgebilde gern um eine Lehrstelle. Waren es in seinen ersten Dramen das Verschwinden der Mutter (Und dann) oder des Vaters (Vom Verschwinden vom Vater), ist es nun ein Kind, das mit dem menschlichen Makel eines sehr selten Trisomie-Chromosomendefekts geboren wird. Den Eltern bleibt wenig Zeit und Hoffnung für ein Leben mit ihrem Kind. Trotzdem wandern sie zu dritt nach Kanada aus. Innerhalb eines Jahres wächst und entwickelt sich das Kind, bis es langsam wieder verschwindet und stirbt. Dazwischen kommen die beiden Großelternpaare, der Onkel des Kindes und die Urgroßmutter zu Besuch, um das Kind zu sehen. Aber Bedrückung, Hilflosigkeit und Unfähigkeit mit der Krankheit umzugehen, sind allgegenwärtig. An echte Normalität ist nicht zu denken. Dazu klingen ganz wie nebenbei unverarbeitete Familienprobleme an.
Entlang der vier Jahreszeiten hangelt sich der Text an metaphorischen Naturbeschreibungen entlang wie etwa dem Angeln oder dem Herstellen von Akaziensirup im Vergleich zum Zustand des Kindes.
Ohne direkte Rollenzuschreibungen ist das wie immer bei Höll ein nicht gerade für die konventionelle Bühnenpräsentation prädestinierter Text. Ähnlich wie schon Claudia Bauer Hölls Erstling Und dann als Sprech-Musik-Stück inszenierte, in dem die Figuren wie in einem verschwommenen Kindertraum unter riesigen Pappmache-Köpfen kaum auszumachen waren, versucht es Thirza Bruncken mit einer Art Bewegungschoreografie, die aus den vier DarstellerInnen (Julius Bornmann, Anna Keil, Bettina Schmidt und Sebastian Tessenow), die sich den Text teilen, steife, aufziehbare Gelenkpuppen macht. Dazu stehen sie in einem klaustrophobischen Guckkastenraum mit nur einer Tür und einem Spiegel und werden durch andauernde Störgeräusche, Musikeinspielungen und Lichtwechsel gesteuert.
Das Dargestellte entspringt aber eher einer vollkommen assoziativen Regieführung, die fast komplett am Stücktext vorbeiinszeniert. Sicher lässt sich der Takt des Textes gut in Musikalität und Bewegung übersetzen, kein Problem. Mit teilweise recht willkürlichen Zusammenzucken, Stammeln und Stampfen wird der Text dann aber doch ziemlich zerstückt und zertreten. Die SchauspielerInnen tragen dazu gutbürgerliche Kleidung der 1960er und 70er Jahre und singen wie bei einer steifen Karaoke-Veranstaltung Hits der 1970er und 80er wie Blondies "Heart of Glass oder Queens" I "Want to Break Free". Befreien wird sich aus dieser ausweglosen Situation niemand. Die Tür klemmt oder geht nur einen Spalt auf. In einer Art tänzelnden Chorus-Line stellen sich die vier auch mal zu einem Balkanbeat an die Rampe. Wie in einem Schneesturm werden alle an die Wände gedrückt oder brechen immer wieder zusammen. In französischem Gestammel werden die Nachbarn karikiert.
Dass die Regisseurin eine Affinität zum Film (Darstellerin in frühen Filmen von Christoph Schlingensief) hat, beweist eine melodramatische Szene zwischen den beiden Frauen zu filmreifer klassischer Orchestermusik. Das Licht flackert wirr, und zerplatzende Glühlampen oder kaputte Leuchtstoffröhren zerreißen akustisch die Szenen. Was das Ganze mit dem Stück zu tun hat, erschließt sich allerdings nie so richtig. Man gibt bei der Macht der Bilder auch irgendwann unweigerlich auf, dem Text zu folgen, der auch teilweise relativ unverständlich rübergebracht wird.
Am Ende, wenn das Paar nach einer kurzen Flucht in die Natur mit dem Kind an Schläuchen im Krankenhaus landet und das Leben langsam aus dem kleinen Körper entweicht und er verschwindet, schwenkt die Regie ganz auf Bebilderung um. Ein Negativvideo einer Inuitfrau mit Kind und Hundeschlitten wird auf die Wände projiziert, während die SchauspielerInnen in Pelzen wühlen. Sicher versucht sich Thirza Bruncken rein assoziativ den schwierigen Sprachbilder von Wolfram Höll, anzunähern, die sich immer wieder selbst zerlegen und neu zusammensetzen, den Wortsinn variieren, bis er sich verkehrt. Für eine Uraufführungsinszenierung wird von der Regie allerdings schon arg übers Ziel hinausgeschossen. Da kann man für Mülheim nur viel Glück in wünschen.
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Drei sind wir von Wolfram Höll am Schauspiel Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold
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Stefan Bock - 14. März 2016 ID 9202
DREI SIND WIR (Diskothek, 12.03.2016)
Regie: Thirza Bruncken
Bühne & Kostüme: Christoph Ernst
Choreographische Einstudierung: Sebastian Tessenow und Martin Opitz
Musikalische Einstudierung: Francesco Greco
Dramaturgie: Torsten Buß und Christin Ihle
Mit: Julius Bornmann, Anna Keil, Bettina Schmidt und Sebastian Tessenow
Uraufführung am Schauspiel Leipzig war am 20. Februar 2016
Weitere Termine: 3. + 28. 4. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspiel-leipzig.de/
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