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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Fickzelle mit

Mückenspray

und Sedativa

für alle



Nina Hoss und Mark Waschke in Bella Figura in der Schaubühne am Lehniner Platz | (C) Arno Declair

Bewertung:    



Fare una bella figura - die französische Erfolgsautorin Yasmina Reza hat sich den Titel ihres neuen Stücks, das sie exklusiv für die Berliner Schaubühne geschrieben hat, aus dem Italienischen geborgt. Eine gute Figur gibt hier allerding niemand wirklich ab. Yasmina Reza spielt in der Bedeutung auch eher auf das genaue Gegenteil an, was auch das Erfolgsrezept ihrer bisherigen Theaterstücke war. Nach dem Motto "Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert" reißt ihr meistgespieltes Stück Der Gott des Gemetzels weltweit große Risse in die Fassade gutbürgerlicher Selbstgewissheit. Um deren Wahrung geht es vorrangig den Figuren in Bella Figura. Allerdings mit nur mäßigem Erfolg.

Der kurz vor dem Bankrott stehende Glasereiunternehmer Boris (Mark Waschke) hat sich geschäftlich mit dem Bau von Glasveranden übernommen und den Risiko-Kredit mit privatem Kapital abgesichert, das nach dem Einspruch des Bauamtes massiv in Gefahr ist. Privat unterhält er seit vier Jahren eine Affäre zur alleinerziehenden pharmazeutisch-technischen Assistentin Andrea (Nina Hoss), die der termingestresste Geschäftsmann hin und wieder auch zum Essen ausführt. Allerdings ist Boris an diesem Abend schlecht beraten. Die Empfehlung für das Restaurant stammt von seiner Frau, worüber seine Geliebte Andrea nicht gerade amüsiert ist. Der Beziehungsstress ist vorprogrammiert und tritt auch prompt ein. Als Boris beim Verlassen des Parkplatzes mit dem Auto eine ältere Dame anfährt, gerät der Abend vollends aus dem Ruder.

So treibt der Zufall das heimliche Paar in die Hände eines Anderen, der leider freundschaftlich mit Boris' Frau verbunden ist. Eine extrem peinliche Situation, wie Françoise (Stephanie Eidt), Freundin vom Firmenrechtsbeistand Eric (Renato Schuch), feststellt, der seine Mutter Yvonne (Lore Stefanek) zu ihrem Geburtstag nur einen netten Abend bereiten wollte. An einem gottverlassenen Ort weit vor den Toren Bordeaux' entspinnt sich so ein Schlagabtausch zwischen zwanghaftem Smalltalk und dem verzweifelten Versuch in dieser verfahrenen Situation einigermaßen das Gesicht zu wahren. Denn (wie es Mama Yvonne so schön sagt): „Kein Mensch wird gern öffentlich gedemütigt.“

Regisseur Thomas Ostermeier lässt das auf kahler und nur mit etwas Splitt abgestreuter Bühne spielen. Von Szene zu Szene wechselt das Bühnenbild von Boris' Auto zu diversen Sitzlandschaften vor und im Restaurant, dazu werden in den Umbaupausen auf der Rückwand Videos von Nachtfaltern, Käferkolonien, Heuschrecken und Langusten gezeigt. Neben Popmusik vom Band lässt der Sound der Umgebung lautstark Grillen und Frösche vernehmen. Der Bezug zur Natur ist überdeutlich und vermutlich auch für die Autorin von höherer Bedeutung. Man kann das, wenn man will, auf verschiedene Art deuten. Parasitär klammert man sich hier an den anderen. Allerdings gehen alle auch allen ständig auf die Nerven. Der Kitt, der eine funktionierende Gesellschaft zusammenhält, wird schnell brüchig, das Gequake der Frösche im Teich lässt sich mühelos auf die Gespräche übertragen.

So weit, so gut. Oder auch nicht. Die Fallhöhe, die sich hieraus ergibt, ist so tief, wie das Sofa, in dem Mama Yvonne bedingt durch ihren Medikamentencocktail immer wieder wegdämmert. In hellen Momenten besitzt die alte Dame zumindest noch so etwas wie Würde, die den anderen scheinbar völlig abhandengekommen ist. Hier erhält jeder mal seine 15 Minuten, die allerdings weniger Ruhm bedeuten, sondern eher bedingt durch den zunehmenden Alkoholpegel die Frustabfuhr be- und die wahren Gefühle zu Tage fördert. Das erreicht allerdings nie die schwarz-humorigen Höhen oder tiefen Abgründe anderer Reza-Stücke. Da muss Ostermeier schon mal etwas nachhelfen. So etwa wenn Boris und Andrea auf einer durchsichtigen Toilettenzelle beim Sex von Yvonne überrascht werden, später dann nach ihrem verlorenen Notizbuch in der Kloschüssel suchen und sich in den schmalen Räumen slapstickartig an den anderen vorbeidrücken.

Viel mehr ist dann aber auch nicht drin. Der Schampus, den Stück-Arrangeur Ostermeier ausschenkt, ist schaumgebremst, wie leider auch die ganze Vorlage etwas zu sehr ins Melancholische kippt. Nur schöne Metaphern auswalzen, macht aber noch kein Drama, und auch Edel-Boulevard will gekonnt sein. Hier schliddert man im Schotter des Parkplatzes irgendwo dazwischen. Ein Zwischenreich soll dieser Ort mit dem Charme einer „Leichenhalle“ auch sein. Ein Dante'sches Fegefeuer mit quälenden Mücken und Sternschnuppe am Himmel.

Zwischen einer Runde Mückenspray und Beruhigungspillen für alle betreibt man ein wenig Seelenschau, werden Illusionen über das Glück der Frauen, das Älterwerden und die Qual der Erniedrigung ausgetauscht. Und auch die Männer dürfen ihre Existenzängste und fehlenden Bestätigungen für ihre täglichen Mühen bejammern. Bella Figura machen, wie ein großer Spieler am Ende, dazu fehlt ihnen das Format. Andrea philosophiert über ihre Sehnsucht nach dem Glück des Alltäglichen, dem das Einerlei in verbunkerten Stuben gegenübersteht. Das klingt dann für Reza aber schon echt banal. Heiner Müller sprach mal von „Fickzellen mit Fernheizung“. Passt schon.

Jedenfalls endet der „Ausflug ins Glück“ bei Tabletten und Alkohol. Eine Gesellschaft, die sich zunehmend selbst sediert. Das darzustellen, ist Yasmina Reza zumindest gelungen. Ihre Sympathien liegen dabei eindeutig bei Andrea, was Nina Hoss auch spielerisch weitestgehend beglaubigt. Sie hat die skrupellose Geschäftsfrau aus den Kleinen Füchsen ebenso drauf wie die einst hoffnungsvoll Gestartete und nun vom Leben Enttäuschte, die langsam zu verkümmern droht. Der zunehmende Zynismus des gescheiterten Paars kulminiert in einer verzweifelten Umklammerung, während die anderen einfach weiterfeiern. Aber der Lack ist ab, um das Auto-Motiv nochmal zu bemühen. Allerdings wissen weder Nina Hoss noch die anderen Großglanzmimen wirklich etwas mit dieser angekratzten Bella Figura anzufangen. Das Stück und sein Regiegerüst erweisen sich als zu schwach, um dieses Manko dauerhaft darstellerisch aufzufangen.



Renato Schuch, Lore Stefanek, Nina Hoss, Mark Waschke und Stephanie Eidt (v.l.n.r.) in Bella Figura von Yasmina Reza an der Berliner Schaubühne | (C) Arno Declair

Stefan Bock - 17. Mai 2015
ID 8645
BELLA FIGURA (Schaubühne am Lehniner Platz, 16.05.2015)
Regie: Thomas Ostermeier
Bühne: Jan Pappelbaum
Kostüme: Florence von Gerkan
Musik: Malte Beckenbach
Video: Guillaume Cailleau und Benjamin Krieg
Dramaturgie: Florian Borchmeyer
Licht: Marie-Christine Soma
Besetzung:
Andrea ... Nina Hoss
Boris Amette ... Mark Waschke
Françoise Hirt ... Stephanie Eidt
Eric Blum ... Renato Schuch
Yvonne Blum ... Lore Stefanek
Uraufführung war am 16. Mai 2015
Weitere Termine: 18. - 20. 5. / 4. - 6., 7. - 11., 13. - 15. 6. 2015


Weitere Infos siehe auch: http://www.schaubuehne.de


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