Die Kiste im Baumstamm - der Japaner Kuro Tanio begibt sich mit seinem symbolträchtigen Bildertheater tief in die Psychoanalyse und Traumdeutung nach Sigmund Freud
|
(C) Wiener Festwochen
|
Bewertung:
„Wir sind sehr stolz, das Stück hier präsentieren zu dürfen, aber ich bin auch sehr aufgeregt.“ wird Regisseur Kuro Tanio im Programmheft der WIENER FESTWOCHEN zu seinem Gastspiel Die Kiste im Baumstamm zitiert. Tanio war zuerst Psychiater, bevor er zum Theater kam; und in der Heimatstadt des Begründers der Psychoanalyse Sigmund Freud dessen Theorien in dieser Form auf die Bühne zu bringen, kann auch schnell mal als Sakrileg aufgefasst werden. Selbst Sohn eines Psychiaters beschäftigt sich der Liebling der Tokioter Avantgarde-Szene in seinem Stück nämlich mit einer übermächtigen Vater-Sohn-Beziehung, Traum und Traumatisierung.
|
Die Kiste im Baumstamm bei den WIENER FESTWOCHEN - Foto (C) Aki Tamaka
|
Der in seinem Studium bereits etwas zurückhängende Kenji (Ikuma Yamada) sitzt in seinem selbst für japanische Verhältnisse recht beengten Zimmerchen und versucht sich an mathematischen Formeln, obwohl er doch lieber einen Roman schreiben würde. Durch seinen herrischen alten Vater an seine Pflichten erinnert, beugt sich Kenji wieder über seine Arbeit, verliert sich aber bald in den wirren Gedankenwelten seiner Kindheitserinnerungen und schläft in seiner Koje ein. Nachdem sich die kleine Guckkastenbühne gedreht hat, zeigt sie einen niedrigen Raum, in dem zwei Baumstämme durch Decke und Boden wachsen und sich zwei seltsame Gestalten mit Schweinsrüssel und Schafshörner vom Saft der Stämme ernähren, von denen der eine bereits am vertrocknen ist. In diese wundersam abstruse Traumwelt gerät nun der unter den Baumwurzeln im Keller erwachte Kenji.
Man kann dies als Symbol für die versiegende Manneskraft des alternden Vaters und die erwachende Sexualität des Sohnes deuten. Kuro Tanio macht daraus einen kuriosen Bilder-Albtraum, indem der junge Kenji auf den Spuren seines verdrängten Kindheitstraumas wandelt, in dem der Vater mit seinem überwältigenden Penis die Hauptrolle spielt. Im Restaurant „Limbus“ werden Kenji ekelige Gürteltiermenus, Kakerlakenlarven und ein dickflüssig weißer Cocktail serviert. Vermeintlich in den Himmel geraten, verschlägt es den Umherirrenden in immer weitere Zimmer und Kämmerchen, in denen Kuckucksuhren tote Vögel ausspucken, Hirschgweihe an den Wänden hängen, schweigsame Wesen Klavier spielen und deutliche Abdrücke im Sessel auf den alles überlagernden Gedanken an den Vater verweisen.
|
Die Kiste im Baumstamm bei den WIENER FESTWOCHEN - Foto (C) Aki Tamaka
|
Nachdem Kenji ihn endlich gefunden hat, entspinnt sich alsbald eine Lektion in Sachen Männlichkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt. Der immer neugierig und ehrfürchtig vor dem Schlafgemach des Vaters erstarrte Junge wird nun endlich in das Reich seiner Träume und Fantasien vorgelassen. Hier ist nun wirklich alles mit überdimensionalen Penissymbolen vollgestellt. Auf elfenbeinfarbenen Penisflöten übt man gemeinsam erst im Duett, und nachdem sich Kenji der Anerkennung des Vaters sicher ist, hebt bei einem fröhlichen Quartett mit Schwein und Schaf der Jungmann auf den Flügeln der frisch erlangten Freiheit ab. Nun kann auch er endlich auf dicke Hose machen.
Das ist nun weniger ein ausgemachter Ödipuskomplex, der hier verhandelt wird, als vielmehr ein in Teilen recht witziger aber auch schlüpfrig feuchter Jungmännertraum, der aber auch selbstironisch in einen anschließenden Kastrationsangsttraum mündet. Wieder in seiner Studentenbude erwacht, stellt Kenji erschrocken das Fehlen seines besten Stückes fest. Verzweifelt durchkriecht er bei sich drehender Bühne noch einmal auf der Suche danach alle Stationen seiner wundersamen Traumreise. Das Publikum, fasziniert, amüsiert und abgestoßen gleicher maßen, zollte den japanischen Performern jedenfalls reichlich Beifall.
|
Die Kiste im Baumstamm bei den WIENER FESTWOCHEN - Foto (C) Aki Tamaka
|
Stefan Bock - 2. Juni 2014 (2) ID 7876
DIE KISTE IM BAUMSTAMM (brut im Künstlerhaus, 01.06.2014)
Text und Inszenierung: Kuro Tanino
Regieassistenz: Yui Matsumoto
Konzept: Junichiro Tamaki, Yukiko Yamaguchi, Mario Yoshino
Bühne: Michiko Inada
Requisite: Kotaro Yokosawa, Kenichiro Okonogi (GaRP)
Inspizienz: Hisashi Mitsu
Licht: Masayuki Abe (LICKT-ER)
Sound: Koji Sato (Sugar Sound)
Musik: Yu Okuda
Mit: Ikuma Yamada, Ichigo Iida, Momoi Shimada und Taeko Seguchi
Spieltage bei den WIENER FESTWOCHEN: 30., 31. 5. / 1., 2., 3. 6. 2014
Eine Produktion von Niwagekidan Penino/Arche. LLC, Tokio
Weitere Infos siehe auch: http://www.festwochen.at
Post an Stefan Bock
WIENER FESTWOCHEN 2014
blog.theater-nachtgedanken.de
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
RUHRTRIENNALE
TANZ IM AUGUST
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|